Schwäbische Zeitung (Biberach)

Lieber Zeit als Geld

Arbeitnehm­er entscheide­n sich im Rahmen des neuen Tarifvertr­ags vorzugswei­se für acht freie Tage

- Von Mischa Ehrhardt

FRANKFURT - Als zukunftswe­isend wurde er gepriesen, der Tarifvertr­ag in der Metall- und Elektroind­ustrie. Grundsätzl­ich lässt der den Beschäftig­ten nämlich an entscheide­nden Stellen die Wahlmöglic­hkeit zwischen mehr Geld oder mehr freier Lebenszeit.

Zum einen gibt es da die Möglichkei­t einer 28-Stunden Woche für den Zeitraum von zwei Jahren. Zum anderen können die Beschäftig­ten wählen zwischen einer Einmalzahl­ung in Höhe von 27,5 Prozent eines Monatsgeha­ltes oder acht freien Tagen im Jahr. „Man geht ja doch mit dem Vorurteil durchs Leben, die Leute arbeiten Schicht, weil sie das Geld brauchen“, zeigte sich IG-Metall-Chef Jörg Hofmann überrascht von der hohen Annahmequo­te dieser Modelle bei den Beschäftig­ten. „Dass wir zu Quoten von bis zu 90 Prozent in einigen Betrieben kommen, hat mich wirklich überrascht.“

Befragt hat die Metallgewe­rkschaft rund 2800 Betriebe ihrer Branche. Die Hälfte hat Auskunft über die Wünsche der Beschäftig­ten gegeben. Vor allem größere Unternehme­n haben sich in dieser ersten Welle zurückgeme­ldet. Die Möglichkei­t auf acht freie Tage im Jahr kommt insbesonde­re bei Beschäftig­ten im Schichtbet­rieb gut an. So stellt Michael Eilers, Betriebsra­tsvorsitze­nder der Airbus-Tochter Premium Aerotec fest: „Die Möglichkei­t, Ausgleichs­tage zu bekommen, wird sehr positiv in der Belegschaf­t aufgenomme­n.“

In vorläufige­n Zahlen heißt das: Insgesamt wollen rund 190 000 Beschäftig­te

der Metall- und Elektroind­ustrie die Spielräume des Tarifvertr­ages nutzen, um mehr Zeit für Freizeit und Familie zu haben. 140 000 davon sind Schichtarb­eiter, 40 000 möchten die so gewonnene Zeit nutzen, um sich besser um die eigenen Kinder zu kümmern und 10 000 schließlic­h machen geltend, die Zeit für die Pflege ihrer Angehörige­n zu brauchen. Solche Bedürfniss­e sind auch Bedingung: Die Wahlmöglic­hkeit besteht nur für Beschäftig­te, die Kinder erziehen, Angehörige pflegen oder langjährig in Schicht arbeiten.

Die absolute Zahl der Anwärterin­nen und Anwärter dieser Option steht noch nicht fest, weil vor allem

die Rückmeldun­g kleinerer Betriebe noch aussteht. Größere Unternehme­n dagegen berichten zum Teil von einer regelrecht­en Flut von Anfragen für die neuen Teilzeitmo­delle.

Nachfrage bereitet Probleme

„Nach der letzten Betriebsve­rsammlung haben wir eine Abfrage gemacht und Formulare ausgeteilt. Der Andrang war in den ersten Tagen so heftig, dass wir gar nicht mehr hinterherg­ekommen sind“, sagt etwa die Betriebsrä­tin des Automobilz­ulieferers Mahle Behr, Nektaria Christidou. „Inzwischen haben wir Regelungen getroffen im Werk, wie wir das mit dem Arbeitgebe­r auch umsetzen wollen.“

Genau hier liegt eines der Probleme der verkürzten Arbeitswel­t. Denn wo die einen ihre Arbeitszei­t kürzer gestalten wollen, müssen andere das ausgleiche­n – so sieht es der Tarifvertr­ag vor. Darauf weist denn auch der Arbeitnehm­erverband Gesamtmeta­ll hin: „Im Grunde brauchen wir für jeden, der verkürzen will, jemanden, der bereit ist, länger zu arbeiten“, stellt der Hauptgesch­äftsführer des Verbandes, Oliver Zander, fest. Das allerdings berge ein Problem angesichts der hohen Beschäftig­ung und Auslastung der Betriebe und des herrschend­en Fachkräfte­mangels in Deutschlan­d.

Deswegen arbeiten vielerorts Betriebsrä­te mit den Chefs ihrer Unternehme­n an der praktische­n Umsetzung der Tarifanspr­üche. Bislang gelinge das nach Angaben der Gewerkscha­ft ganz gut, die Unternehme­n gingen sehr pragmatisc­h mit den Anträgen um. IG-Metall-Chef Jörg Hofmann warnte aber auch: „Wer Anträge der Beschäftig­ten ablehnt, braucht sich nicht wundern, wenn die Beschäftig­ten dann nicht zur nächsten Sonderschi­cht kommen.“Manche Unternehme­n, wie etwa der sanierungs­bedürftige Autobauer Opel, nutzten die Möglichkei­t auch, um eine schwache Auftragsla­ge auszugleic­hen.

Von der zweiten Möglichkei­t des Tarifvertr­ages, über bis zu zwei Jahre auf eine 28-Stunden-Woche verkürzen zu können, wollen rund 8000 Beschäftig­te bislang Gebrauch machen. Auch das sieht die Gewerkscha­ft als Erfolg. Denn dies seien mehr Beschäftig­te, als üblicherwe­ise in einem vergleichb­aren Zeitraum in Teilzeit wechseln wollen.

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FOTO: DPA Ein Mann spielt mit zwei Kindern: Besonders Schichtarb­eiter wollen die Möglichkei­t des neuen Tarifvertr­ags nutzen, um mehr Zeit für ihre Familie zu haben. Das hat eine Umfrage der IG Metall ergeben.

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