Schwäbische Zeitung (Biberach)
„Superfoods bieten keinen Zusatznutzen“
Der Ernährungswissenschaftler Bernhard Watzl über das Zusammenspiel von Lebensmitteln und Gesundheit
RAVENSBURG - Südamerikanische Acai-Beeren, asiatische Gojibeeren, Chiasamen oder Granatäpfel – die Liste der sogenannten Superfoods wird immer länger. Verbraucherschützer raten seit geraumer Zeit, die Werbebotschaften mit gesundheitlichen Heilsversprechen nur mit Vorsicht zu genießen. Aber was haben die exotischen Lebensmittel ernährungsphysiologisch zu bieten? Mehr als das heimische Obst und Gemüse? Dirk Uhlenbruch hat darüber mit dem Ernährungswissenschaftler Bernhard Watzl gesprochen.
Egal ob im Super- oder im Drogeriemarkt – Superfoods, die gesund, fit und schlank machen sollen, sind allgegenwärtig. Was verbirgt sich aus Sicht eines Ernährungswissenschaftlers hinter diesem Begriff?
Eine gängige Definition dafür gibt es nicht. Die Wissenschaft hat diesen Begriff ja auch gar nicht geprägt. Letztendlich stammt er aus dem Marketing für neuere, moderne Lebensmittel, die nicht unbedingt in unserer Kultur beheimatet sind – beispielsweise exotische Beeren und
Pflanzen.
Aber eint nicht der hohe Nährstoffgehalt all das, was landläufig unter Superfood verstanden wird?
Da könnte ich mich anschließen. Dann wäre es aber auch sinnvoll, beispielsweise die Leber mit ihrem sehr günstigen Verhältnis zwischen vielen Nährstoffen und moderater Energiemenge als Superfood zu bezeichnen. Noch naheliegender in diesem Zusammenhang ist der Lachs, der hohe Mengen an Omega-3-Fettsäuren, Vitamin D, Selen und hochwertigem Protein aufweist.
In der Werbung für Superfood wird gleichzeitig auch immer wieder besonders der hohe Anteil der Antioxidantien herausgestrichen. Warum sind diese Stoffe für den menschlichen Organismus so wichtig?
Oxidation, also die chemische Reaktion auf Sauerstoff, geht häufig mit einer Veränderung sowohl bei Lebensmitteln als auch beim Menschen einher, die sich negativ auf den Organismus auswirken kann. Deshalb ist der Körper auch ganz allein in der Lage, bei Bedarf antioxidative Mechanismen bereitzustellen. Da sind wir in der Regel in einem guten Gleichgewicht. Wir können diesen Prozess allerdings positiv beeinflussen, indem wir die Menge der im Körper gebildeten Antioxidantien vergrößern durch die Aufnahme von Lebensmittelinhaltsstoffen wie etwa Vitamin C und E. Den gleichen Effekt bewirken auch sekundäre Pflanzenstoffe wie beispielsweise Karotinoide.
Der gesundheitlich positive Einfluss der Antioxidantien ist wissenschaftlich belegt?
Selbstverständlich. Früher war man allerdings der Ansicht, dass es von zentraler Wichtigkeit wäre, möglichst viele Antioxidantien zu sich zu nehmen, um das Risiko etwa für Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu senken. Heute wissen wir, dass das so nicht stimmt. Viele Faktoren und
Inhaltsstoffe von Lebensmitteln spielen bei der Prävention eine Rolle, und die Antioxidantien tragen einen kleinen Teil bei.
Welche Lebensmittel enthalten denn besonders viele Antioxidantien?
Zu nennen sind hier viele Obst- und Gemüsearten, etwa Zitrusfrüchte, Johannisbeeren, Kartoffeln oder Paprika. Die Antioxidantien sind also – ebenso wie Vitamine und Mineralstoffe – keineswegs nur den Superfoods wie den Gojibeeren vorbehalten.
Was halten Sie vor diesem Hintergrund von dem ganzen Rummel, der um die Superfoods veranstaltet wird?
Nichts. Die Werbung suggeriert den Verbrauchern, dass diese Lebensmittel besonders wichtig wären für eine gesunde Ernährung, die vor Krankheiten schützt. Richtig ist: Wenig tierische Produkte sowie ein hoher Anteil an pflanzlichen und wenig verarbeiteten Lebensmitteln sind die Merkmale einer gesundheitsfördernden Ernährung. Wie ich das sicherstelle, spielt eine völlig untergeordnete Rolle. Leider wird dem Kunden aber eingeredet, dass unsere heimischen Lebensmittel bezüglich der Schutzwirkung auf einer schlechteren Stufe stünden als die Superfoods. Das ist natürlich nicht der Fall. Wenn Sie Erdbeeren, Äpfel, Birnen, Kirschen, Zitrusfrüchte oder gerade auch Walnüsse essen, sind Sie genauso gut versorgt.
Also gibt es keinen wirklichen Zusatznutzen durch die vielbeworbenen Superfoods?
Nein, Superfoods bieten keinen Zusatznutzen. Auch wenn es eine interessante Erfahrung sein kann, exotische Lebensmittel zu essen. Die Deutschen reisen ja sehr viel, und da finde ich es eigentlich toll, wenn man offen ist, auch daheim Neues auszuprobieren und wertzuschätzen.
Können Verbraucher ganz im Gegenteil etwas falsch machen durch den Genuss von Superfoods?
Bei all den Dingen, die bei uns zugelassen sind, besteht gesundheitlich kein Anlass zur Sorge. Kritisch einzuschätzen sind hingegen die langen Transportwege. Viele Superfoods kommen aus tropischen Regionen. Mit Nachhaltigkeit hat das dann nur sehr wenig zu tun.