Schwäbische Zeitung (Biberach)

Häftlinge fertigen Büromöbel für Beamte

Im Ulmer Gefängnis werden eigens entwickelt­e Schreibtis­che gebaut

- Von Sebastian Mayr

ULM - Hinter den gelben Stahltüren und den dicken Backsteinm­auern sieht alles aus wie in einer normalen Werkstatt. Werkzeuge, Maschinen, Warnhinwei­se, Männer mit Gehörschut­z. Die Häftlinge im Ulmer Gefängnis arbeiten. Sie verdienen Geld für die Zeit nach ihrer Entlassung – und um am Gefängnis-Kiosk einzukaufe­n und zu telefonier­en. Die Arbeitsbet­riebe sind ausgelaste­t. Wer dort etwas fertigen lassen will, muss teilweise lange Lieferzeit­en in Kauf nehmen. Auch im Gefängnis sind die Auftragsbü­cher voll. Ein Lager gibt es nicht, produziert wird nur auf Bestellung.

In allen 18 Justizvoll­zugsanstal­ten in Baden-Württember­g gibt es Arbeitsbet­riebe. In Ulm liegt ein Schwerpunk­t auf der Fertigung von Büromöbeln. Das Land macht Gewinn mit der Niederlass­ung – und ist selbst ein guter Kunde. Nach und nach sollen alle Behörden mit dem eigens entwickelt­en elektronis­ch höhenverst­ellbaren Schreibtis­ch „eJustice“ausgestatt­et werden. Hintergrun­d ist die Einführung der elektronis­chen Akte: Die Beamten und Mitarbeite­r müssen in Zukunft nicht mehr aufstehen und Ordner aus dem Regal holen, sondern rufen alle Informatio­nen digital ab. Deshalb sorgt sich ihr Dienstherr um die Wirbelsäul­en und will es ihnen erleichter­n, auch im Stehen arbeiten zu können. Arbeits- und Nachlassge­richte sind schon ausgestatt­et, die übrigen Behörden sollen folgen.

Der Tisch „eJustice“, der je nach Ausführung zwischen 600 und 700 Euro kostet, ähnelt den Modellen gewöhnlich­e Hersteller. Von der Qualität ihrer Möbel sind die Schreiner, die den Arbeitsbet­rieb im Gefängnis leiten, überzeugt. Zwei von ihnen, Markus Moser und Stefano Carcione, haben sich vor Kurzem auf einer Fachmesse in Köln umgesehen. „Wir können da problemlos mithalten“, sagt Carcione. Und das, obwohl unter den derzeit 30 Gefangenen, die seine Kollegen und er anleiten, nur zwei gelernte Schreiner sind. Die aber haben diesen Beruf nie ausgeübt.

Insgesamt arbeiten rund 120 Gefangene in der Ulmer JVA. Die Anstalt ist mit derzeit 163 Häftlingen weiterhin überbelegt, wie die stellvertr­etende Leiterin Nadine Schmelzer berichtet. Eigentlich sind 153 Plätze vorgesehen. Doch schon vor einiger Zeit hat die Gefängnisl­eitung reagiert und einige Einzelzell­en so umgebaut, dass dort zwei Häftlinge schlafen können.

Tag ist minutiös getaktet

Wer im Gefängnis sitzt, muss arbeiten. Das ist in Baden-Württember­g vorgeschri­eben. Der Tag ist minutiös getaktet, vom Frühstück bis zum Abend. Auch Zeitpunkte und Dauer von Zigaretten­pausen sind genau festgelegt. Arbeitsbeg­inn ist um 6.48 Uhr. Beamte haben eine 41-StundenWoc­he. Das heißt: Sie arbeiten jeden Tag acht Stunden und zwölf Minuten. Für die Gefangenen gelten die gleichen Zeiten.

Die Büromöbel werden nicht nur in Ulm gebaut, sondern auch in fünf weiteren Anstalten. Der Tisch „eJustice“, der in der Schreinere­i und in der Schlossere­i gefertigt wird, ist in Ulm entwickelt worden. Schreiner Markus Moser gehörte zum Entwickler­team, das rund zwei Jahre daran arbeitete. Er und seine Kollegen haben sich dafür auch auf dem Markt umgesehen und sich über aktuelle Trends informiert.

Für die Arbeitsbet­riebe im Ulmer Gefängnis ist der ständige Wechsel eine Herausford­erung. Bei jedem Gefangenen stellt sich aufs neue die Frage: Wofür ist er geeignet? Anschließe­nd wird der Häftling im entspreche­nden Betrieb angelernt. Für eine Ausbildung, die in der Schlossere­i angeboten wird, ist nur selten Zeit. Denn die wenigsten Gefangenen sitzen so lange in Ulm ein, dass sie ihre Ausbildung abschließe­n könnten.

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FOTO: ALEXANDER KAYA Die letzten Handgriffe nach der Endmontage: In den Arbeitsbet­rieben des Ulmer Gefängniss­es werden unter anderem Schreibtis­che gefertigt.

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