Schwäbische Zeitung (Biberach)
Stein an Stein wider das Vergessen
Wo bis 1938 die Synagoge stand, schichten Laupheimer Schüler selbst gefertigte Ziegel zu einem Mauerfragment
LAUPHEIM - Fast 1000 selbst gefertigte Ziegelsteine haben die Schüler, Lehrkräfte, Sekretärinnen und Hausmeister des Carl-Laemmle-Gymnasiums (CLG) vergangene Woche auf den Fundamenten der 1938 von den Nationalsozialisten zerstörten Synagoge zu einem Mauerfragment aufgeschichtet. Mit der Aktion „Laupheimer Ziegel“wollen sie ein Zeichen gegen das Vergessen und für ein offenes Miteinander setzen.
Gegen halb neun treffen die ersten Schüler im Synagogenweg ein. Stolz haben sie ihre Ziegelsteine durch die Stadt getragen. Auf dem Rasen vor der Baptistenkirche, die genau dort errichtet wurde, wo das jüdische Gotteshaus in der Reichspogromnacht niederbrannte, hat der Kunsterzieher Tobias Wedler den Grundriss des einstigen Südturms und die ungefähre Position zweier Wände markiert. Christoph Schmid von der Gesellschaft für Geschichte und Gedenken hat ihm dabei geholfen. Die Schüler legen Stein an Stein, eine Reihe längs, die Reihe darüber quer, die nächste wieder längs und so fort. „Das sind Läufer und Binder“, erklärt Wedler. Er dankt den Jugendlichen – „ich finde es toll, dass ihr die ganze Arbeit auf euch genommen habt“– und beschreibt, wie die Synagoge aussah. Groß war sie, „700 Gemeindemitglieder passten hinein“. Alle am CLG haben ihren persönlichen Stein geschaffen und ihren Namen eingeritzt; auch sind die „Laupheimer Ziegel“nummeriert. Bis zum 9. November, dem 80. Jahrestag der Reichspogromnacht, bleiben sie liegen, mit einer dünnen, transparenten Folie bedeckt, die vor Regen und Frost schützen soll und die Verletzlichkeit des Mauerfragments nur noch unterstreicht.
Etliche Vertreter von Politik und Kirche sind gekommen. Der Ulmer Rabbiner Shneur Trebnik signiert einen Ziegel, platziert ihn, schaut ein Weilchen zu, wie die Mauern wachsen, lächelt: „So eine Aktion erlebt man nicht alle Tage.“Sie werde hoffentlich im Gedächtnis bleiben und alle ein bisschen zum Nachdenken bringen. „Die Vergangenheit können wir nicht ändern“, sagt Trebnik, „aber die Zukunft besser gestalten.“
„Das ist eine großartige Aktion“, lobt der SPD-Bundestagsabgeordnete Martin Gerster. „Sie ist wichtig in einer Zeit, in der wir eine Verrohung der Gesellschaft erleben und der Antisemitismus sich wieder breitmacht.“Durch die Aktion werde Geschichte für junge Menschen lebendig, sagt der CDU-Parlamentarier Josef Rief. „Ich finde es grandios, wenn eine ganze Schule bei einer solchen Aktion mitmacht“, sagt OB Gerold Rechle. „Das ist ein wunderbares Signal nach außen, auch für uns als Stadt.“Andreas Berger, Pastor der Evangelisch-Freikirchlichen Gemeinde Laupheim, ist tief berührt. Er kann sich vorstellen, einige „Laupheimer Ziegel“zu verwenden, wenn seine Gemeinde den geplanten Anbau an ihre Kirche realisiert.
Zwei Ziegel sind gerade rechtzeitig aus Stuttgart zurückgekommen. Tobias Wedler gab sie vorige Woche im Landtag ab; die Landtagspräsidentin Muhterem Aras und Ministerpräsident Winfried Kretschmann haben sie signiert. Dem Regierungschef ging der Platz aus in dem für den Namen vorgesehenen Oval, deshalb hat er es bei „Winfried Kretschma“belassen.