Schwäbische Zeitung (Biberach)
Tempo 30: Urteil könnte Gemeinden stärken
Verwaltungsgerichtshof: Land muss Lärmaktionsplan von Gemeinden umsetzen
RIEDLINGEN - Vor dem Problem stehen viele Städte und Gemeinden: Sie sind verpflichtet, Lärmaktionspläne aufzustellen, können darin enthaltene Maßnahmen wie Tempo 30 aber an vielen Straßen gar nicht ohne Zustimmung übergeordneter Behörden umsetzen. Doch ein Gerichtsurteil könnte den Kommunen nun einen Hebel an die Hand geben – meint jedenfalls der Riedlinger Bürgermeister Marcus Schafft. Denn der Verwaltungsgerichtshof (VGH) Baden-Württemberg hatte Ende August geurteilt, dass das Land eine von der Gemeinde Uhldingen-Mühlhofen beschlossene Tempo-30-Regelung in einer stark befahrenen Straße umsetzen muss.
In Riedlingen geht es um die Ziegelhüttenstraße, eine Landesstraße durch Riedlingen in Richtung Altheim. Am 8. Mai des vergangenen Jahres hat der Gemeinderat Riedlingen mehrheitlich Tempo 30 auf der Ziegelhüttenstraße beschlossen. Und zwar mit dem Ziel, die Lärmbelastung für die Anwohner im Rahmen des Lärmaktionsplans zu reduzieren. Seither ist der Antrag beim Landkreis als Straßenverkehrsbehörde und beim Regierungspräsidium Tübingen als Baulastträger. Vor dem Urteil war davon auszugehen, dass beide einer Temporeduzierung zustimmen müssten. Dies hat sich nun mit dem Urteil geändert.
Rat muss nochmals abwägen
Das ist das Neue an dem Urteil: Die deutlich „stärkere Bindungswirkung“für die Straßenbaubehörden an den von den Kommunen beschlossenen Lärmaktionsplan, wie es Riedlingens Bürgermeister formuliert. Er hält dies auch für richtig, denn die Lärmaktionspläne gehen auf EU-Recht zurück und gehen damit über nationales Recht. Nun muss die Gemeinde nochmals genauere Daten zur Betroffenheit durch den Lärm liefern. War im bisherigen Verfahren lediglich erfasst worden, wie viele Menschen in den Häusern an der Ziegelhüttenstraße wohnen und damit betroffen sind, müsse nun dargelegt werden, wo sie sich vornehmlich aufhalten. Danach ist es nochmals am Gemeinderat, die Abwägung der Rechtsgüter zu treffen: Hier die lärmgeplagten Anwohner contra der „betroffenen Belange Dritter, also der Verkehrsteilnehmer“, wie es in einer Mitteilung des VGH formuliert wird.
Dem Urteil liegt ein ähnlicher Fall wie in Riedlingen zugrunde. Die Gemeinde Uhldingen-Mühlhofen hatte gegen das Land geklagt, weil dieses sich geweigert hatte, straßenverkehrsrechtliche Festlegungen aus ihrem Lärmaktionsplan umzusetzen. Der Lärmaktionsplan, den der Gemeinderat am 15. Oktober 2013 beschlossen hatte, sieht als Lärmminderungsmaßnahme für die Ortsdurchfahrten der Teilorte Oberuhldingen und Mühlhofen der Landesstraße 201 eine Geschwindigkeitsbegrenzung auf 30 Kilometer pro Stunde von 22 bis 6 Uhr vor. Bei der L 201 handelt es sich um eine Hauptverkehrsstraße mit einem Verkehrsaufkommen von mehr als drei Millionen Kraftfahrzeugen pro Jahr – also weniger als in der Ziegelhüttenstraße, wo von rund vier Millionen Fahrzeugen im Jahr ausgegangen wird.
„Gemeinden, durch deren Gebiete derartige Straßen führen, sind nach einer auf europarechtlichen Vorgaben zurückgehenden Bestimmung im Bundesimmissionsschutzgesetz verpflichtet, Lärmaktionspläne zu erstellen, um auftretende Lärmprobleme und ihre Auswirkungen zu regeln“, teilt der VGH mit. Bauliche Veränderungen wie der Einbau eines neuen Straßenbelags, etwa von Flüsterasphalt, hatten sich in UhldingenMühlhofen nicht kurzfristig umsetzen lassen.
Behörde muss umsetzen
Die zur Umsetzung berufenen Fachbehörden, hier die Straßenverkehrsbehörde, seien nach Bundesimmissionsschutzgesetz an die Festlegungen in Lärmaktionsplänen gebunden, schreibt der VGH. Insbesondere könnte die Behörde nicht das Planungsermessen der Gemeinde durch ihr eigenes ersetzen. Wenn Gemeinden ihren Lärmaktionsplan ordnungsgemäß festlegen, müssten sie kein Einvernehmen mit den Straßenverkehrsbehörden herstellen. Weigere sich die Behörde, die im Lärmaktionsplan rechtmäßig festgelegten Schritte umzusetzen, verletze sie die Planungshoheit der Gemeinde.