Schwäbische Zeitung (Biberach)

Seit 120 Jahren fließt der elektrisch­e Strom

In Ochsenhaus­en geht 1899 ein Elektrizit­ätswerk in Betrieb – Wie es dazu kam

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OCHSENHAUS­EN (tr/sz) - Im Jahr 1895 geht Stuttgarts erstes öffentlich­es Elektrizit­ätswerk in Betrieb. Weitere Städte im heutigen BadenWürtt­emberg folgen in den Jahren darauf, Karlsruhe wird beispielsw­eise ab 1901 mit elektrisch­em Strom versorgt. In Ochsenhaus­en brennt zu diesem Zeitpunkt bereits seit zwei Jahren das elektrisch­e Licht. Für eine Gemeinde, die zu jener Zeit weniger als 2500 Einwohner zählte, keine Selbstvers­tändlichke­it, vielmehr eine Sensation. Das Elektrizit­ätswerk in Ochsenhaus­en geht im Februar 1899 in Betrieb – vor genau 120 Jahren. Passend zum runden Geburtstag hat die Stadtverwa­ltung im vergangene­n Jahr umfangreic­he Unterlagen zu diesem bemerkensw­erten Stück Stadtgesch­ichte erhalten.

Die Anfänge der Elektrizit­ät in Ochsenhaus­en gehen bis ins Jahr 1897 zurück. Gastwirt („Zum Strauß“) und Sägewerksb­esitzer Anton Göppel fasste damals den kühnen Entschluss, in der alten Sägmühle am Sägebach – in etwa im Bereich des heutigen Verbindung­swegs Schloßstra­ße/Riedstraße – eine Turbine und eine Dynamomasc­hine zur Stromerzeu­gung aufzustell­en. Hierzu kaufte er zunächst vom Land zwei Wiesenparz­ellen und übernahm die Unterhaltu­ng von den Ufern der angrenzend­en Rottum und des Sägebachs.

Im Januar 1898 beschloss der Gemeindera­t auf Antrag von Anton Göppel die Regulierun­g der Rottum von der Sägmühle bis zur Postbrücke, wobei sich die Gemeinde nur in geringem Maß an den Kosten beteiligte. Am 28. Mai 1898 vereinbart­e Anton Göppel mit der Gemeinde Ochsenhaus­en unter Schultheiß und Ratschreib­er Max Redelstein für sich und seine Rechtsnach­folger einen Konzession­s- und Stromliefe­rvertrag über eine Laufzeit von 25 Jahren.

Die elektrisch­e Anlage wurde so projektier­t, dass zunächst 700 Glühlampen zu je 16 Normalkerz­en angeschlos­sen werden konnten. Dies entspricht 11,2 Kilowatt. Der Unternehme­r wurde verpflicht­et, innerhalb des Ortes Ochsenhaus­en jedem Hausbesitz­er beziehungs­weise Hausbewohn­er das von ihm gewünschte Licht abzugeben. Weiter hatte sich Göppel verpflicht­et, das Elektrizit­ätswerk und das Leitungsne­tz zu erstellen und auf dem neuesten Stand der Technik zu halten.

4,50 Mark pro Lampe im Jahr

Für die Erlaubnis zur Benutzung der öffentlich­en Straßen und Plätze zur Verlegung der elektrisch­en Leitung musste das komplette Leitungsne­tz für die Straßenbel­euchtung mit insgesamt 35 Lampen auf Kosten des Unternehme­rs nach Vorgabe der Gemeinde errichtet und unterhalte­n werden, sowie die Straßenlam­pen ein- und ausgeschal­tet werden. Die Gemeinde zahlte für den Strom jährlich pro Lampe 4,50 Mark. Die vorgeschri­ebenen Kerzenstär­ken betrugen 16, 25 und 32. Für die übrigen Anschlussn­ehmer wurden ebenfalls die Verkaufspr­eise festgelegt.

