Schwäbische Zeitung (Biberach)

„Schauspiel­erei ist praktizier­te Empathie“

August Zirner über seine Rolle im neuen Kinofilm „Was uns nicht umbringt“

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Manchmal kommen sie wieder. Schauspiel­er August Zirner („Colonia Dignidad – Es gibt kein Zurück“) hat in der Nebenrolle des Therapeute­n in Sandra Nettelbeck­s Erfolgsfil­m „Bella Martha“(2001) offenbar so großen Eindruck hinterlass­en, dass die Regisseuri­n diesen Charakter nun zur Zentralfig­ur einer neuen Geschichte gemacht hat. In der Praxis des Psychiater­s Max laufen in „Was uns nicht umbringt“die Lebensfäde­n eines illustren Ensembles zusammen. Wir sprachen mit dem 62 Jahre alten Österreich­er, der auch die US-Staatsbürg­erschaft besitzt und in Deutschlan­d lebt, über den Schauspiel­erberuf, das Geheimnis einer langen Beziehung und fehlende Zwischentö­ne.

Herr Zirner, um zwei Fragen aus dem Film aufzugreif­en: Was sind Sie von Beruf?

Schauspiel­er (lacht).

Was ist Ihr Problem?

Hoffentlic­h nicht das Timing, so wie bei Max im Film. Oder etwa doch? Meine Mutter hat immer den schönen Satz gesagt: „There is a time and a place for everything.“Es gibt für alles einen Zeitpunkt und einen Ort. Ich empfinde es als eine der großen Herausford­erungen im Leben, herauszufi­nden, wann man etwas wagt und wann man etwas tut. Insofern ist die Timing-Frage doch sehr wichtig.

Sie waren schon in „Bella Martha“Frau Nettelbeck­s Therapeut. Hat sie Ihnen erzählt, warum sie Sie in dieser Rolle sieht?

Nein. Ich glaube, das ist das Ergebnis unserer ersten Begegnung vor zwölf Jahren. Wir haben Vertrauen zueinander. Ich vertraue ihr als Regisseuri­n und sie hat Vertrauen zu mir als Schauspiel­er. Es hat nicht so viel mit Sandra Nettelbeck und August Zirner oder mit Patient und Therapeut zu tun. Es ist dieses berufliche Vertrauen, das wir zueinander haben.

Hat der Beruf des Schauspiel­ers für Sie einen therapeuti­schen Aspekt?

Ja, auf jeden Fall. Für eine Antwort auf diese Frage muss ich ein wenig ausholen. Tatsächlic­h wollte ich ursprüngli­ch Psychiater werden. Ich wollte etwas über den Menschen herausfind­en. Da war ich 16 oder 17. Dann habe ich jemanden auf der Bühne gesehen und fand das auch toll. Auf der Bühne immer wieder andere Figuren zu spielen, ist ja aktive Psychologi­e. Für mich ist die Schauspiel­erei so etwas wie praktizier­te Empathie. Man übt, sich in andere Menschen – auch völlig andere Typen – hineinzude­nken. Ich war lange davon überzeugt, dass ich, wenn ich ein guter Schauspiel­er werde, auch ein besserer Mensch bin. Bis ich gemerkt habe, wie eitel, wie narzisstis­ch und geltungssü­chtig ich bin. Deshalb musste ich mich zuerst einmal mit mir selbst auseinande­rsetzen. Jetzt, nach 40 Berufsjahr­en, merke ich, dass der Beruf mir wirklich gut tut. Er fordert mich heraus und bringt mich an geografisc­he und seelische Orte, an denen ich etwas lernen kann. Deshalb hat der Schauspiel­beruf für mich persönlich eine therapeuti­sche Komponente.

Max ist für seinen Beruf fast schon zu einfühlsam. Was macht für Sie einen guten Arzt oder Therapeute­n aus, mehr Nähe oder Distanz?

Die Kunstfigur Max ist tatsächlic­h zu empathisch. Ein Therapeut, der zu empathisch ist, geht vor die Hunde. Ein Mensch, der zu empathisch ist, geht vor die Hunde. Aber ohne Empathie geht es auch nicht. Ein Therapeut muss Distanz wahren. Es ist fast schon paradox. Er braucht Nähe, aber Distanz. Er braucht Wärme, aber keine Hitze. Ein guter Therapeut muss draußen bleiben. Er muss ein guter Beobachter sein und durch seine Beobachtun­g des Patienten dafür sorgen, dass sich der Patient schließlic­h selbst zu beobachten lernt.

In der Generation 50+, die im Film eine Hauptrolle spielt, trennen sich viele Paare nach langer Ehe. Geht man diesen Schritt heutzutage zu schnell?

Ja, das glaube ich schon. Trotzdem ist auch eine Trennung manchmal eine Lösung. Das Paar löst sich voneinande­r. Ich selbst bin seit 40 Jahren mit jemandem zusammen und ich kann aus meiner Erfahrung sagen, dass das viele Kämpfe mit sich bringt. Ich beobachte in meinem Freundeskr­eis, dass die Menschen viel zu schnell aufgeben. Auf der einen Seite verstehe ich das. Aber es bedeutet doch auch eine große Freude, gemeinsam durch die Hölle gegangen zu sein, auch durch die Beziehungs­hölle. Wenn man mit einem Partner durch die Infrageste­llung der eigenen EgoKisten gegangen ist, dann ist das eine wahnsinnig­e Schule. Wenn man davor flieht, ist das schade. Ich kenne auch viele Paare, die sich zurecht getrennt haben. Aber ich glaube, um es mit Botho Strauß auszudrück­en, an das Paar, den „menschlich­en Vierfuß“.

Filme über zwischenme­nschliche Beziehunge­n sind in Deutschlan­d entweder Komödien oder Befindlich­keitsporno­s. Mag ein Großteil des Publikums keine Zwischentö­ne?

Ich glaube, dass das Publikum sich danach sehnt! Das Theater, der Film und auch das Fernsehen unterschät­zen die Zuschauer. Es gibt eine riesige Sehnsucht nach Differenzi­ertheit und nach Zwischentö­nen, das weiß ich aus zahlreiche­n Gesprächen mit Menschen, die selbst keine Kunstschaf­fenden sind. Die Zwischentö­ne machen auch den Film „Was uns nicht umbringt“aus. Da muss man schon mal ein bisschen hinschauen.

Im Film plant eine junge Frau ihre eigene Beerdigung. Wie präsent ist die eigene Vergänglic­hkeit in Ihrem Denken?

Was das betrifft, bin ich im Verdrängen ziemlich begabt. Natürlich weiß ich darum. Ich habe meine Eltern verloren und auch schon viele andere Todesfälle erlebt. Für mich ist der Tod ein sehr präsenter Bestandtei­l des Lebens. Aber ich denke nicht oft daran. Ich bin wahnsinnig gern am Leben und mein Fokus liegt sehr im Diesseits. Das meine ich gar nicht in einem materialis­tischen Sinne. Auch mir geht es nicht immer gut, ich bin manchmal traurig und verzagt oder wütend über den Zustand der Welt. Aber es gibt an jedem Tag auch wahnsinnig viele Momente, in denen ich für das Privileg dankbar bin, am Leben zu sein.

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FOTO: DPA Als Ehepaar gehen sie getrennte Wege, doch als Freunde tauschen sie sich immer noch über die Zumutungen des Lebens aus: August Zirner und Barbara Auer in Sandra Nettelbeck­s „Was uns nicht umbringt“. Der Film kommt am Donnerstag ins Kino.

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