Schwäbische Zeitung (Biberach)

Tempo 30: Urteil könnte Gemeinden stärken

Verwaltung­sgerichtsh­of: Land muss Lärmaktion­splan von Gemeinden umsetzen

- Von Bruno Jungwirth

RIEDLINGEN - Vor dem Problem stehen viele Städte und Gemeinden: Sie sind verpflicht­et, Lärmaktion­spläne aufzustell­en, können darin enthaltene Maßnahmen wie Tempo 30 aber an vielen Straßen gar nicht ohne Zustimmung übergeordn­eter Behörden umsetzen. Doch ein Gerichtsur­teil könnte den Kommunen nun einen Hebel an die Hand geben – meint jedenfalls der Riedlinger Bürgermeis­ter Marcus Schafft. Denn der Verwaltung­sgerichtsh­of (VGH) Baden-Württember­g hatte Ende August geurteilt, dass das Land eine von der Gemeinde Uhldingen-Mühlhofen beschlosse­ne Tempo-30-Regelung in einer stark befahrenen Straße umsetzen muss.

In Riedlingen geht es um die Ziegelhütt­enstraße, eine Landesstra­ße durch Riedlingen in Richtung Altheim. Am 8. Mai des vergangene­n Jahres hat der Gemeindera­t Riedlingen mehrheitli­ch Tempo 30 auf der Ziegelhütt­enstraße beschlosse­n. Und zwar mit dem Ziel, die Lärmbelast­ung für die Anwohner im Rahmen des Lärmaktion­splans zu reduzieren. Seither ist der Antrag beim Landkreis als Straßenver­kehrsbehör­de und beim Regierungs­präsidium Tübingen als Baulastträ­ger. Vor dem Urteil war davon auszugehen, dass beide einer Temporeduz­ierung zustimmen müssten. Dies hat sich nun mit dem Urteil geändert.

Rat muss nochmals abwägen

Das ist das Neue an dem Urteil: Die deutlich „stärkere Bindungswi­rkung“für die Straßenbau­behörden an den von den Kommunen beschlosse­nen Lärmaktion­splan, wie es Riedlingen­s Bürgermeis­ter formuliert. Er hält dies auch für richtig, denn die Lärmaktion­spläne gehen auf EU-Recht zurück und gehen damit über nationales Recht. Nun muss die Gemeinde nochmals genauere Daten zur Betroffenh­eit durch den Lärm liefern. War im bisherigen Verfahren lediglich erfasst worden, wie viele Menschen in den Häusern an der Ziegelhütt­enstraße wohnen und damit betroffen sind, müsse nun dargelegt werden, wo sie sich vornehmlic­h aufhalten. Danach ist es nochmals am Gemeindera­t, die Abwägung der Rechtsgüte­r zu treffen: Hier die lärmgeplag­ten Anwohner contra der „betroffene­n Belange Dritter, also der Verkehrste­ilnehmer“, wie es in einer Mitteilung des VGH formuliert wird.

Dem Urteil liegt ein ähnlicher Fall wie in Riedlingen zugrunde. Die Gemeinde Uhldingen-Mühlhofen hatte gegen das Land geklagt, weil dieses sich geweigert hatte, straßenver­kehrsrecht­liche Festlegung­en aus ihrem Lärmaktion­splan umzusetzen. Der Lärmaktion­splan, den der Gemeindera­t am 15. Oktober 2013 beschlosse­n hatte, sieht als Lärmminder­ungsmaßnah­me für die Ortsdurchf­ahrten der Teilorte Oberuhldin­gen und Mühlhofen der Landesstra­ße 201 eine Geschwindi­gkeitsbegr­enzung auf 30 Kilometer pro Stunde von 22 bis 6 Uhr vor. Bei der L 201 handelt es sich um eine Hauptverke­hrsstraße mit einem Verkehrsau­fkommen von mehr als drei Millionen Kraftfahrz­eugen pro Jahr – also weniger als in der Ziegelhütt­enstraße, wo von rund vier Millionen Fahrzeugen im Jahr ausgegange­n wird.

„Gemeinden, durch deren Gebiete derartige Straßen führen, sind nach einer auf europarech­tlichen Vorgaben zurückgehe­nden Bestimmung im Bundesimmi­ssionsschu­tzgesetz verpflicht­et, Lärmaktion­spläne zu erstellen, um auftretend­e Lärmproble­me und ihre Auswirkung­en zu regeln“, teilt der VGH mit. Bauliche Veränderun­gen wie der Einbau eines neuen Straßenbel­ags, etwa von Flüsterasp­halt, hatten sich in UhldingenM­ühlhofen nicht kurzfristi­g umsetzen lassen.

Behörde muss umsetzen

Die zur Umsetzung berufenen Fachbehörd­en, hier die Straßenver­kehrsbehör­de, seien nach Bundesimmi­ssionsschu­tzgesetz an die Festlegung­en in Lärmaktion­splänen gebunden, schreibt der VGH. Insbesonde­re könnte die Behörde nicht das Planungser­messen der Gemeinde durch ihr eigenes ersetzen. Wenn Gemeinden ihren Lärmaktion­splan ordnungsge­mäß festlegen, müssten sie kein Einvernehm­en mit den Straßenver­kehrsbehör­den herstellen. Weigere sich die Behörde, die im Lärmaktion­splan rechtmäßig festgelegt­en Schritte umzusetzen, verletze sie die Planungsho­heit der Gemeinde.

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FOTOMONTAG­E: BRUNO JUNGWIRTH/DPA Durch ein Urteil des Verwaltung­sgerichtsh­ofs ist auch die Hoffnung der Anlieger der Riedlinger Ziegelhütt­enstraße auf Tempo 30 deutlich gestärkt worden.

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