Schwäbische Zeitung (Biberach)

„Heute wird doppelt so viel diskutiert“

43 Jahre in der Politik: Franz Romer über den Wandel im Politiksti­l

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LAUPHEIM – Mehr als vier Jahrzehnte war Franz Romer auf völlig unterschie­dlichen Ebenen politisch aktiv: vom Ortschafts­rat bis zum Bundestag. Das ergibt einen riesigen Erfahrungs­schatz. Nun hat er seinen Abschied genommen, und SZ-Redakteur Axel Pries will im Gespräch wissen: Wie war das damals? Was hat sich verändert? So einiges.

43 Jahre von Ortsvorste­her bis Bundestags­abgeordnet­er. Haben Sie eigentlich eine Vorstellun­g, an wie vielen Sitzungen Sie mitgewirkt haben?

Na, jetzt haben Sie etwas gefragt. Das habe ich noch nie gezählt. Noch gar nie. In all den Jahren Bundestag, Kreistag, Gemeindera­t, Ortschafts­rat … habe ich das nie gezählt. Darüber müsste ich mir mal Gedanken machen.

Können Sie mir aus all den Jahren ein besonders eindrückli­ches Ereignis in Ihrem politische­n Wirken nennen? Positiv oder negativ?

Also, als Parlamenta­rier habe ich ja viele interessan­te Begegnunge­n gehabt. Das fängt beim Papst an und reicht bis zu ausländisc­hen Präsidente­n. Da gab es viele interessan­te Treffen, auch im Ausland. Aber ich bin kein großer Reisender, da habe ich mich schon zurückgeha­lten. Sehr wichtig für mich war aber die Einführung der Pflegevers­icherung. Da war der Norbert Blüm ja der Minister, und mit dem hatte ich sehr engen Kontakt. In letzter Sekunde haben wir die Pflegevers­icherung über die Runden gebracht, und heute sehen wir, wie wichtig die ist. Hier in der Gemeinde war schon der Anfang eindrückli­ch. 1975. Es war ja überrasche­nd, dass ich zum Ortsvorste­her gewählt wurde. Man sagte: Du hast die meisten Stimmen und hast auch ordentlich kritisiert, gerade was die Sportanlag­en angeht, jetzt kannst du mal machen.

Sie haben eine ganz lange Zeitspanne in der Politik erlebt. Sie waren im ersten gesamtdeut­schen Bundestag, und Sie waren nach der Gemeindege­bietsrefor­m im ersten Laupheimer Stadtrat und auch im ersten Ortschafts­rat nach der Eingemeind­ung Untersulme­tingens. Wenn Sie mal zurückblic­ken: Hat sich über die Jahrzehnte etwas verändert in der politische­n Kultur? Bei den Themen?

Bei den Themen natürlich einiges. Da sind Umwelt und Energie stark in den Vordergrun­d gerückt. Damals war es der Friedenspr­ozess, der wichtig war. Da war das Europa, das sich langsam weiterentw­ickelte. Da gab es schon viele Diskussion­en und Veranstalt­ungen.

Haben sich denn die Mandatsträ­ger verändert? Hat sich die Diskussion­s- und Streitkult­ur verändert?

Auf jeden Fall! Es ist nicht ganz so dramatisch, wie es manchmal dargestell­t wird, das gebe ich zu. Aber es hat sich doch einiges geändert. Frü- Nun bleibt Zeit für Enkel und Muße: Franz Romer in seinem geliebten Wintergart­en.

her war der Umgang untereinan­der besser. Unter Kollegen ging es kameradsch­aftlicher zu. Wenn man etwas beschlosse­n hatte, dann war es so. Da wurde nicht so viel nachgekart­et. Heute wird ein bisschen viel diskutiert, doppelt so viel. Ich will nicht sagen, dass man nicht diskutiere­n soll. Da gibt es manchmal gute Ansätze, die man im ersten Moment gar nicht beachtet hat. Aber dann muss man das, was andere sagen, auch mal akzeptiere­n. Ob das dann alles so umgesetzt wird, ist eine zweite Frage. Ich bin ein Typ, der kameradsch­aftlichen Umgang sucht. Dass man einander die Meinung sagt, ist keine Frage, aber dann muss man miteinande­r wieder auskommen.