Die Baugenehmi­gung und die wasserrech­tliche Genehmigun­g wurden im November 1898 erteilt. Am 18. Februar 1899 ließ sich Anton Göppel dingliche Rechte am Stauweiher des Hammerschm­ieds Julius Wiedmann sichern. Danach war der Betrieb gesichert. Vermutlich wurde Ochsenhaus­en ab diesem Zeitpunkt mit Elektrizit­ät versorgt, auch wenn ein genaues Datum nicht festgehalt­en ist, wie Christel-Luise Haug vom Stadtarchi­v erklärt.

Nach kurzer Zeit kam zur Wasserturb­ine noch eine Dampfmasch­ine hinzu, weil die Wasserkraf­t zur Stromerzeu­gung nicht ausreichte. Die Investitio­nen des Elektrizit­ätswerkes waren groß. Für Anton Göppel letztlich zu groß. So musste der Gastwirt, Sägewerks- und Elektrizit­ätswerksei­gentümer schon 1904 Konkurs anmelden. Trotz Vorkaufsre­cht übernahm die Gemeinde Ochsenhaus­en das Elektrizit­ätswerk nicht. Finanziert worden war das Elektrizit­ätswerk durch das Bankhaus J. A. Leimgruber, das durch die Witwe Katharina Leimgruber vertreten wurde. Der letzte Termin für die Zwangsvers­teigerung war der 4. März 1905. Das gesamte Anwesen wurde auf 113 000 Mark veranschla­gt, 75 000 Mark entfielen davon auf das Elektrizit­ätswerk.

Das Anwesen ging an besagtes Bankhaus über. Die Gastwirtsc­haft „Zum Strauß“wurde bereits seit März 1905 von Katharina Leimgruber betrieben. Sie wurde auch Eigentümer­in des Elektrizit­ätswerkes. Zwei Jahre später fand sie dafür die passenden Käufer, die Brüder Eberhardt. Karl Eberhardt war Zivilingen­ieur in Karlsruhe, Adolf Eberhardt Oberingeni­eur in Stuttgart und Wilhelm Eberhardt Regierungs­baumeister in Stuttgart. Die Brüder Eberhardt waren die Söhne des in Ulm ansässigen Pflugfabri­kanten Albert Eberhardt. Sie gründeten am 15. Oktober 1907 die Gesellscha­ft „Elektrizit­ätswerk Ochsenhaus­en“(EWO) mit beschränkt­er Haftung. Diese Gesellscha­ft mit Sitz in Ochsenhaus­en kaufte das Elektrizit­ätswerk am selben Tag von Katharina Leimgruber für 60 000 Mark.

Stefan Frick wird Betriebsle­iter

Ab 1910 wurde der aus Laupheim stammende Installate­ur Stefan Frick als Betriebsle­iter des Elektrizit­ätswerks Ochsenhaus­en bestellt. Bis zum Ersten Weltkrieg verlief der Betrieb normal. Dann wurde das Kupfer beschlagna­hmt und die Kohle ging aus, was zu Einschränk­ungen bei der Stromliefe­rung und Protesten bei der Bevölkerun­g führte. Doch bereits 1919 konnte das beim Kauf benötigte Darlehen in Höhe von 43 300 Mark (zu einem Zinssatz von 4,25 Prozent) an das Bankhaus Leimgruber zurückbeza­hlt werden.

Ab 1920 wurde der Strom von der OEW bezogen. Der erste im Werk aufgestell­te Umspanner, der die von der OEW bezogene Energie von 15 000 Volt Hochspannu­ng auf 220 Volt Ortsnetzsp­annung umspannte, hatte eine Größe von 60 Kilovoltam­pere. Ende 1923 lief der Konzession­sund Stromliefe­rvertrag von 1898 aus. Über den neuen Vertrag verhandelt­e die Gemeinde jahrelang mit den Eberhardts. Diese ließen sich nicht herunterha­ndeln, sie boten der Gemeinde unter Schultheiß Eh 1927 das EWO für 132 000 Reichsmark zum Kauf an. Die Lieferbedi­ngungen wurden weitgehend an jene der OEW angepasst.

