Schwäbische Zeitung (Biberach)
Comic-Ikone Stan Lee gestorben
Er schuf die Figuren Spider-Man und Hulk – nun ist der Autor mit 95 Jahren gestorben
LOS ANGELES (dpa) - Vielleicht kam der Moment, als Comics endgültig im Mainstream angekommen waren, im November 2008. Stan Lee trat im East Room des Weißen Hauses auf das Podium, um sich vom damaligen US-Präsidenten George W. Bush die National Medal of Arts um den Hals hängen zu lassen, die höchste Kunstauszeichnung der US-Regierung.
Der Schöpfer von „Spider-Man“, „Hulk“und die „X-Men“stach aus den eher im Hintergrund werkelnden Comicautoren heraus und prägte das Genre. Nun ist Lee im Alter von 95 Jahren gestorben, wie „TMZ“und „Variety“unter Berufung auf Lees Tochter und deren Anwalt berichteten. Der Verlag Marvel Comics und der Entertainment-Riese Walt Disney würdigten Lee als „Superhelden“. „Stan Lee war so außergewöhnlich wie die Figuren, die er schuf“, wurde Disney-Konzernchef Bob Iger in einer Mitteilung von Marvel zitiert. Es sei heute fast unmöglich, einen Ort im Marvel-Universum zu finden, der nicht von Lee geprägt wurde.
„Heute haben wir einen wahrhaften Superhelden verloren“, zollte die Oscar-Akademie auf Twitter Tribut. „Stan Lee, danke dir für alles.“Als „einer der profiliertesten Geschichtenerzähler Amerikas“wurde Lee in Washington gefeiert – für ein Genre, das Literaturfreunde und Kritiker ein paar Jahrzehnte zuvor noch verschmäht hatten. Comics waren etwas für eine kleine Fangemeinde aus Nerds und Außenseitern, Fantasystoff für Kinder und Jugendliche eben. Erst in den 1980er und 1990er Jahren wandelten sich die Hefte zu hipper Popliteratur, ehe sie mit Blockbustern und Videospielen die Massen erreichten.
Auch selbst im Mittelpunkt
Der 1922 in New York geborene Stanley Martin Lieber half, diese Dämme zu brechen. Der Sohn rumänischer Einwanderer war noch ein Teenager, als er 1939 als Assistent beim Verlag Timely Comics begann, der später Marvel heißen sollte. Seine Lückenfüller-Texte in Ausgabe 3 des „Captain America“-Comics im Jahr 1941 werden als Debüt in einer Karriere voller „POW!“und „BANG!“gesehen. Kurz darauf schuf er mit „Destroyer“seine erste eigene Comicfigur und stand mit Künstlernamen Stan Lee im Heft, was später auch sein bürgerlicher Name wurde. Die anderen zwei Mitarbeiter überwarfen sich mit dem Verleger, und so schmiss der Junge aus der Bronx den Laden kurzerhand allein. Mit eigenen Comicserien half er dem Haus, finanziell klamme Zeiten in den 1940er und 1950er Jahren durchzustehen. Insgesamt schuf Lee mit Kirby, Steve Ditko und anderen rund 350 Comicfiguren. Mit seinem Konterfei – weiße Haare, Schnurrbart, FliegerSonnenbrille – wurde er bald selbst eine Art Meta-Superheld.
Lee setzte anders als die Konkurrenz auf menschliche, natürliche Seiten der übernatürlichen Helden: Daredevil ist blind, Hulk hat unkontrollierte Wutausbrüche. Und Streber Peter Parker, der als Spider-Man, ein Ungeziefer, die Wände von Hochhäusern erklimmt, sollte als „durchschnittlicher, schludriger Junge“erscheinen, sagte Lee. „Batman“lebt dagegen privat als Millionär Bruce Wayne, „Superman“kommt als allmächtiger Adonis vom Himmel geflogen. „Ich wusste nie, wer diese Charaktere sind“, sagte Lee 2013 mit Blick auf Helden anderer Verlage. „Übernatürliche Kräfte heißen denke ich nicht, dass es keine Charakterschwächen gibt, Familienprobleme oder sogar Geldsorgen. Ich habe versucht, Figuren als menschliche Wesen zu schreiben, die auch übernatürliche Kräfte haben.“
Lees eigene Schwäche war ihm zufolge, dass er mit seinen Erfindungen nicht viel Geld verdiente – sein Vermögen wurde allerdings auf rund 50 Millionen Dollar geschätzt. Auch er selbst wurde Star, hatte Gastauftritte in mehr als zwei Dutzend Filmen aus dem Marvel-Universum. Und obwohl er mit Mitte 90 gesundheitlich von Pflegern betreut wurde, ließ er sich gern bei Comic-Messen blicken, wo er sich oft von unzähligen Fans umringt sah. Nun trauert die Comic-Gemeinde.