Schwäbische Zeitung (Biberach)
„Auch wir sind Suchende“
Weihbischof Matthäus Karrer ging dem Wandel von Kirche und Gesellschaft auf den Grund
BAD BUCHAU - Auf Einladung der katholischen Dekanate Biberach und Saulgau hat Weihbischof Matthäus Karrer, der Leiter der Hauptabteilung Pastorale Konzeption im Bischöflichen Ordinariat in Rottenburg, im voll besetzten Saal des Bischof-Sproll-Hauses in Bad Buchau über die veränderten Rahmenbedingungen von Kirche und Gesellschaft gesprochen.
Der Weihbischof, der für die Entwicklung der Seelsorge in der Diözese zuständig ist, betrachtete hierbei besonders die sich in den vergangenen Jahrzehnten stark verändernde Landschaft in der katholischen Kirche. Durch größer gewordene Einheiten, gesellschaftliche Veränderungen und Personalmangel entwickle sich eine spürbare Verunsicherung. Auf diese veränderten Bedingungen möchte aktuell die Diözese Rottenburg-Stuttgart mit dem pastoralen Entwicklungsprozess „Kirche am Ort – an vielen Orten Kirche gestalten“reagieren und zukunftsfähig bleiben.
Zu Beginn weckten Bilder an den Wänden die Neugier der Besucher. „Wir wollen Sie einladen, sich in kleinen Gruppen über die Bilder auszutauschen und anschließend die Gruppen zu wechseln“, sagte Dekanatsreferent Philipp Friedel. Der Austausch war lebhaft.
„Ein Spiegelbild der Gesellschaft“
Auf diesen Austausch als Kernpunkt des Dialogs von Kirche und Gläubigen wies der Weihbischof hin: „Die alte Frage, wohin die Kirche geht, beschäftigt uns seit Jahrzehnten. Die Kirche ist immer ein Spiegelbild der Gesellschaft.“Etwa der zunehmende Säkularisierungsdruck: „Früher wurde ein Kirchenaustritt in einem katholischen Ort gesellschaftlich geächtet, heute ist er normal.“In deutlichen Worten vermittelte der Weihbischof die Problematik, der sich auch eine moderne Kirche zu stellen habe, denn der „gesellschaftliche Kitt“sei lockerer geworden. Hierbei scheute er sich nicht vor selbstkritischer Stellungnahme: „Über Jahrzehnte hinweg wurden Dinge als normal betrachtet, die so nicht sein sollen. Das schlechte Image ist hausgemacht.“
Im kommenden Jahrzehnt wechseln viele Mitglieder in den Ruhestand, in der neuen Generation gebe es weniger Kircheneintritte, womit weniger Kirchensteuer eingenommen werde. Dadurch seien die jahrhundertealten traditionellen Vorstellungen von der Kirche als Pastoralmacht einem Wandel unterworfen: „Dass der Pfarrer von der Kanzel herunter in die Schlafzimmer predigt – das ist weg.“
Für die Kirche bedeute dies: „Man muss die Menschen in ihrer Buntheit und Unterschiedlichkeit betrachten.“In vielen Beispielen veranschaulichte Weihbischof Karrer diese Entwicklung, die nicht mehr den Pfarrer als zentrale Gestalt betrachte, sondern ganz neue Möglichkeiten eröffne, die Kirche zu finden: „Die Kirche ist überall: Nicht nur im Gottesdienst, sondern beispielsweise auch im Gemeindehaus, in der Caritas, in den Schulen, im ehrenamtlichen Engagement oder bei der freiwilligen Feuerwehr.“Hier nannte der Bischof zahlreiche Beispiele von unterschiedlichen Projekten, von der FlugplatzKirche in Böblingen bis zur „Kulturtafel“in Friedrichshafen.
Frauen in der Diakonie?
Bevor er das Publikum zu Stellungnahmen aufrief, sagte er noch: „Auch wir sind Suchende, auch wir sind Teil dieser Welt.“Aus den Gesprächsgruppen kristallisierten sich einige kritische Fragen heraus, wie die Einstellung von Frauen in der Diakonie. „Wir sind noch weit entfernt von Priesterinnen“, stellte ein Zuhörer fest. Darauf verdeutlichte Bischof Karrer seinen Standpunkt: „Sie haben in mir einen Befürworter des Diakonats für Frauen.“
Kontrovers diskutiert wurde auch das Thema Religionsunterricht. Auch dazu vermittelte Karrer die sich wandelnden Vorstellungen: „Die Modelle von früher und die geistlichen Herren als Religionslehrer gibt es nicht mehr.“Es gehe hier um die Beziehung zum Lehrerberuf als Wegbegleiter mit entsprechender Wissensvermittlung: „80 Prozent des guten Unterrichts ist die Atmosphäre und 20 Prozent das Wissen.“