Schwäbische Zeitung (Biberach)
Richtig trauern macht stark
Der November ist Totengedenkmonat und am kommenden Sonntag ist wieder Volkstrauertag.Vor genau 100 Jahren wurde der „Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge“gegründet, der als Gedenktag für die Kriegstoten des Ersten Weltkrieges den Volkstrauertag eingeführt hat. Dieser Tag sollte ein Zeichen der Solidarität derjenigen, die keinen Verlust zu beklagen hatten, mit den Hinterbliebenen der Gefallenen sein. Im Jahr 1922 fand die erste offizielle Feierstunde im Deutschen Reichstag in Berlin statt. Dabei rief Reichstagspräsident Paul Löbe eindringlich zur „Abkehr vom Hass“auf und warb für Versöhnung und Verständigung. Nur 14 Jahre später funktionierte die nationalsozialistische Regierung den Volkstrauertag zum Heldengedenktag um und verlegte ihn auf den 16. März. Das ursprüngliche Anliegen des Volkstrauertags „nie wieder Krieg“wurde dabei auf den Kopf gestellt und das Totengedenken für den Aufbau einer noch viel schrecklicheren Kriegsmaschinerie missbraucht.
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde der Volkstrauertag in Westdeutschland auf Betreiben des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge1952 wieder als Tag der „nationalen Trauer“eingeführt, in deutlicher Abgrenzung zum nationalsozialistischen Heldengedenken. Von den überlebenden Zeitzeugen des Zweiten Weltkriegs sterben jedoch immer mehr weg und damit verblasst auch die Erinnerung an die Schrecken des Zweiten Weltkrieges. Ich frage mich: wer wird an diesem Sonntag noch an den Gedächtnistafeln der Toten der beiden Weltkriege stehen außer denen, die von Amts wegen anwesend sein sollten?
Richtig trauern heißt, nicht nur in die Vergangenheit blicken, um nostalgische Erinnerungen wachzurufen. Richtig trauern heißt, zu verstehen und zu würdigen, was geschehen ist, um daraus Klarheit und Energie zu schöpfen, was für Morgen zu tun ist. Das gilt für die Gemeinschaft genauso, wie es für jeden einzelnen Menschen stimmt. Jeder Mensch, der in diese Welt hineingeboren wird, ist einzigartig und hat etwas mitgebracht, was nur er selbst zu sagen und zu bewirken hat. Dies zu würdigen, macht uns wach und sensibel für zwei Fragen: „Wozu bin ich selbst denn auf dieser Welt? Welche unersetzlichen Gaben habe ich mitbekommen, um dieser Welt ein menschenfreundlicheres Antlitz zu geben?“und „Was war das Leben und die Gabe derer, die wir uns beim Totengedenken in Erinnerung rufen?“
In Dantes „Göttlicher Komödie“steht am Eingangstor zur Hölle der Satz geschrieben: „Lasst, die ihr eintretet, alle Hoffnung fahren!“Keine Hoffnung mehr zu haben, ist die Hölle! Paulus dagegen schreibt: „Ihr sollt ihr nicht trauern wie die anderen, die keine Hoffnung haben!“(1 Thess 4,13). Die Art und Weise, wie wir unserer Verstorbenen gedenken entscheidet auch darüber, mit wie viel Hoffnung wir leben. Richtig trauern nährt die Hoffnung und macht stark.