Schwäbische Zeitung (Biberach)
Massive Empörung
Der Teil der Bauwirtschaft, der auf Stein, Beton und Ziegel setzt, lehnt die Holzbau-Offensive der Landesregierung ab
RAVENSBURG - Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) hat die Bauwirtschaft massiv verärgert – zumindest die, die im Massivbau tätig ist. Der Grund: Die Unternehmen, die vor allem mit Beton, Steinen und Ziegeln Häuser bauen, fühlen sich durch die „HolzbauOffensive“der Landesregierung benachteiligt. In einem offenen Brief an Kretschmann kritisiert nun die Deutsche Gesellschaft für Mauerwerksund Wohnungsbau (DGfM) die Initiative. Mit Blick auf Fairness und Fürsorgepflicht „können wir die Planung eines derartigen einseitigen Eingriffs in den freien Wettbewerb konkurrierender Bauweisen nicht verstehen“, schreiben DGfM-Vorsitzender Hans Zapf und DGfM-Geschäftsführer Ronald Rast und mahnen die Verantwortung Kretschmanns „für die vielen Menschen und Unternehmen Ihres Landes, die tagtäglich im Massivbau arbeiten“, an.
Rund 45 000 Menschen sind nach Angaben der DGfM mit der Herstellung, Planung, Ver- und Bearbeitung von Mauerwerkskonstruktionen im Wohnungsbau beschäftigt. Im Jahr 2017 seien 56 Prozent aller Einfamilienhäuser, 57 Prozent aller Mehrfamilienhäuser und 65 Prozent aller Doppelund Reihenhäuser im Südwesten mit Mauerwerk gebaut worden. Der Verband kündigte eine rechtliche Überprüfung der Offensive an.
Die Landesregierung kann die Aufregung der Massivbauer nicht verstehen. „Motivation für die Holzbau-Offensive ist der Anspruch des Landes, im Klimaschutz wirksam zu agieren und mit gutem Beispiel voranzugehen“, schreibt das Ministerium für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz. Ziel von Baden-Württemberg sei ein Dialog innerhalb der Bauwirtschaft, um die intelligente und innovative Verwendung aller Baustoffe anzuregen. Dabei gehe es nicht um die Privilegierung bestimmter Materialien. „Uns geht es um die verstärkte Verwendung des klimaneutralen Rohstoffs Holz“, sagte der stellvertretende Sprecher des Ministeriums, Jürgen Wippel, im Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung“. Dazu habe die Landesregierung 13 sogenannte Innovationspakete festgelegt. Die Handlungsfelder reichen vom Bau von Landesgebäuden in Holzbauweise über schnellere Planungsprozesse und die Stärkung der Holzbauforschung bis zur Verbesserung der Aus- und Fortbildungsmöglichkeiten im Holzbau. Die Notwendigkeit zu einer rechtlichen Überprüfung des Projektes sieht das Land Baden-Württemberg nach Angaben des Ministeriums nicht.
Für die Architektenkammer in Baden-Württemberg trifft die Frage, ob Stein oder Holz das bessere Material für den Wohnbau ist, nicht den Kern des Problems. „Unsere Position ist, dass sich der Baustoff immer an der Bauaufgabe orientieren muss“, erklärt Hans Dieterle, Hauptgeschäftsführer der Architektenkammer Baden-Württemberg. „Es ist weder sinnvoll zu sagen nur Holz, noch nur Stein.“Jahrelang sei propagiert worden, dass der Bau mit Holz nachhaltiger, günstiger und schneller sei, „doch hinter diese Aussagen muss man ein Fragezeichen setzen“, erläutert Dieterle. Mit Holz könne man schneller bauen, wenn viele Teile im Werk vorgefertigt werden können. Bei der Nachhaltigkeit müsse man genau darauf achten, woher das Bauholz am Ende stamme – und „günstiger sei es schon lange nicht mehr.“
Dieses Argument führen auch die Massivbauer in ihrer Kritik am Konzept der Landesregierung an: Die Bauinvestitionskosten pro Kubikmeter umbauten Raum für Mauerwerkshäuser seien rund zehn Prozent günstiger als für vergleichbare Holzhäuser. Aber vor allem geht es den Mauerlobbyisten um die Benachteiligung – und sie verweisen auf die Automobilindustrie. „Was würde wohl passieren, wenn das Land Baden-Württemberg die aktuelle Investitionsinitiative des VW-Konzerns pro E-Mobilität mit einer „VW-Offensive“unterstützen und alle Behörden des Landes anweisen würde, nur noch Fahrzeuge der Marke VW als Dienstwagen anzuschaffen?“, fragen die DGfM-Funktionäre. Wohl wissend, dass das im Daimler-Land einer Revolution gleichkäme.