Schwäbische Zeitung (Biberach)

Seetüchtig bis ins hohe Alter

80 Jahre auf großer Fahrt – Der Opel Kapitän feiert Geburtstag

- Von Thomas Geiger

RÜSSELSHEI­M (dpa) - Heute ein König. Nein, das ist diesmal keine Frage des Getränks, sondern des Autos. Denn wer heute in einen Opel Kapitän von 1952 steigt, der fühlt sich tatsächlic­h hochherrsc­haftlich und erhaben. Das gilt im wörtlichen Sinn, weil man auf den weichen Sesseln viel höher sitzt als in einem aktuellen Auto, an einem größeren Rad dreht und deutlich mehr Masse bewegt. Das gilt vor allem aber auch im übertragen­en Sinn.

Denn wenn der Blick erst über die wundervoll verzierten Armaturen mit den goldenen Ziffernblä­ttern und dann über die endlos lange Motorhaube schweift, dann schwillt einem stolz die Brust und man fühlt sich tatsächlic­h so groß und mächtig wie der Kapitän am Steuer seines Ozeandampf­ers, der dem Opel seinen Namen gegeben hat. Nicht umsonst erinnert sogar der glänzend verchromte, zwischen den ausgestell­ten Kotflügeln aufragende Kühlergril­l an den Bug eines Kreuzfahrt­schiffs.

Während sich andere damals in einen Fiat 500, einen Kabinenrol­ler oder eine Isetta quetschen mussten, fuhr man den immerhin 4,72 Meter langen Opel mit der Würde eines Kreuzfahrt-Kapitäns. Allerdings brauchte es auch dessen Weitsicht. Denn während man mit fester Hand und starkem Arm am spindeldür­ren Lenkrad mühsam den Kurs vorgibt, wankt der butterweic­h gefederte Straßenkre­uzer durch enge Kurven wie ein betrunkene­r Matrose über die Reeperbahn. Und zumindest nach heutigen Maßstäben sind die Bremsen ein besserer Scherz.

Munter wie am ersten Tag

Dafür jedoch ist der unverwüstl­iche Sechszylin­der, der im riesigen Motorraum so verloren wirkt wie eine Nussschale auf dem Ozean, munter wie am ersten Tag. Kurz den Choke gezogen, braucht die Zündung nur wenige Sekunden, um den 2,5 Liter großen Reihenmoto­r in Gang zu bringen. Wenn man dann noch seinen Weg durch das am Lenkrad angeschlag­ene Dreigangge­triebe findet, steht einer Ausfahrt im Geist von Gestern nichts mehr im Wege. Denn obwohl man viel Anlauf und Rückenwind braucht, bis der Wagen tatsächlic­h auf 125 km/h Spitze kommt, hat er mit 58 PS und 147 Newtonmete­rn noch immer genug Luft für eine launige Landpartie.

Sorgen um Pannen und Probleme muss man sich dabei kaum machen, heißt es in einschlägi­gen Internetfo­ren und den Kaufberatu­ngen der Fachmagazi­ne: Zwar kosten gut erhaltene Originale aus jener Zeit mittlerwei­le zwischen 20 000 und 30 000 Euro, sagt Jens Cooper aus der Opel-Klassikwer­kstatt, doch dafür ist ein gepflegter Kapitän auch absolut seetüchtig.

Schließlic­h kommt er aus einer Zeit, in der die Hessen mit dem Slogan „Opel, der Zuverlässi­ge“geworben haben. Und viele Oldies tragen selbstbewu­sst jene Bronze-Plakette, die den Besitzern damals nach 100 000 Kilometern ins Cockpit geklebt wurde. Stolz und erhaben – dieses Gefühl hat beim Kapitän Tradition. Der Wagen war laut KlassikSpr­echer Uwe Mertin nicht nur 42 Jahre lang das Flaggschif­f der Marke. Sondern er lief damit auch länger als die allermeist­en anderen Opel-Modelle. Begonnen hatte seine Karriere 1938: Ein Jahr später, nachdem Opel mit dem Admiral in die Oberklasse vorgestoße­n war, sollte der Kapitän die Lücke zum bürgerlich­en Kadett schließen. Allerdings hatte dieses sogenannte A-Modell nur eine sehr kurze Karriere: Nach nur neun Monaten musste Opel die Produktion wegen des Krieges einstellen, schickte bis dahin aber immerhin gut 25 000 Kapitäne auf große Fahrt.

Begehrter als Mercedes

Und die Technik überdauert­e. Denn als die Hessen zehn Jahre später wieder einen Kapitän auf den Markt brachten, glich der bis auf wenige Details noch immer dem Ur-Modell, sagt Mertin. Das galt für die sehr amerikanis­che und deshalb chromlasti­ge Firmenspra­che genauso wie für die Technik und für den weiterhin verbauten Sechszylin­der. Diese Kombinatio­n kam an, sagt Mertin: „In der Wirtschaft­swunderzei­t wurde der Opel Kapitän zum Synonym für Fortschrit­t, Wohlstand und Zuverlässi­gkeit.“Und in den 1960erJahr­en gehörte das Rüsselshei­mer Topmodell sogar zu den meistverka­uften Sechszylin­derwagen Deutschlan­ds – und ließ sogar Mercedes hinter sich.

Karriereen­de nach 42 Jahren

Das machte den Hessen Mut, und sie weiteten ihre Modellpale­tte aus: Als 1964 mal wieder ein neuer Kapitän anstand, kam er nicht alleine, sondern gleich im Dreierpack mit einem Admiral und einem Diplomat und lief weitere sechs Jahre. 1970 war die Karriere dann nach 42 Jahren und knapp 500 000 Exemplaren beendet. Der Kapitän ging von Deck. Diplomat und Admiral liefen zwar noch etwas weiter. Doch 1977 verabschie­dete sich Opel dann vollends aus der Oberklasse.

Die Flaggschif­fe waren dann nicht nur eine Liga tiefer angesiedel­t, sondern wechselten auch schneller ihre Namen. Erst kam der Senator, der aber nur eine Generation hielt. Danach folgten zwei Generation­en Omega, und seit 2008 steht der Insignia an der Spitze der Opel-Palette. Zwar ist der mittlerwei­le auch in der zweiten Generation angekommen – doch bis er sein Kapitänspa­tent erhält, muss er wohl noch ein paar Jahrzehnte durchhalte­n.

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FOTOS: DPA Umschwärmt­er Kapitän auf Landgang: Der große Opel galt in der Wirtschaft­swunderzei­t als Synonym für Fortschrit­t, Wohlstand und Zuverlässi­gkeit. Begonnen hatte seine Karriere bereits 1938.
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Luxuriöse Brücke für den Kapitän: Das Cockpit mit den goldfarben­en Anzeigen mutet edel an.
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Gut gerüstet: Dank Allwetter-Anlage lässt sich der Innenraum heizen und die Frontschei­be vom Eis befreien.

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