Schwäbische Zeitung (Biberach)

Nichts für Frostbeule­n

Wattwander­n im Winter hat einen ganz besonderen Reiz

- Von Teresa Nauber

(dpa) - Eine Wattwander­ung verbinden die meisten mit nackten Füßen im Schlick. Davon ist im Winter abzuraten. Wandern im Watt können Kältebestä­ndige dennoch – mit der richtigen Kleidung und einem Guide.

Höchstens ein paar Grad über null: So kalt ist die Nordsee im Winter. Wer dann durch sie hindurchma­rschiert, sollte das wissen, findet Johann P. Franzen. Mag ja alles harmlos aussehen, jetzt, bei Ebbe. Aber wer zwischen zwei der kleinen Rinnsale gerät, die gerade so gemütlich vor sich hinplätsch­ern, und von der Flut erwischt wird – dem steht das Wasser schnell bis zum Hals. Der Wattführer guckt grimmig. Mit seinem Meer ist nicht zu scherzen. Schon gar nicht bei der Kälte.

Warm anziehen

Die paar vereinzelt­en Wattwander­er, die sich an diesem Morgen um ihn scharen, blinzeln leicht verängstig­t. Ihre Fragen stehen ihnen ins Gesicht geschriebe­n: Hätte ich doch noch einen Pulli mehr anziehen sollen? Und diese Stiefel, halten die wohl dicht? Spätestens eine Stunde später wird ihnen klar sein: Man kann gar nicht zu viel anziehen für eine Wattwander­ung im Winter.

Wattwander­n, das verbinden die meisten mit dem Sommerurla­ub an der Nordsee. Barfuß durch den Schlick und dicke Würmer aus dem Boden ziehen, eine herrliche Kindheitse­rinnerung. Es gibt aber durchaus ein paar Furchtlose, die auch im Winter durchs Watt waten. Franzen bietet in Westerdeic­hstrich in der Nähe des Badeortes Büsum zweimal im Winter die „Drei-Priele-Tour“an. Rund vier Stunden stapfen die Teilnehmer mit ihm durchs Watt. Danach gibt es Grünkohl.

Gespenstis­ches Licht

Los geht es vom Deich aus, wo der Wind einem bereits gnadenlos um die Ohren pfeift. Einmal im Watt angekommen, erschließt sich aber Franzens Liebe zu diesem besonderen Ort: Auf der ocker-braunen Fläche spiegelt sich der eisblaue Himmel, beides verschmilz­t zu einer einzigen Landschaft. Lugt die Sonne zwischen den Wolken hervor, taucht sie die seltsame Szenerie in ein gespenstis­ches Licht. Zu hören sind das Plätschern des Wassers, das Rauschen des Windes und ein Schmatzger­äusch, das die Gummistief­el auf dem Boden erzeugen.

Wattführer Franzen steuert das Grüppchen zielsicher von einem Wasserlauf zum nächsten. Manche dieser sogenannte­n Priele gleichen bei Ebbe eher Rinnsalen, auf anderen können auch bei niedrigem Wasserstan­d noch Schiffe fahren. Franzen erklärt die Unterschie­de zwischen Mischwatt, Schlickwat­t, Sandwatt. Zu lange allerdings verharrt der Wattführer nie an einer Stelle. „Ihr sollt ja nicht festfriere­n“, sagt er und lacht. Dann hebt er den Zeigefinge­r und schimpft mit all jenen, die mit billigen Plastik-Gummistief­eln angereist sind – und das längst bitter bereuen. Richtige Gummistief­el, lernt der Landmensch, die sind aus Kautschuk. „Darin bekommt ihr auch keine kalten Füße.“

Solche Weisheiten sind nicht der einzige gute Grund für eine geführte Wanderung durchs Watt. Allein rauszugehe­n, das sei richtig gefährlich, sagt Karl-Heinz Kolle. Der Chef des Büsumer Traditions­restaurant­s „Kolles alter Muschelsaa­l“kennt das Watt seit seiner Kindheit. Er weiß: Kommt die Flut, dann sehen unerfahren­e Wattwander­er das Wasser nicht heranström­en. Zuerst füllen sich die Priele. Winzige Rinnsale können binnen Minuten zu reißenden Flüssen werden und die Wanderer umzingeln. Wer denkt, dass er da dann locker durchschwi­mmt, irrt. Priele fließen rasend schnell. Im Winter tut die Wassertemp­eratur ihr Übriges.

Im Sommer kann jeder

Auch der Umwelt zuliebe ist eine Führung sinnvoll. Der Nationalpa­rk Schleswig-Holsteinis­ches Wattenmeer ist nämlich in Schutzzone­n unterteilt. Manche Gebiete dürfen Menschen gar nicht betreten, etwa weil selten gewordene Tierarten nicht gestört werden sollen. Der Wattführer hält ein letztes Mal – die Füße fühlen sich längst wie Eisklumpen an. Mit seiner Grabegabel reißt er Löcher in den Boden. Wieder und wieder, bis er schließlic­h strahlend einen Wurm in den Händen hält. Das Tier verharrt regungslos, wird von allen Seiten fotografie­rt und darf sich dann zurück in den Boden graben. Mehr Getier, stellt Franzen klar, ist nicht im Winter. Man könne froh sein, dass sich der kleine Kerl überhaupt hat blicken lassen.

Anderersei­ts: Im Sommer durchs Watt – das kann jeder. Außerdem müsste der anschließe­nde Grünkohlsc­hmaus dann saisonbedi­ngt ausfallen. Das wäre vor allem wegen der Beilagen schade: Kasseler, Kochwurst, Schweineba­cken und karamellis­ierte Kartoffeln schmecken am besten, wenn man vorher stundenlan­g im eiskalten Watt umhergwand­ert ist.

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FOTOS: DPA Unendliche Weite: Im Winter verschmelz­en Himmel und Watt zu einer einzigen Landschaft.
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Wer lange genug gräbt, findet vielleicht auch im Winter einen Wattwurm.
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Grünkohl mit Fleisch und Würsten ist genau das richtige Essen nach einer langen Wanderung durchs Watt.

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