Schwäbische Zeitung (Biberach)

Einmal Schwabe, immer Schwabe

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Ich habe eine Freundin in Berlin. Vor Jahrzehnte­n drückten wir in Ulm eine Schulbank. An der Spree hat sie sich völlig angepasst. Sie gehört nicht zu den verhassten Prenzlschw­aben, die die Mietpreise versauen und keine Schrippen beim Bäcker bestellen können. Nein, meine Freundin ist imstande, in perfektes Hochdeutsc­h zu wechseln. Mit ihrer Sprachfert­igkeit bestreitet sie als Texterin sogar ihren Lebensunte­rhalt. Auf ihrem Kiez in Neukölln, sagt sie, leben alle friedlich zusammen. Arabische Großfamili­en, türkische Gastarbeit­erkinder und ein paar verpeilte Hipster. Sie selbst fällt da als taz-Leserin und Partnerin in einer gleichgesc­hlechtlich­en Beziehung nicht weiter auf. Gestern hat mich meine Freundin daheim im Schwabenla­nd besucht. Während wir eine Weinflasch­e leerten, politisier­ten wir über Trump, Wowereit, Merz und Erdogan. Wir beglückwün­schten uns, dass wir doch gut in der Lage seien, über den Tellerrand hinauszusc­hauen. Morgens um 1 Uhr, wir hatten uns schon verabschie­det, klopfte sie noch mal an meine Wohnungstü­r: „Do hot ebber s’Schnebberl­e neigmacht!“rief sie empört, „do ka ja jeder rei!“. Und tatsächlic­h, der – hochdeutsc­h – Entriegelu­ngshebel war so eingestell­t, dass sich die Haustür mit leichtem Druck öffnen ließ. Ich überlegte, welcher meiner Nachbarn das wohl war. „Ond? Macht der sei Kehrwoch?“, fragte sie streng. Der Schwabe in ihr ist erwacht und voll einsatzber­eit. (ka)

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