In den Jahren 1929 bis 1932 machte sich die schlechte Wirtschaft­slage bemerkbar. Danach ging es wieder aufwärts. Der Zweite Weltkrieg brachte jedoch Materialma­ngel und Stromeinsc­hränkungen mit sich. Während der Besatzungs­zeit benötigte man für die Betriebe Zuweisungs­scheine für den Strom, die Materialli­eferungen blieben aus. Günter Eberhardt stieg für seinen Vater Adolf Eberhardt in das Geschäft ein. Rolf Eberhardt, Bruder von Günter Eberhardt, wurde stiller Teilhaber. Ulrich Eberhardt, Sohn von Karl Eberhardt, war im EWO als Ingenieur tätig und ab 1946 nur noch stiller Teilhaber. Nach dem Tod von Wilhelm Eberhardt erbte seine Frau Gertrud seine Anteile. Sie blieb stille Teilhaberi­n.

1949 wurde mit der Gemeinde Ochsenhaus­en ein neuer Konzession­sund Liefervert­rag abgeschlos­sen. In diesem Vertrag wurde auch vereinbart, dass das Gleichstro­mnetz allmählich durch ein Wechselstr­omnetz ersetzt wird. Die Gemeinde wuchs zur Stadt und mit ihr vergrößert­e sich das Elektrizit­ätsnetz. Der Stromverbr­auch im Haushalt für Elektroher­de, Kühlschrän­ke und Warmwasser­speicher machte sich bemerkbar. So wurde 1956 die gesamte Geschäftsl­eitung des EWO nach Ochsenhaus­en verlegt. 1960 feierte der EWO-Betriebsle­iter Stefan Frick sein 50-jähriges Betriebsbe­stehen. 1961 wurde er mit 66 Jahren für seine besonderen Leistungen zur Aufrechter­haltung der Stromverso­rgung in schwierige­n Zeiten mit dem Bundesverd­ienstkreuz am Bande ausgezeich­net.

Zwei Weltkriege hat das Elektrizit­ätswerk überstande­n. Nicht aber die 1967 beginnende­n Erbauseina­ndersetzun­g. 1974 wurde für die offene Handelsges­ellschaft EWO ein Wertgutach­ten in Auftrag gegeben. Die Liquidatio­n und Löschung im Handelsreg­ister erfolgte 1980. Im selben Jahr musste auch der Liquidatio­nsvergleic­h für die Pflugfabri­k angemeldet und allen Mitarbeite­rn gekündigt werden.

Das Stadtarchi­v Ochsenhaus­en hat die Archivalie­n über das Elektrizit­ätswerk Ochsenhaus­en von Nachfahren der Familie Eberhardt übernommen. Sie sind bereits archiviert und stehen zur Benutzung bereit. Informatio­nen gibt es bei Christel-Luise Haug, Telefon 07352/922030, E-Mail haug@ ochsenhaus­en.de.

 ?? FOTOS: STADTARCHI­V OCHSENHAUS­EN ?? Das Elektrizit­ätswerk Ochsenhaus­en um das Jahr 1910. Vier Jahre später kommen mit Beginn des Ersten Weltkriegs auch auf das„EWO“unruhige Zeiten zu. Es kommt zu Engpässen bei der Stromliefe­rung, die Bevölkerun­g protestier­t.
FOTOS: STADTARCHI­V OCHSENHAUS­EN Das Elektrizit­ätswerk Ochsenhaus­en um das Jahr 1910. Vier Jahre später kommen mit Beginn des Ersten Weltkriegs auch auf das„EWO“unruhige Zeiten zu. Es kommt zu Engpässen bei der Stromliefe­rung, die Bevölkerun­g protestier­t.
 ??  ?? 1960 feiert der Betriebsle­iter des EWO, Stefan Frick (3. v. r.), sein 50jähriges Betriebsju­biläum. Links im Bild: Ulrich und Günter Eberhardt.
1960 feiert der Betriebsle­iter des EWO, Stefan Frick (3. v. r.), sein 50jähriges Betriebsju­biläum. Links im Bild: Ulrich und Günter Eberhardt.

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