Schwäbische Zeitung (Biberach)
Den Nächsten lieben wie Sankt Martin
Morgen, an Sankt Martin, finden vielerorts Martinsumzüge statt, die meist von den örtlichen Kindergärten organisiert werden. Dabei ziehen Kinder mit bunten Lampions singend durch die Straßen. Im Mittelpunkt der Martinsumzüge steht immer der römische Offizier Martinus, hoch zu Ross und in Ritterrüstung, der durch seine Mantelteilung berühmt und zum Patron der Nächstenliebe geworden ist.
Nachstenliebe ist auch die klare Botschaft Jesu: „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst“(Lk 10,27). Gottesliebe und Nächstenliebe und Selbstliebe gehören für den Christen zum zentralen Gebot. Ohne diese dreifache Liebe lebt der Mensch an seinem Wesen vorbei. Das gilt nicht nur für den Einzelnen, sondern auch für die Gesellschaft, denn eine Gesellschaft ohne Nächstenliebe erstarrt.
Nächstenliebe ist für mich der spontane Impuls dem, der gerade unsere Hilfe braucht, beizustehen; das heißt, sich spontan auf den Menschen einzulassen, den wir in seiner Not wahrnehmen, und das tun, was in unserer Hand liegt. Es ist eine Sorge für den anderen, die aus dem Herzen kommt.
Martin, der römische Offizier, hat die Not des Bettlers erkannt, und dadurch wird der für ihn zum Nächsten. Einem anderen Menschen zu helfen, entspricht dem Wesen des Menschen. Jesus selbst identifiziert sich mit jedem Hilfsbedürftigen: „Ich war hungrig, und ihr habt mir zu essen gegeben; ich war durstig, und ihr habt mir zu trinken gegeben; ich war fremd und obdachlos, und ihr habt mich aufgenommen; ich war nackt, und ihr habt mir Kleidung gegeben; ich war krank, und ihr habt mich besucht; ich war im Gefängnis, und ihr seid zu mir gekommen“(Mt 25,35).
Und so wie Martin, in der Legende von der Mantelteilung, Jesus nachts im Traum mit seinem halben Soldatenmantel erschien und zu ihm sprach: „Martin hat mich mit diesem Mantel bekleidet“, so begegnet auch uns in jedem Fremden, Heimatlosen, Hungernden Christus selbst. Das Antlitz Jesu wird in ihm sichtbar. Deshalb sollen wir jedem Menschen, der unserer Hilfe bedarf, diese unter Beibehaltung seiner Würde zukommen lassen.
Auch unsere heutige Gesellschaft braucht Barmherzigkeit, damit sie nicht verroht, sondern milder und wärmer, barmherziger und hilfsbereiter wird. Und auch für uns gelten heute noch die Worte, die Jesus vor 2000 Jahren gesprochen hat: „Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan“(Mt 25,40).