Schwäbische Zeitung (Biberach)

„Ich bin zu Hause in meinen Lesern“

Bestseller-Autorin Cornelia Funke wird 60 – Sie arbeitet an mehreren Büchern gleichzeit­ig

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HAMBURG/MALIBU (dpa) - In Amerika hat Schriftste­llerin Cornelia Funke seit Langem ihre Wahlheimat gefunden. 2005 war Deutschlan­ds internatio­nal erfolgreic­hste Kinderund Jugendbuch­autorin („Drachenrei­ter“, „Tintenherz“, „Reckless“) von Hamburg nach Los Angeles gezogen, seit 2017 lebt sie auf einer Farm in Malibu. Als einen Monat vor ihrem 60. Geburtstag, den sie am Montag begeht, dort die Feuer wüteten, musste auch Funke ihr Haus verlassen. Im nächsten Jahr will sie sich ein zweites Haus zulegen, in England. Im Interview mit Dorit Koch spricht sie über das Gefühl von zu Hause und ihre englische Stimme.

Sie planen schon länger, sich ein Haus in Cornwall in Südengland zuzulegen, im nächsten Jahr soll es so weit sein. Wollen Sie Amerika dauerhaft verlassen?

Auf keinen Fall! Meine Avocadofar­m, ganz nah beim Pazifische­n Ozean, wird immer ein magischer, ein ganz besonderer Ort für mich bleiben, mit all den Geschichte­n bis hin zum heldenhaft­en Gärtner, der mein Haus vor den Flammen gerettet hat. Cornwall soll ein Zweitwohns­itz werden – mein Regenhaus gewisserma­ßen, für all meine Notizbüche­r, für meine Zeichnunge­n und Arbeiten auf Leinwand, die ich dann lieber dort aufbewahre­n würde als im Feuerland. In erster Linie aber möchte ich meine beiden Häuser zu Orten machen, wo meine Leser und junge Künstler aus aller Welt Gelegenhei­t haben, einander zu begegnen und miteinande­r zu arbeiten.

Bis 2005 lebten Sie in Deutschlan­d, seitdem in den USA, nun planen Sie das Haus in Großbritan­nien. Wo fühlen Sie sich zu Hause?

Da ich in mehr als 50 Sprachen veröffentl­icht werde, darf ich mich als Weltbürger­in fühlen. Ob mir in Indien Kinder um den Hals fallen, weil sie „Drachenrei­ter“lieben, oder in Neuseeland Jugendlich­e jeden Satz aus meinen Büchern kennen – in diesen Momenten fühle ich mich durch sie genau da zu Hause. Ich bin zu Hause in meinen Lesern, das hat etwas unglaublic­h Berührende­s. Wenn man an anderen Orten eine solche Begeisteru­ng und Herzlichke­it erlebt, will man sich nicht mehr über eine bestimmte Nationalit­ät definiedas In der ganzen Welt zu Hause: Die Kinder- und Jugendbuch­autorin Cornelia Funke lebt zwar in Los Angeles, hat ihre Fans jedoch überall. Ihre Bücher wurden in mehr als 50 Sprachen übersetzt.

ren. Inzwischen habe ich so viele Freunde in aller Welt. Natürlich habe ich meine Wurzeln in der deutschen Sprache und Kultur – aber wohin der Baum dann wächst, ist etwas anderes.

Schreiben Sie Ihre Geschichte­n noch immer auf Deutsch?

Ja, erste Ausnahmen habe ich jetzt aber gemacht. Das erste große Buch,

ich auf Englisch geschriebe­n habe, ist „Das Labyrinth des Fauns“. Es ist die Romanfassu­ng meines Lieblingsf­ilms, die ich auf Wunsch seines Regisseurs Guillermo del Toro geschriebe­n habe. Ein spanischer Film mit englischen Untertitel­n – da wollte ich nicht noch eine dritte Sprache hinzufügen. Die zehn Kurzgeschi­chten über Schlüssele­lemente des Films, die das Buch auch enthält, habe ich ebenfalls auf Englisch geschriebe­n. Es war eine neue Erfahrung, Übersetzun­gsproben in Deutsch zu lesen.

Welche Rolle spielt deutsche Literatur in Amerika?

Die Amerikaner haben durch den weltweiten Gebrauch der englischen Sprache den Vorteil, dass sie Literatur aus vielen Ländern ohne Übersetzun­g lesen können. Australien, Neuseeland, Kanada, Großbritan­nien – da ist übersetzte Literatur immer noch rar, während sie in Deutschlan­d der Normalfall ist. Aber ich habe den Eindruck, es tut sich etwas. Ich sehe immer häufiger übersetzte deutsche Titel, und ich finde, gerade Kinder brauchen Literatur aus anderen Ländern. Als ich nach

Schweden kam, war ich sofort dort zu Hause – dank Astrid Lindgren. England fühlte sich gleich wie Heimat an – dank Charles Dickens, C.S. Lewis und Rudyard Kipling.

Sie arbeiten ja immer an mehreren Geschichte­n parallel. An welchen Büchern schreiben Sie gerade?

Am vierten Band von „Reckless“, an „Drachenrei­ter 3“und an einem Bühnenproj­ekt mit einem Cellisten. Im nächsten Jahr komme ich hoffentlic­h noch dazu, das nächste „Tintenherz“-Buch zu Ende zu schreiben. Und ich wünsche mir, dass das, was ich mir momentan in meinem Kopf alles ausmale, was ich an Büchern noch plane, irgendwann Wirklichke­it wird. Sicherlich werden sich auch die Erfahrunge­n, die ich durch die Flammenbed­rohung und ein paar Wochen Exil gemacht habe, in meiner Arbeit widerspieg­eln. Vielleicht wird es nun öfter Figuren geben, die ihr Leben zurücklass­en müssen, ohne zu wissen, ob sie es noch vorfinden, wenn sie zurückkomm­en. Ich habe mit Sicherheit noch mehr Mitgefühl und Respekt vor den Flüchtling­en dieser Welt.

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FOTO: DPA

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