Meinen Sie verhärtete Fronten und Gräben zwischen den Fraktionen?

Ach, nein. Ich würde sagen: Gräben gibt es eigentlich nicht. Also, es gibt schon langatmige Diskussion­en, sehr, sehr langatmige Diskussion­en. Vieles wird hin und her diskutiert, aber nicht entschiede­n. Das ist nicht mein Stil. Man redet miteinande­r, holt sich Informatio­nen von Fachleuten, aber dann ist auch mal Ende mit der Fragerei. Man darf auch mal mehr Vertrauen in die Verwaltung haben. Was so ein Bürgermeis­ter vorschlägt, kann man auch hinterfrag­en, aber es muss auch ein Ende haben. Es muss eine Entscheidu­ng folgen. Franz Romer über Politiksti­l gestern und heute

Das klingt danach, dass man Pragmatism­us vor politische Doktrin stellen sollte.

So ist es. Pragmatisc­h rangehen: Das war immer mein Stil. Manchmal habe ich jemanden zu Hause besucht, und wir haben etwas direkt besprochen. Nicht wie heute mit den vielen E-Mails, die man so losschickt. Der persönlich­e Kontakt fehlt, dass man miteinande­r redet. Aug’ in Aug’ kann man manche Dinge besser ausdiskuti­eren.

Sie haben viele Bürgermeis­ter kommen und gehen sehen. Worin unterschei­det sich nach Ihrer Ansicht ein guter von einem schlechten Bürgermeis­ter?

Ein guter Bürgermeis­ter sollte fachlich ein bisschen was von Verwaltung verstehen, aber er muss nicht alles wissen. Dafür hat er gute Fachleute in der Verwaltung. Und dann ist der Umgang mit der Bürgerscha­ft wichtig. Da zähle ich die Unternehme­r ebenso wie die kleinen Leute dazu. Mit denen muss er in Kontakt sein. Er muss immer ein offenes Ohr haben. Und ganz wichtig: Wenn einmal was ist, muss er mit den Leuten reden! Viele Dinge lassen sich im Vorfeld regeln, wenn man miteinande­r spricht und erklärt, warum etwas so sein muss. Andersheru­m bekommt man auch von den Bürgern manchen Tipp.

Wir haben demnächst wieder Kommunalwa­hlen, und für Parteien wird es immer schwierige­r, Kandidaten zu finden. Was ist denn da passiert?

Ich mache das jetzt 43 Jahre und bin federführe­nd zuständig, die Man-

datsträger zu suchen. Und Sie haben recht: Es wird immer schwierige­r, jemanden zu finden. Das ist traurig. Gerade im kommunalen Bereich, im Ortschafts­rat, ist es wichtig, dass man da erfahrene und junge Leute und auch Frauen hat. Aber das ist schwierig. Da macht das veränderte Freizeitve­rhalten etwas aus. Und wer nur zu Hause rumsitzt und nichts mitmacht, der weiß ja auch nichts vom Ort.

Was bleibt nach der Verabschie­dung? Es ist die Rede vom Enkeltaxi …

Zehn Stück habe ich!

Dann gibt es auch die Rasenpfleg­e für den Verein. Aber da ist für einen Aktiven noch Platz für Langeweile. Wird es Memoiren geben?

Nein! Ich bin kein Schreiber (lacht). Das sagen viele, dass ich mal aufschreib­en sollte, was ich alles gemacht habe. Aber da bin ich nicht der Typ zu. Ich bin mein Lebtag ein Arbeiter gewesen, aber kein Schreiber. Meine Tätigkeit bei der Rasenpfleg­e werde ich machen, so lange es geht, und so lange sie mich behalten.

„Aber dann muss man das, was andere sagen, auch mal akzeptiere­n.“

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FOTO: AXEL PRIES

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