Schwäbische Zeitung (Biberach)
Orientalische Klänge am See
Nemanja Radulovic und das Borusan Istanbul Philharmonic Orchestra im GZH
FRIEDRICHSHAFEN - Sein Markenzeichen sind die langen schwarzen Haare, mit denen er sich auf Künstlerfotos als wilder Teufelsgeiger präsentiert. Doch Nemanja Radulovic ist auch ein hervorragender, vielfach ausgezeichneter Geiger. Beim Konzert mit dem Borusan Istanbul Philharmonic Orchestra (BIPO) lernte man zudem das Violinkonzert von Aram Chatschaturjan kennen, das mindestens hierzulande kaum einmal zu hören ist.
Das türkische Vorzeigeorchester (wir berichteten), das mit einer erfreulich hohen Frauenquote in allen Instrumentengruppen und vielen jüngeren Gesichtern aufwartet, und sein Wiener Chefdirigent Sascha Goetzel bescherten dem Publikum im Graf-Zeppelin-Haus (GZH) einen abwechslungsreichen Abend. Sowohl der Solist als auch das Orchester haben damit wohl neues Publikum angezogen.
Mit dem Capriccio à la Turque von Ferit Tüzün, der Anfang der 1950er-Jahre an der Münchner Musikhochschule studiert hatte, gab das Orchester gleichsam seine Visitenkarte ab: Viel Schlagwerk, Bläserfarben, Rhythmen, orientalische Melodien formten ein Klanggemälde, das viel eher die nationalen Klangfarben betonte als die eher abstrakte Tonsprache seines Entstehungsjahrs 1956.
Mit seinem Ballett „Gajaneh“und dem darin enthaltenen „Säbeltanz“ist der armenische Komponist Aram
Chatschaturjan in die Musik- und Filmgeschichte eingegangen. Sein Violinkonzert aus dem Jahr 1940, uraufgeführt vom großen David Oistrach, ist dagegen mit seinen Klangfarben, seinen folkloristischen Themen, dem so atmosphärisch dichten langsamen Satz und dem bohrenden Puls im virtuosen Finale sicher eine Entdeckung für viele gewesen. Nemanja Radulovic , der 33-jährige Serbe, der in Frankreich lebt, stürzte sich mit Energie und hoch konzentriert auf das Werk und den höchst spannenden Dialog mit dem Orchester: Der erste Satz mündet in einer aberwitzig vertrackten Solokadenz, im langsamen Satz begegnen sich schicksalsschwere Klänge, Naturtöne und überirdisch feine hohe Register mit satten Steigerungen. Mit leichter Hand gestaltete Radulovic dazu die virtuosen Passagen im starken Pulsieren des Finales zusammen mit dem hellwach agierenden Orchester. Zur Beruhigung der solcherart aufgepeitschten Gemüter verabschiedete er sich mit einer Sarabande von Bach.
Mit „Islamey“, einer orientalischen Fantasie des russischen Komponisten Mili Balakirew, und Igor Strawinskys Ballettmusik „Der Feuervogel“blieben das BIPO und Sascha Goetzel, der dem Orchester seit zehn Jahren erfolgreich vorsteht, in der farbenreich exotischen Tonsprache des Ostens. Kaum zu glauben, dass „Islamey“eigentlich ein Klavierstück, freilich eines der anspruchsvollsten überhaupt, ist. So brausend, spritzig, effektvoll instrumentiert sind die Dialoge zwischen den Instrumentengruppen, dass es wie ein echtes Orchesterstück wirkt.
Mit Strawinsky tauchte man in die russische Märchenwelt über den geheimnisvollen Feuervogel mit seinem schillernden Gefieder und den bösen Zauberer Kastschei ein. Auch in diesem brillant instrumentierten Werk konnte das Orchester seine Qualitäten ausspielen, bevor es sich am Ende eines langen Konzertabends mit Ulvi Cemal Erkin als musikalischem Brückenbauer verabschiedete – Trommel- und Zimbelrhythmen inklusive.