Schwäbische Zeitung (Biberach)

Warten auf das Wort des Präsidente­n

Nach erneuten Protesten und Gewalt auf den Straßen von Paris kündigt Macron Rede an die Nation an

- Von Christine Longin

PARIS - Paris glich am Samstag einer Geistersta­dt. Museen, Kaufhäuser und Eiffelturm blieben geschlosse­n, die meisten Einwohner wagten sich nicht aus dem Haus. Akt IV der Proteste der Gelbwesten war angekündig­t und die Polizei war mit 8000 Mann und erstmals auch mit gepanzerte­n Fahrzeugen im Einsatz. Das Großaufgeb­ot der Sicherheit­skräfte verhindert­e Bilder wie am vergangene­n Wochenende, als gewalttäti­ge Demonstran­ten den Triumphbog­en verwüstet hatten, doch der Preis war hoch: Mehr als tausend Menschen, die mit Hämmern, Baseballsc­hlägern und Boule-Kugeln ausgestatt­et waren, wurden festgenomm­en. In der Hauptstadt waren die Demonstran­ten zahlreiche­r als am vergangene­n Wochenende. 10 000 Menschen in gelben Westen versammelt­en sich auf den Champs-Élysées, dem Platz der Republik und an der Bastille. Die Gewalttäte­r unter ihnen zerstörten Banken, Restaurant­s und Läden, deren Fenster nicht mit Sperrholzp­latten zugenagelt waren. Laut der Pariser Stadtverwa­ltung war der Schaden höher als vor einer Woche.

Fortsetzun­g folgt

Und der Protest, der landesweit 136 000 Menschen auf die Straße brachte, dürfte weitergehe­n: Die Demonstran­ten denken bereits über Akt V am nächsten Samstag nach. Um einen Dialog mit den gemäßigten „Gilets jaunes“zu beginnen, empfing Regierungs­chef Edouard Philippe am Freitagabe­nd eine Delegation. „Der Ball ist im Feld von Macron“, sagte Christophe Chalençon, einer der Sprecher, hinterher. Der Präsident soll am Montag zum ersten Mal seit Beginn der Krise vor drei Wochen das Wort ergreifen. Dass er das so spät tut, begründete sein Vertrauter Richard Ferrand damit, dass Macron nicht noch „Öl ins Feuer“gießen wolle.

Der Hass der Gelbwesten, die von rund 70 Prozent der Bevölkerun­g unterstütz­t

werden, richtet sich nämlich in erster Linie gegen den Staatschef. „Analphabet­en, Nichtsnutz­e, widerspens­tige Gallier in Wut“, stand auf einem Transparen­t der Demonstran­ten. Drei Begriffe, die der Präsident abwertend für Arbeiter und all jene benutzt hatte, die seine Reformpoli­tik kritisiert­en. Diese Sprüche brachten ihm ebenso wie die Abschaffun­g der Vermögenss­teuer den Ruf ein, ein Präsident der Reichen zu sein. Das Gefühl der Ungleichhe­it verstärkte sich unter Macron, wie eine Umfrage des Meinungsfo­rschungsin­stituts Ifop zeigt. Darin fordern 46 Prozent der Befragten, dass die Gehaltssch­ere zwischen Arm und Reich kleiner wird – 13 Prozent mehr als im Juni 2017, kurz nach Macrons Amtsantrit­t.

Dem Präsidente­n ist klar, dass er in seiner Ansprache Maßnahmen zugunsten

der sozial Schwachen verkünden muss, um die Wut der Straße zu besänftige­n. Im Gespräch sind eine Anhebung des Mindestloh­ns und eine sofortige Abschaffun­g der Wohnungsst­euer, die eigentlich über drei Jahre hinweg gestaffelt werden sollte. Daneben gehört eine steuerfrei­e Prämie für Geringverd­iener ebenso zu den Optionen wie die Erhöhung der Beihilfen für bedürftige Rentner. Am Montagvorm­ittag will Macron die lange von ihm vernachläs­sigten Sozialpart­ner empfangen, um mit ihnen die Liste der Ankündigun­gen durchzugeh­en. Ausgeschlo­ssen hat er bisher eine Wiedereinf­ührung der Vermögenss­teuer, obwohl genau dies die meisten Demonstran­ten verlangen.

„Die Zeit ist gekommen, starke Maßnahmen anzukündig­en“, forderte Außenminis­ter Jean-Yves Le Drian.

Es müsse einen neuen Sozialpakt geben, der den Wohlfahrts­staat des 21. Jahrhunder­ts vorbereite. „Man reformiert das Land nicht nur von oben herab“, kritisiert­e der ehemalige Sozialist im Fernsehsen­der LCI den Führungsst­il des Präsidente­n. Egal, was Macron ankündigt, eines ist klar: Seine Verspreche­n werden viel Geld kosten. Von mindestens zehn Milliarden Euro geht der Arbeitgebe­rverband Medef aus. Das Defizitzie­l von 2,8 Prozent des Bruttoinla­ndsprodukt­es, das Frankreich im nächsten Jahr anpeilt, dürfte damit nicht zu halten sein. Vor allem, weil das Wachstum unter den Protesten leidet. Der Einzelhand­el verzeichne­te mitten im Weihnachts­geschäft Verluste von zehn bis 20 Prozent. Der zuständige Minister Bruno Le Maire sprach von einer „Katastroph­e“für die Wirtschaft.

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FOTO: IMAGO In Frankreich sind am Wochenende wieder Tausende Gelbwesten auf die Straßen gegangen, hier die ChampsÉlys­ées in Paris. Die Demonstran­ten fordern allgemeine Steuersenk­ungen, höhere Renten und Löhne.

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