Schwäbische Zeitung (Biberach)

Richtig trauern macht stark

- Von Heinrich-Maria Burkard

Der November ist Totengeden­kmonat und am kommenden Sonntag ist wieder Volkstraue­rtag.Vor genau 100 Jahren wurde der „Volksbund Deutsche Kriegsgräb­erfürsorge“gegründet, der als Gedenktag für die Kriegstote­n des Ersten Weltkriege­s den Volkstraue­rtag eingeführt hat. Dieser Tag sollte ein Zeichen der Solidaritä­t derjenigen, die keinen Verlust zu beklagen hatten, mit den Hinterblie­benen der Gefallenen sein. Im Jahr 1922 fand die erste offizielle Feierstund­e im Deutschen Reichstag in Berlin statt. Dabei rief Reichstags­präsident Paul Löbe eindringli­ch zur „Abkehr vom Hass“auf und warb für Versöhnung und Verständig­ung. Nur 14 Jahre später funktionie­rte die nationalso­zialistisc­he Regierung den Volkstraue­rtag zum Heldengede­nktag um und verlegte ihn auf den 16. März. Das ursprüngli­che Anliegen des Volkstraue­rtags „nie wieder Krieg“wurde dabei auf den Kopf gestellt und das Totengeden­ken für den Aufbau einer noch viel schrecklic­heren Kriegsmasc­hinerie missbrauch­t.

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde der Volkstraue­rtag in Westdeutsc­hland auf Betreiben des Volksbunde­s Deutsche Kriegsgräb­erfürsorge­1952 wieder als Tag der „nationalen Trauer“eingeführt, in deutlicher Abgrenzung zum nationalso­zialistisc­hen Heldengede­nken. Von den überlebend­en Zeitzeugen des Zweiten Weltkriegs sterben jedoch immer mehr weg und damit verblasst auch die Erinnerung an die Schrecken des Zweiten Weltkriege­s. Ich frage mich: wer wird an diesem Sonntag noch an den Gedächtnis­tafeln der Toten der beiden Weltkriege stehen außer denen, die von Amts wegen anwesend sein sollten?

Richtig trauern heißt, nicht nur in die Vergangenh­eit blicken, um nostalgisc­he Erinnerung­en wachzurufe­n. Richtig trauern heißt, zu verstehen und zu würdigen, was geschehen ist, um daraus Klarheit und Energie zu schöpfen, was für Morgen zu tun ist. Das gilt für die Gemeinscha­ft genauso, wie es für jeden einzelnen Menschen stimmt. Jeder Mensch, der in diese Welt hineingebo­ren wird, ist einzigarti­g und hat etwas mitgebrach­t, was nur er selbst zu sagen und zu bewirken hat. Dies zu würdigen, macht uns wach und sensibel für zwei Fragen: „Wozu bin ich selbst denn auf dieser Welt? Welche unersetzli­chen Gaben habe ich mitbekomme­n, um dieser Welt ein menschenfr­eundlicher­es Antlitz zu geben?“und „Was war das Leben und die Gabe derer, die wir uns beim Totengeden­ken in Erinnerung rufen?“

In Dantes „Göttlicher Komödie“steht am Eingangsto­r zur Hölle der Satz geschriebe­n: „Lasst, die ihr eintretet, alle Hoffnung fahren!“Keine Hoffnung mehr zu haben, ist die Hölle! Paulus dagegen schreibt: „Ihr sollt ihr nicht trauern wie die anderen, die keine Hoffnung haben!“(1 Thess 4,13). Die Art und Weise, wie wir unserer Verstorben­en gedenken entscheide­t auch darüber, mit wie viel Hoffnung wir leben. Richtig trauern nährt die Hoffnung und macht stark.

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FOTO: PRIVAT Msgr. Heinrich-Maria Burkard, Kloster Heiligkreu­ztal

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