Schwäbische Zeitung (Biberach)
„Kritiker führen auf die falsche Fährte“
Gerhard Glaser: Die Insektenpopulation in Oberschwaben entwickelt sich positiv
SCHEMMERHOFEN - Gerhard Glaser weiß genau, dass er seine 100 Milchkühe niemals ohne die Hilfe vieler kleiner Helferlein füttern könnte. Insekten helfen ihm, seine insgesamt 100 Hektar Acker- und Grünland mit Klee, Mais und anderen Feldfrüchten bewirtschaften zu können. Julius Böhm hat den Vizepräsidenten des Landesbauernverbands und Vorsitzenden des Bauernverbands Biberach-Sigmaringen auf seinem Hof in Schemmerhofen getroffen und mit ihm über die Rolle der Insekten in der Landwirtschaft gesprochen – und darüber, wer Schuld hat am Insektensterben. Als Referent hat Glaser an der Tagung mit dem Titel „Insektensterben: Analyse – Auswirkungen – Gegenmaßnahmen“im Tagungshaus der Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart in Weingarten teilgenommen.
Herr Glaser, was wäre die Landwirtschaft in Baden-Württemberg und im Bodenseekreis ohne das Zutun von Insekten aller Art?
Sie wäre schlichtweg nicht vorstellbar. Wir Bauern wissen genau, dass die Insekten – angefangen bei der Biene als Paradebeispiel – zu den wichtigsten Mitarbeitern der Landwirtschaft gehören. Ich glaube, dass dafür eine hohe Sensibilität bei den Landwirten existiert. Wir gehen ganz bewusst auf Imker zu und tauschen Informationen aus, die beiden Seiten helfen.
Nun hat die Krefelder Studie erschreckende Zahlen hervorgebracht: In den vergangenen 27 Jahren sollen vor allem Fluginsekten um bis zu 80 Prozent zurückgegangen sein. Die Debatte über Insektensterben ist in vollem Gange. Wenn sich die Studie auf ganz Deutschland oder gar auf ganz Europa übertragen ließe, wäre die Situation ganz schrecklich. Dann wäre Alarmstufe Rot. Die besagte Studie hat aber auch Mängel. Sie wollte ursprünglich untersuchen, wie sich das Insektenaufkommen bei der Extensivierung einer ehemals intensiv landwirtschaftlich genutzten Fläche entwickelt. Die aktuell diskutierten Ergebnisse der Studie sind also nur eine Randbeobachtung. Außerdem ist Krefeld nicht Biberach, Ravensburg oder Sigmaringen. Die Studie lässt sich nicht so einfach auf das ganze Land übertragen – geschweige denn auf unsere Region.
Gibt es in Oberschwaben also noch keine Probleme?
Klagen von Obstbauern, die Probleme mit der Bestäubung ihrer Pflanzen haben, sind mir nicht bekannt. Unsere Region entwickelt sich durchaus positiv, was Umweltparameter und die Belange von Insekten angeht. Erste Imker loben schon die Bauern, weil sie zum Beispiel die „Durchwachsene Silphie“als Alternativpflanze zu Silomais bei der Energiegewinnung verwenden. Das hat der Vitalität der Bienenbestände wohl sehr gutgetan und das ist nur ein Beispiel.
Der Landwirtschaft wird bei der Schuldfrage trotzdem oft der Schwarze Peter zugeschoben …
Die reflexartigen Aussagen lauten immer: „Wer, abgesehen von den Bauern, hantiert mit Chemie in der Umwelt? Die müssen ja schuld sein.“Ich kannte die Zeit noch, in der man Pflanzenschutzmittel ausgebracht hat, die 100-mal billiger waren, aber viel, viel stärker als die heutigen. Das ist 40 Jahre her. Das waren noch echte Chemiekeulen. Heutige Pflanzenschutzmittel sind viel zielgenauer und greifen deutlich weniger in die Natur ein. Und es ist scheinheilig, zu behaupten, wir Bauern wären die Einzigen. Was ist mit Feinstaub, was ist mit Elektrosmog, welchen Einfluss haben Verkehrsschneisen durch die Natur?
Machen es sich Kritiker also zu einfach?
Sie führen auf die falsche Fährte. Wissenschaftler haben anhand des Vogelflugs der Feldlerche belegt, dass besonders dort, wo viel menschliches Treiben herrscht, wenig Insekten leben. Viele Vögel sind ein Anzeichen für viele Insekten und die Feldlerche hat diese Gebiete gemieden. Schaut man sich die Agrarstruktur in den neuen Bundesländern mit deutlich größeren intensiv bewirtschafteten Feldern an, könnte man denken, dass durch den Einfluss der Landwirtschaft dort kaum Insekten vorkommen. Es ist aber umgekehrt. Dort ist viel weniger menschliches Treiben, dafür gibt es in diesen sogenannten Agrarwüsten viel mehr Insekten als bei uns.
Wer hat nun Schuld am akuten Insektensterben?
Ich bin weit davon entfernt, die Landwirtschaft freizusprechen. Ich bin mir ziemlich sicher, dass wir alle unseren Beitrag zu diesem Thema leisten. Wenn ich mir aber die Entwicklung der heimischen Landwirtschaft der vergangenen 30 Jahre vor Augen halte und der wirtschaftlichen Entwicklung gegenüberstelle und die damit verbundenen Emissionen, würde ich mich als Politiker zunächst der Wirtschaft widmen.