Schwäbische Zeitung (Biberach)
Der Mann, der nicht jubeln wollte
Mit Besonnenheit und diplomatischem Geschick ermöglichte George Bush die Deutsche Einheit
WASHINGTON - Als der Westen gesiegt hatte, legte George Bush großen Wert darauf, nicht in Jubel auszubrechen. Ab Montag nehmen die Amerikaner Abschied von einem Präsidenten, der so eindeutig für vorsichtige Realpolitik stand wie kaum ein anderer.
„Wenn wir es falsch anpacken“, schreibt George Herbert Walker Bush am 8. November 1989 in sein Tagebuch, „wenn es so aussieht, als wäre es ein amerikanisches Projekt, beschwören wir womöglich Repressionen herauf, eine negative Reaktion, die im Blutvergießen enden könnte“. Was er fürchte, hatte er zwei Tage zuvor vermerkt, sei ein Szenario, das „die Sowjets“angesichts der Aufstände in Osteuropa zum Eingreifen zwinge, womit man dann wieder am Nullpunkt angelangt wäre.
Realpolitische Schule
Am 9. November fällt die Berliner Mauer, und als Bush vor dem Pressekorps des Weißen Hauses darüber redet, legt er Wert darauf, nur ja nicht in Jubel auszubrechen. Dies sei doch ein glänzender Sieg für den Westen, „Sie aber scheinen in keiner Weise begeistert“, beobachtet Lesley Stahl, eine Reporterin des Senders CBS News. „Ich bin nun mal kein emotionaler Typ“, erwidert Bush. „Nun, wie begeistert sind Sie?“„Ich bin sehr zufrieden.“
Diese Woche nehmen die Amerikaner Abschied von einem Mann, der so eindeutig für die nüchtern realpolitische Schule stand wie kaum ein anderer ihrer Präsidenten. Als die Welt Feuer fing, habe er mit einer Kühle agiert, die ihn bisweilen wie ein unbeteiligter Zuschauer wirken ließ, erinnert sich Jon Meacham, Autor der aktuellsten Bush-Biografie. Barack Obama, auch er ein vorsichtiger Realpolitiker, lobt das Amtsverständnis des 41. Präsidenten der USA: Bushs Leben zeige, dass öffentliches Dienen etwas Nobles, Freudiges sein könne. Bill Clinton, der den Weltstaatsmann 1992 im Rennen ums Oval Office besiegte und später gemeinsam mit ihm die Erdbebenhilfe für Haiti organisierte, spricht von einer Freundschaft, die er als eines der größten Geschenke seines Lebens ansehe. „Ich bin dankbar für jede Minute, die ich mit ihm verbracht habe.“Und Donald Trump, über den Bush im Wahljahr 2016 sagte, der Mann sei ein Angeber, den er wegen seines Egos nicht möge, wird eigens die Air Force One nach Houston beordern, um den Leichnam nach Washington zu überführen. Dort soll der Sarg zwei Tage lang im Kapitol aufgebahrt werden, ehe am Mittwoch in der Nationalen Kathedrale der Hauptstadt die Trauerfeier stattfindet. Zu der ist, anders als zuletzt beim Abschied von John McCain, auch Trump eingeladen.
Der Tod des 94-Jährigen, darin sind sich alle einig, markiert das Ende einer Ära. Bush war der letzte USPräsident, der während des Kalten Krieges, wenn auch in dessen Endphase, im Oval Office residierte. Er war der Letzte, der im Zweiten Weltkrieg gekämpft hatte. Vor allem aber, betont Meacham, war er der letzte Patrizier im Weißen Haus, ein Privilegierter aus besseren Kreisen, der den Grundsatz „Adel verpflichtet“ernst nahm. Von seinem Vater Prescott, einem Wall-Street-Banker, der später Senator wurde, erbte Bush die Überzeugung, dass sich mithilfe persönlicher Beziehungen vieles regeln ließ, quasi unter Gentlemen bei einem Whiskey. Immer vorausgesetzt, man ließ den anderen das Gesicht wahren. Visionen seien nicht sein Ding, er sei ein praktischer Mensch, sagte er selbst. Seine Amtszeit von Januar 1989 bis Januar 1993 war von historischen Umwälzungen geprägt: dem Mauerfall, der Wiedervereinigung Deutschlands, dem Zusammenbruch der Sowjetunion. Er aber unterließ alles, was nach Triumphgeheul hätte klingen können.
Nichts sollte den Reformer Michail Gorbatschow in Verlegenheit bringen, nichts die Generäle in Moskau veranlassen, doch noch Panzer rollen zu lassen. Er werde „nicht auf der Mauer tanzen“, brachte es Bush auf einen markanten Satz. George Mitchell, im Senat damals die Nummer eins der Demokraten, empfahl ihm, nach Berlin zu fliegen, um mit einer großen Rede das Ende des Kommunismus zu feiern. Bush hielt es für keine gute Idee, in seinen Augen hätte es bedeutet, Gorbatschow die Niederlage noch mal aufs Butterbrot zu schmieren. „Mein Gott, der Kerl muss verrückt sein, sonst würde er nicht vorschlagen, Öl in die Glut zu gießen“, schrieb er in seinem Tagebuch über Mitchells Vorschlag.
Während Margaret Thatcher die deutsche Vereinigung vehement ablehnte, half Bush mit besonnener Diplomatie die Weichen zu stellen. Nun würden sich die Deutschen in Friedenszeiten holen, was Hitler im Krieg nicht erreicht habe, warnte die argwöhnische Britin. Der Amerikaner sah es gelassener. Er sei zwar nicht naiv, was Geschichte angehe, nur glaube er nicht, dass die Geschichte und die beiden Weltkriege Deutschlands künftiges Schicksal bestimmen sollten, notierte er im Februar 1990. Es sei beleidigend, den Deutschen zu unterstellen, sie würden die Demokratie aufgeben und eine Art neuen Hitler zulassen, wenn sie erst vereinigt seien. Zugleich stellte Bush klar, dass ein geeintes Deutschland eingebettet sein müsse in ein geeintes Europa. Allein schon, um den Nachbarn die Angst vor einem übermächtigen Koloss in der Mitte des Kontinents zu nehmen.
Kein Einmarsch im Irak
Im Sommer 1990 lieferte Bush sein außenpolitisches Meisterstück in einer ganz anderen Weltregion ab. Nach dem Überfall Saddam Husseins auf Kuwait schmiedete er mit Geschick und Geduld eine breite Koalition, der so unwahrscheinliche Partner wie die Sowjetunion und Syrien angehörten. Nach dem Blitzsieg des Golfkrieges ließ er seine Truppen an der irakischen Grenze Halt machen, sodass Saddam seine Macht retten konnte. Da war er ganz der vorsichtige Rechner mit kühler, fast zynischer Maxime: „Better the devil you know than the devil you don’t“Besser ein Teufel, den du kennst, als einer, den du nicht kennst.
Zwölf Jahre darauf gab sein Sohn George W. Bush den Befehl zum Einmarsch im Zweistromland.