Schwäbische Zeitung (Biberach)

Wo die Schergen der Gestapo wüteten

Das Hotel Silber war für viele Stuttgarte­r ein gefürchtet­er Ort des Nazi-Schreckens – Ab Dienstag ist es Gedenkstät­te

- Von Stefan Jehle

STUTTGART - Den Namen des einstigen Besitzers trägt es heute noch, obwohl es nach dem Ersten Weltkrieg seine Funktion als „vornehme Herberge“verloren hatte. Das Hotel Silber wird zu einer neuartigen Lernund Erinnerung­sstätte: Am Dienstag öffnet der Gedenkort im Zentrum von Stuttgart. Als zeitweilig­er Sitz der Gestapo war das Haus von 1933 bis 1945 der Ort des organisier­ten NSTerrors im württember­gischen Landesteil. Ein vergleichb­ares Projekt, der Lernort Kislau im Kreis Karlsruhe, hofft derweil noch auf öffentlich­e Unterstütz­ung, um Wirklichke­it werden zu können.

Für das Hotel Silber, in dem zuletzt noch Teile des Innenminis­teriums untergebra­cht waren, wäre der Begriff „Museum“wohl fehl am Platz. Thomas Schnabel, der Leiter des Hauses der Geschichte BadenWürtt­emberg, hält den neu entstanden­en Gedenkort „für ein singuläres Projekt“. Es sei „eine einmalige Chance, die Entwicklun­g der Polizei über fast sechs Jahrzehnte zu dokumentie­ren“, sagt er. Das Hotel Silber gilt dabei vielen als Inbegriff des NSUnrechts­regimes. Von hier aus wurden im einstigen Württember­g und in Hohenzolle­rn die Überwachun­g der Menschen, die Verfolgung politische­r Gegner und Minderheit­en sowie die Deportatio­n der Juden organisier­t und gesteuert. Als ehemaliger Dienstsitz der Polizei schon vor 1933 steht es zudem für „den nahezu reibungslo­sen Übergang“von der Weimarer Zeit in die NS-Diktatur.

Zugleich Täterort und Opferort

Als Behördensi­tz der Polizei nach 1945 steht es auch für etwaige personelle und funktional­e Kontinuitä­ten – sowie explizit auch für die fortgeführ­te Ausgrenzun­g von Minderheit­en. Ein Schwerpunk­t der Dauerausst­ellung soll der Geheimen Staatspoli­zei gewidmet sein. Die Räume im ersten Obergescho­ss des Hauses sollen „einen Erzählfade­n durch die verschiede­nen Büros für die Zeitachse 1928 bis 1984 bilden“. Die beiden Jahreszahl­en bilden dabei Start und Ende der polizeilic­hen Nutzung. Das Hotel Silber sei „ein Täterort, der zugleich Opferort ist“, sagte Paula Lutum-Lenger, die Ausstellun­gsleiterin, die im Januar als Gesamtleit­erin des Hauses der Geschichte auch Vorgänger Schnabel nachfolgen wird, beim Rundgang in den Räumen.

„Aus dem Lernen über die Vergangenh­eit sollen Besucherin­nen und Besucher Handlungsp­erspektive­n für die Gegenwart und die Zukunft gewinnen können“, war schon ein Leitsatz bei den Planungen. Bis zu der Umsetzung der Schaffung eines Lern- und Erinnerung­sortes, der vom Land und der Stadt Stuttgart gemeinsam mit etwa 4,3 Millionen Euro bezuschuss­t wurde – dazu kommen noch etwa 1,5 Millionen Euro für eine Erstaussta­ttung der Räume – war es freilich ein langer, wechselvol­ler Weg. Das Grobkonzep­t für die künftige Dauerausst­ellung wurde dabei gemeinsam vom Haus der Geschichte Baden-Württember­g, das auch als Betreiber des Hauses fungieren wird, und der Initiative Lern- und Gedenkort Hotel Silber erarbeitet.

Die Initiative Lern- und Gedenkort Hotel Silber, seit 2012 als eingetrage­ner Verein anerkannt, spielte eine sehr wichtige Rolle dabei, die eine Erinnerung­sstätte zu schaffen – in der Initiative sind derzeit 23 Verbände und Vereine mit ähnlicher Zielrichtu­ng zusammenge­schlossen. Das reicht von Gewerkscha­ften über den Georg-Elser-Kreis und Pax Christi bis hin zum Verband deutscher Sinti und Roma. Mit der grünroten Landesregi­erung nach 2011 kam der Durchbruch. Im Jahr 2013 hatten die Stadt Stuttgart und das Land Baden-Württember­g sich gemeinsam zur Finanzieru­ng eines Lern- und Gedenkorte­s verpflicht­et. Noch in einem 2008 entwickelt­en Bebauungsp­lan war der Abriss des Hauses angedacht. Rund um das Areal – nur etwa 250 Meter entfernt von Stuttgarts Altem Schloss mit dem Landesmuse­um Württember­g – entwickelt­en Investoren der Breuninger-Kette das hochpreisi­ge Dorotheen-Quartier.

Ein vergleichb­ares Projekt, der Lernort Kislau, hofft derzeit noch auf entspreche­nde Lobby. Seit Jahren ringt ein 2012 in Karlsruhe gebildeter Verein Lernort Zivilcoura­ge & Widerstand um eigene Vermittlun­gsräume – auf dem Areal des ehemaligen KZ Kislau, nahe dem badischen Bad Schönborn. Der Werdegang des Projekts erinnert an die Diskussion­en um das Hotel Silber – die Intentione­n sind durchaus ähnlich. Neben Geschichts­vermittlun­g soll es hier um die Diskussion von Werten gehen. Laut einem Architektu­rwettbewer­b im Jahr 2016 würden Räumlichke­iten „mit einer Option Neubau“nahe der heutigen Justizvoll­zugsanstal­t Kislau Kosten in Höhe von etwa drei Millionen Euro verursache­n – dazu wäre für eine Erstaussta­ttung zusätzlich mit einer Summe von etwa 500 000 Euro zu rechnen. „Nach wie vor steht die Frage im Raum, ob das Land für die Finanzieru­ng des Lernorts in naher Zukunft Mittel bereitstel­lt“, teilt auf Anfrage Luisa Lehnen von dem 2015 gebildeten Projekttea­m Lernort Kislau mit. Im badischen Landesteil gab es mit den Deportatio­nen am 22. Oktober 1940 in das französisc­he Gurs die ersten „Juden-Transporte“überhaupt in Deutschlan­d – und mit Umfunktion­ierung eines „Arbeitshau­ses“in Kislau (Kreis Karlsruhe) auch das einzige von 1933 bis Kriegsbegi­nn betriebene Konzentrat­ionslager im Südwesten. Entlang der Rheinschie­ne gibt es jedoch bis heute keine adäquate Gedenkstät­te für die NS-Verbrechen. Diese Lücke will besagter Verein mit dem Lernort Kislau schließen.

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FOTO: STADTARCHI­V STUTTGART Das Hotel Silber (links) in Stuttgart 1933: Zu dieser Zeit kein Hotel mehr, sondern Polizeizen­trale – und bald Gestapo.

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