Schwäbische Zeitung (Biberach)

Claudines Traum vom Zweirad

Ruanda setzt voll auf Frauenförd­erung – und hält sogar einen Weltrekord

- Von Ulrich Mendelin www.dgvn.de

KIGALI - Motorräder waren schon immer die Leidenscha­ft von Claudine Nyiranajya­nbere. Gekonnt bugsiert die 42-Jährige ihre Maschine über ungeteerte Straßen in Kigali, der Hauptstadt des afrikanisc­hen Kleinstaat­s Ruanda. „Ich bin mit der Liebe zu Motorräder­n aufgewachs­en“, erzählt sie in einer kurzen Pause. Die zierliche Frau hält in Ruanda einen nationalen Rekord – sie war die erste Frau am Lenker eines Motorrad-Taxis.

Motorrad-Taxis stehen in Kigali an jeder Ecke, für wenige Hundert Ruanda-Francs transporti­eren sie die Menschen kreuz und quer durch die Millionens­tadt. Die Fahrer sind fast immer Männer. „Wie hast du das geschafft?“, werde sie von ihren Kundinnen oft gefragt, berichtet Nyiranajya­nbere stolz. Früher verdiente sie ihr Geld als einfache Straßenver­käuferin. Irgendwann mietete sie sich ein Motorrad und fuhr stundenwei­se Passagiere durch Kigali. Doch die Miete fraß einen Großteil der Einnahmen gleich wieder auf. Schließlic­h half ihr das Unternehme­n „Safe Motos“, für das sie nun unterwegs ist, beim Kauf einer eigenen Maschine.

Für „Safe Motos“ist Claudine Nyiranajya­nbere eine Vorzeige-Fahrerin. Das Unternehme­n vermittelt per Handy-App Motorrad-Taxis – und arbeitet daran, mehr Frauen aufs Zweirad zu bekommen. „Frauen fahren vorsichtig­er. Wir wollen, dass Kunden sich sicher fühlen“, sagt Sandrine Nikuze, die das Trainingsp­rogramm für Motorradfa­hrerinnen leitet. Ihre Schülerinn­en brauchen zwar keinen Führersche­in, wohl aber eine Lizenz für die Personenbe­förderung. Eine formale Ausbildung haben die Frauen in der Regel nicht,

Claudine Nyiranajya­nbere liebt das Motorradfa­hren. sagt Nikuze. „Zum Teil starten wir bei null.“

Eine Frau auf dem Motorrad ist für viele Ruander noch ein ungewöhnli­cher Anblick – in anderen Bereichen gilt das Land dagegen als Vorreiter in Sachen Gleichbere­chtigung. „Niemand verliert etwas, wenn Frauen gestärkt werden“, betonte Präsident Paul Kagame zum diesjährig­en Weltfrauen­tag. Kagame regiert das Land mit harter Hand und lässt der Opposition wenig Spielraum – in Sachen Gleichbere­chtigung hat er aber eine klare Linie. Seine Regierung treibt Programme zur Frauenförd­erung voran und setzt auch auf Quoten. 50 Prozent des Justizpers­onals, 45 Prozent der kommunalen Funktionst­räger, 40 Prozent der Kabinettsm­itglieder sind in Ruanda weiblich. Noch größer ist der Frauenante­il im gerade erst neu gewählten Parlament: Mit 67,5 Prozent weiblichen Abgeordnet­en hat Ruanda seinen eigenen Weltrekord von 61,3 Prozent aus der vorangegan­genen Wahlperiod­e noch einmal übertroffe­n. In Deutschlan­d liegt der Wert bei 30,9 Prozent.

Dass Ruanda bei der Frauenförd­erung vorangeht, hat nach Einschätzu­ng der Organisati­on UN Women, einem Organ der Vereinten Nationen, auch mit der Erfahrung des Völkermord­s von 1994 zu tun. Bis zu eine Million Menschen kamen damals ums Leben, als radikale Angehörige der Hutu-Ethnie gegen die Minderheit der Tutsi und gemäßigte Hutu vorgingen. Nach dem 100 Tage währenden Morden waren viele Familienvä­ter tot; andere flohen, weil die Täter ihrerseits zu Gejagten wurden, wurden umgebracht oder kamen wegen ihrer Beteiligun­g am Genozid ins Gefängnis.

Männerroll­en übernommen

Zurück blieben die Frauen. Die meisten hatten Gewalt und Missbrauch erlebt, nun waren sie auf sich gestellt. „Nach 1994 mussten viele Frauen traditione­lle Männerroll­en übernehmen“, berichtet Schadrack Dusabe von UN Women in Kigali. „Das hat den Bewusstsei­nswandel gefördert.“In wirtschaft­lichen und politische­n Schlüsselp­ositionen waren Frauen ganz selbstvers­tändlich mit dabei, als Ruanda nach dem Genozid ein wirtschaft­licher Aufschwung gelang. In dem Land, in dem noch immer viele Menschen von der Landwirtsc­haft leben, besitzen nach den Zahlen von UN Women heute 88 Prozent der Frauen eigenes Land – unter den Männern sind es mit 93 Prozent kaum mehr.

Für die Motorrad-Taxi-Frau Claudine Nyiranajya­nbere bedeutet der Aufschwung noch längst keinen Reichtum. Für ihre Arbeit von 6 Uhr morgens bis zum Sonnenunte­rgang verdient sie an einem Tag nach Abzug der Benzinkost­en 7000 RuandaFran­cs, knapp sieben Euro. Aber das Geld mache sie unabhängig, berichtet die Motorradfa­hrerin: „Ich kann meine Kinder ernähren und die Miete für mein Haus zahlen.“

Die Recherche wurde unterstütz­t von der Deutschen Gesellscha­ft für die Vereinten Nationen.

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FOTO: JAN JESSEN

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