Schwäbische Zeitung (Biberach)
Nichts für Frostbeulen
Wattwandern im Winter hat einen ganz besonderen Reiz
(dpa) - Eine Wattwanderung verbinden die meisten mit nackten Füßen im Schlick. Davon ist im Winter abzuraten. Wandern im Watt können Kältebeständige dennoch – mit der richtigen Kleidung und einem Guide.
Höchstens ein paar Grad über null: So kalt ist die Nordsee im Winter. Wer dann durch sie hindurchmarschiert, sollte das wissen, findet Johann P. Franzen. Mag ja alles harmlos aussehen, jetzt, bei Ebbe. Aber wer zwischen zwei der kleinen Rinnsale gerät, die gerade so gemütlich vor sich hinplätschern, und von der Flut erwischt wird – dem steht das Wasser schnell bis zum Hals. Der Wattführer guckt grimmig. Mit seinem Meer ist nicht zu scherzen. Schon gar nicht bei der Kälte.
Warm anziehen
Die paar vereinzelten Wattwanderer, die sich an diesem Morgen um ihn scharen, blinzeln leicht verängstigt. Ihre Fragen stehen ihnen ins Gesicht geschrieben: Hätte ich doch noch einen Pulli mehr anziehen sollen? Und diese Stiefel, halten die wohl dicht? Spätestens eine Stunde später wird ihnen klar sein: Man kann gar nicht zu viel anziehen für eine Wattwanderung im Winter.
Wattwandern, das verbinden die meisten mit dem Sommerurlaub an der Nordsee. Barfuß durch den Schlick und dicke Würmer aus dem Boden ziehen, eine herrliche Kindheitserinnerung. Es gibt aber durchaus ein paar Furchtlose, die auch im Winter durchs Watt waten. Franzen bietet in Westerdeichstrich in der Nähe des Badeortes Büsum zweimal im Winter die „Drei-Priele-Tour“an. Rund vier Stunden stapfen die Teilnehmer mit ihm durchs Watt. Danach gibt es Grünkohl.
Gespenstisches Licht
Los geht es vom Deich aus, wo der Wind einem bereits gnadenlos um die Ohren pfeift. Einmal im Watt angekommen, erschließt sich aber Franzens Liebe zu diesem besonderen Ort: Auf der ocker-braunen Fläche spiegelt sich der eisblaue Himmel, beides verschmilzt zu einer einzigen Landschaft. Lugt die Sonne zwischen den Wolken hervor, taucht sie die seltsame Szenerie in ein gespenstisches Licht. Zu hören sind das Plätschern des Wassers, das Rauschen des Windes und ein Schmatzgeräusch, das die Gummistiefel auf dem Boden erzeugen.
Wattführer Franzen steuert das Grüppchen zielsicher von einem Wasserlauf zum nächsten. Manche dieser sogenannten Priele gleichen bei Ebbe eher Rinnsalen, auf anderen können auch bei niedrigem Wasserstand noch Schiffe fahren. Franzen erklärt die Unterschiede zwischen Mischwatt, Schlickwatt, Sandwatt. Zu lange allerdings verharrt der Wattführer nie an einer Stelle. „Ihr sollt ja nicht festfrieren“, sagt er und lacht. Dann hebt er den Zeigefinger und schimpft mit all jenen, die mit billigen Plastik-Gummistiefeln angereist sind – und das längst bitter bereuen. Richtige Gummistiefel, lernt der Landmensch, die sind aus Kautschuk. „Darin bekommt ihr auch keine kalten Füße.“
Solche Weisheiten sind nicht der einzige gute Grund für eine geführte Wanderung durchs Watt. Allein rauszugehen, das sei richtig gefährlich, sagt Karl-Heinz Kolle. Der Chef des Büsumer Traditionsrestaurants „Kolles alter Muschelsaal“kennt das Watt seit seiner Kindheit. Er weiß: Kommt die Flut, dann sehen unerfahrene Wattwanderer das Wasser nicht heranströmen. Zuerst füllen sich die Priele. Winzige Rinnsale können binnen Minuten zu reißenden Flüssen werden und die Wanderer umzingeln. Wer denkt, dass er da dann locker durchschwimmt, irrt. Priele fließen rasend schnell. Im Winter tut die Wassertemperatur ihr Übriges.
Im Sommer kann jeder
Auch der Umwelt zuliebe ist eine Führung sinnvoll. Der Nationalpark Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer ist nämlich in Schutzzonen unterteilt. Manche Gebiete dürfen Menschen gar nicht betreten, etwa weil selten gewordene Tierarten nicht gestört werden sollen. Der Wattführer hält ein letztes Mal – die Füße fühlen sich längst wie Eisklumpen an. Mit seiner Grabegabel reißt er Löcher in den Boden. Wieder und wieder, bis er schließlich strahlend einen Wurm in den Händen hält. Das Tier verharrt regungslos, wird von allen Seiten fotografiert und darf sich dann zurück in den Boden graben. Mehr Getier, stellt Franzen klar, ist nicht im Winter. Man könne froh sein, dass sich der kleine Kerl überhaupt hat blicken lassen.
Andererseits: Im Sommer durchs Watt – das kann jeder. Außerdem müsste der anschließende Grünkohlschmaus dann saisonbedingt ausfallen. Das wäre vor allem wegen der Beilagen schade: Kasseler, Kochwurst, Schweinebacken und karamellisierte Kartoffeln schmecken am besten, wenn man vorher stundenlang im eiskalten Watt umhergwandert ist.