Schwäbische Zeitung (Biberach)
Ein Pilotprojekt als letzte Hoffnung
Hausarzt Christ findet keinen Nachfolger – jetzt will er ein MVZ mit „alten Hasen“gründen
OCHSENHAUSEN - Wolfgang Christ hat schon alles versucht, um einen Nachfolger für seine Hausarztpraxis in Ochsenhausen am Marktplatz zu finden – bislang erfolglos. „Ich habe sämtliche Möglichkeiten ausgeschöpft“, sagt der 66-Jährige. Deshalb sehe er sich gezwungen, seine Praxis Ende März 2019 zu schließen. Einen letzten Ausweg sieht Christ aber noch: Ein Medizinisches Versorgungszentrum (MZV), das von Hausärzten betrieben wird, die bereits im Ruhestand sind. Christ würde dafür seine Praxisräume zur Verfügung stellen. Jetzt braucht er noch Mitstreiter.
Inserate, persönliche Gespräche und sogar eine Plakataktion an einer stark befahrenen Straße in der Nähe der Uni Tübingen: Der Ochsenhauser Hausarzt Wolfgang Christ hat sich durchaus etwas einfallen lassen, um einen Nachfolger oder eine Nachfolgerin für seine Praxis zu finden. „Über die Plakate in Tübingen sind zwar Presse und Rundfunk gestolpert, aber leider kein Arzt“, sagt Christ. „Ich habe alles probiert, was soll ich noch machen?“, fragt er resigniert. Neben einer „desaströsen Gesundheitspolitik“beklagt er auch fehlende Unterstützung seitens der Stadt. Für junge Ärzte müssten Anreize geschaffen werden, damit sie in ländliche Regionen kommen. Mit zehn bis 15 Kandidaten hat Christ nach eigener Aussage zwar Gespräche geführt, zum Erfolg führte dies jedoch nicht. „Es will keiner aufs Land.“
128 Hausärzte im Kreis Biberach
Eine Entwicklung, die auch Dr. Arnulf Haas, Vorsitzender der Kreisärzteschaft Biberach, Sorgen macht. Er verweist auf den Bericht über die ambulante medizinische Versorgung 2018 der Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg. Dort ist aufgelistet, mit wie vielen Haus- und Fachärzten einzelne Gemeinden versorgt sind, außerdem ist die Altersstruktur der Arztgruppen in den einzelnen Landkreisen abgebildet. 128 Hausärzte sind demnach im Kreis Biberach niedergelassen, elf davon in
Ochsenhausen. Der Anteil der über 60-Jährigen liegt kreisweit bei 33 Prozent.
Haas spricht deshalb im hausärztlichen Bereich von einer „Riesenkluft“, die mit Blick auf die Altersstruktur in den nächsten Jahren drohe. „Die jungen Ärzte sind hoch motiviert, aber sie wollen keine eigene Praxis mehr, sondern lieber in einem Angestellten-Verhältnis arbeiten“, so der Vorsitzende der Kreisärzteschaft. „Das betriebswirtschaftliche Risiko will keiner tragen.“Auf der anderen Seite steht die Generation der Hausärzte mit eigener Praxis, die kurz vor dem Rentenalter ist oder es bereits erreicht hat, in Arnulf Haas’ Augen vor der Herausforderung, entweder ganz aufzuhören oder so weiterzumachen wie bisher. „Sie können in der eigenen Praxis oft nicht einfach reduzieren.“Haas sagt deshalb: „Im hausärztlichen Bereich darf man durchaus mal etwas revolutionärer denken.“
Was Wolfgang Christ jetzt tut. Aus der Not heraus kam ihm spontan die Idee, ein Medizinisches Versorgungszentrum mit „alten Hasen“auf die Beine zu stellen. „Es gibt viele ältere Kollegen, die nebenher noch ein bisschen etwas machen“, weiß Christ. Mit 10 bis 15 Ärzten, so seine Vorstellung, könnte ein solches MVZ realisiert werden, die Ärzte könnten halbtags oder tageweise arbeiten. Mit der Zulassung gebe es keine Probleme, das habe er bereits geklärt. Arnulf Haas bescheinigt der Idee „viel Potenzial“und sie entspreche dem Wunsch vieler Hausärzte, auch jenseits der 60 noch in reduziertem Umfang arbeiten zu können. Während es im spezialisierten Bereich viele Versorgungszentren gebe, gehe deren Zahl in der hausärztlichen Versorgung „gegen null“. Dabei sei der Ärztemangel an der Basis längst Realität. „Es ist fünf vor zwölf. Wenn wir auch in den nächsten 25 Jahren eine Basisversorgung haben wollen,
muss man sich etwas überlegen“, sagt Haas.
Haas und Christ hoffen deshalb, dass das Pilotprojekt „Alte-HasenMVZ“im hausärztlichen Bereich bei ihren Kollegen auf offene Ohren stößt. Christ würde seine Praxis in der Ochsenhauser Stadtmitte zur Verfügung stellen. Sollte die Idee scheitern, ist er auch bereit, seine Praxis kostenlos abzugeben. Immerhin verfüge die Praxis derzeit über zwei Arztsitze und sei auch für mehrere Ärzte geeignet, so Christ. Andernfalls gebe es nur noch eine Möglichkeit: „Dann wird am 31. März 2019 in meiner Praxis die Tür zugenagelt.“
Hausärzte, die sich für das MVZModell interessieren oder Fragen dazu haben, können sich mit Wolfgang Christ (kontakt@praxischrist.de) oder Arnulf Haas (arnulf.haas@gmx.de) in Verbindung setzen.