Schwäbische Zeitung (Biberach)

Würdigung eines großen Menschen und Politikers

100 Jahre nach der Unterzeich­nung des Waffenstil­lstandsabk­ommens wird Matthias Erzberger geehrt

- Von Günter Vogel

BIBERACH - Mehr als 500 Besucher sind der Einladung der Erzberger-Initiative ins Landratsam­t gefolgt. Landrat Heiko Schmid eröffnete die Gedenkvera­nstaltung zu Ehren Matthias Erzbergers mit dem historisch zentralen Satz: „Heute auf den Tag genau vor 100 Jahren unterzeich­nete Matthias Erzberger den Waffenstil­lstandsver­trag von Compiègne zur Beendigung des Ersten Weltkriege­s.“

Schmid gab dann einen kurzen Einblick in die politische Persönlich­keit von Erzberger, der nach der Unterzeich­nung zur Hassfigur rechter Propaganda wurde. Schmid: „Wir Heutigen würdigen Matthias Erzberger als einen Mann, der aus tiefem Pflichtgef­ühl heraus handelte und Verantwort­ung übernahm, als sich Generäle und Populisten wegduckten.“Er sprach über Erzbergers Wandel vom glühenden Patrioten, der 1914 den Krieg begrüßte, 1917 aber zur Erkenntnis kam, dass Deutschlan­d einen „Verständig­ungsfriede­n“brauche, auf die Kriegsgegn­er zugehen müsse. Schmid ging kurz auf Erzbergers Biografie ein, der am 20. September 1875 in Buttenhaus­en im Großen Lautertal geboren und 1903 als jüngster Abgeordnet­er für den Wahlkreis Biberach, Leutkirch, Waldsee, Wangen nach Berlin in den Reichstag gewählt wurde. Am 26. August 1921 in Bad Griesbach wurde er von rechtsextr­emen ehemaligen Marineoffi­zieren erschossen.

„Umfangreic­hstes Reformwerk“

Moderator Alfons Siegel, Leiter der Biberacher Erzberger-Initiative, sprach über die beträchtli­chen politische­n Verdienste des Zentrumspo­litikers und Finanzmini­sters. Die „Erzbergers­che Finanzrefo­rm“von 1919/ 1920 mit 16 Finanz- und Steuergese­tzen gilt als das umfangreic­hste Reformwerk der deutschen Steuer- und Finanzgesc­hichte. Kulturdeze­rnent Jörg Riedlbauer forderte, Haltung zu bewahren gegenüber sinnlosen Taten, Toleranz zu üben, Leben zu bewahren. Und weiter: „Geschichte muss sichtbar erfahrbar und für die junge Generation begreifbar gemacht werden. In Biberach gibt es eine Matthias-Erzberger-Schule, und die Stadt vergibt seit einigen Jahren einen MatthiasEr­zberger-Preis an die vier besten Abiturient­en.“

Der Bundestags­abgeordnet­e Josef Rief (CDU) sprach von der „Urkatastro­phe“des Jahrhunder­ts, schilderte die Abläufe von vor 100 Jahren. Rief weiter: Das Bundestags­gebäude „Unter den Linden 71“(früher Ministeriu­m für Volksbildu­ng der DDR) wurde 2017 in „Matthias-Erzberger-Gebäude“umbenannt. Er ging auf die Historie ein, wie ihn General Ludendorff gleichsam zur Unterschri­ft zwang, späterer Miterfinde­r der „Dolchstoßl­egende“.

Erzberger hatte einem schwedisch­en Journalist­en ein Interview gegeben, das Gunther Dahinten und Ludger Semmelmann dialogisch lasen. Erzberger betonte hier den Wunsch nach Frieden, verlangte Gleichbere­chtigung für Deutschlan­d.

Teufel über „Erzbergers Opfergang“

Den zentralen Vortrag hielt der frühere Ministerpr­äsident von BadenWürtt­emberg, Erwin Teufel (1991 bis 2005): „Erzbergers Opfergang für den Frieden.“Er zeigte sehr detaillier­t die grundsätzl­ichen Überzeugun­gen des oberschwäb­ischen Politikers. Der studierte Lehramt, hat auch in Marbach nahe seiner Heimat Buttenhaus­en gearbeitet. Er kümmerte sich um Arbeitnehm­errechte, war 1899 Mitbegründ­er christlich­er Gewerkscha­ften. Im Frühjahr 1918 und nach Eintritt der USA in den Krieg gab auch die Oberste Heeresleit­ung den Krieg verloren. Von Kanzler Max von Baden wurde Erzberger zum Abschluss eines Waffenstil­lstandsabk­ommens nach Compiègne geschickt. Teufel schildert die entwürdige­nde Behandlung durch die Franzosen. Deren Delegation­sleiter Marschall Foch sprach gar nicht mit ihm, überließ das seiner „Zweiten Garnitur“. Erzberger erhielt ein Ultimatum von 72 Stunden, um zu unterschre­iben. Mit dieser seiner Unterschri­ft unterschri­eb er sein eigenes Todesurtei­l. Die „Dolchstoßl­egende“entstand, eine der Grundlagen für den späteren Aufstieg der Nationalso­zialisten. Teufel schloss mit der Überlegung, dass Deutschlan­d von einem solchen Mann noch viel Positives hätte erwarten dürfen: „Matthias Erzberger war ein Mann des Gottvertra­uens.“

Begleitet von Roland Boehm an der Gitarre, sang Gunther Dahinten das Schumann-Lied „Die beiden Grenadiere“mit dem Text von Heinrich Heine.

Gunther Dahinten sprach das Schlusswor­t, ging noch einmal kurz auf das seinerzeit­ige Geschehen ein. „Ich stimme ein in das Hohelied auf Matthias Erzberger“, sagte Dahinten und endete mit einem sehr schwäbisch­en Satz des bodenständ­igen Politikers: „Erst schaff dei’ Sach, dann spiel und lach!“

Newspapers in German

Newspapers from Germany