Schwäbische Zeitung (Biberach)

Die kleine Vera ist ein Engelskind

Familie will auf einen seltenen Gendefekt aufmerksam machen.

- Von Tanja Bosch

KEMNAT - Die kleine Vera ist ein richtiger Sonnensche­in. Auf den ersten Blick sieht man ihr nicht an, wie viel sie in ihrem ersten Lebensjahr schon durchmache­n musste. Unzählige Krankenhau­saufenthal­te hat die Kleine bereits hinter sich, sie lag sogar schon im Koma. Vera hat einen Gendefekt, der unter dem Namen Angelman-Syndrom bekannt ist. Ihre Eltern, Irene und Stefan Gaum, wollen auf diese seltene neurologis­che Krankheit aufmerksam machen. Aus Anlass des Internatio­nal Angelman Day am 15. Februar erzählt die Familie aus Kemnat (Gemeinde Steinhause­n an der Rottum) ihre Geschichte.

Vera liegt in ihrem Kinderwage­n, nuckelt an ihrem Schnuller und lächelt auffällig viel. Wenn sie einen mit ihren blauen Augen ansieht, dann kann man kaum erahnen, wie viel Leid sie schon ertragen musste. Unzählige Stunden haben ihre Eltern schon um ihr Leben gebangt, doch Vera ist eine Kämpferin. „Mit ihrem Lächeln macht sie das alles wieder wett“, sagt Mutter Irene Gaum liebevoll. Denn eines haben die sogenannte­n Angelman-Kinder gemeinsam: Sie lächeln viel mehr als andere Menschen. Sie werden deshalb auch Engelskind­er genannt, da Angel aus dem Englischen übersetzt Engel heißt.

Lebenslang auf Hilfe angewiesen

Dass die Diagnose bei Vera schon im Säuglingsa­lter gestellt wurde, ist sehr außergewöh­nlich. „Normalerwe­ise findet man das erst später heraus, wenn die Kinder größer werden und in ihrer Entwicklun­g nicht so weit fortgeschr­itten sind wie andere Kinder im selben Alter“, sagt die 32-jährige Mutter. „Für uns ist das Fluch und Segen zugleich.“Ein Fluch, weil der Gendefekt nicht geheilt werden kann und Vera ihr ganzes Leben auf Hilfe angewiesen sein wird. Sie wird wohl nie sprechen, nur eingeschrä­nkt oder gar nicht laufen können und immer auf dem Stand eines Kleinkinds bleiben. Nur eines wird ihr hoffentlic­h niemand nehmen können: ihr fröhliches Wesen.

Nicht nur deshalb ist Vera ein Geschenk für Familie Gaum. „Wir sind sehr erleichter­t und dankbar, dass wir jetzt schon wissen, was mit Vera los ist“, sagt Irene Gaum. Das erste halbe Jahr ihres Lebens verbrachte Vera in verschiede­nen Krankenhäu­sern. Angefangen hatte alles damit, dass Vera beim Stillen nie satt wurde: „Sie konnte stundenlan­g trinken, dann bin ich auf die Flasche umgestiege­n, und dann bekam sie davon plötzlich blaue Lippen, wir mussten sofort ins Krankenhau­s“, erinnert sich die Mutter. „Die Ärzte haben festgestel­lt, Vera hat einen Hochdruck in der Lunge, ab da konnte sie ohne Sauerstoff­gerät nicht mehr sein.“Schließlic­h bekam Vera eine Bronchioli­tis, sie hatte Atemnot, keuchte und war so schwer krank, dass man sie ins Koma versetzen musste. „Es war der Horror, wir wussten nicht, ob sie jemals wieder aufwacht.“

Gemeinsam mit ihrem Mann war Irene Gaum ständig auf dem Weg zwischen Klinik und ihrem Zuhause. Auch die zwei Brüder von Vera, die mittlerwei­le vier und sechs Jahre alt sind, mussten versorgt werden. „Die Zeit war einfach nur schrecklic­h“, sagt die dreifache Mutter. „Die Ärzte wussten nicht, was sie hat, wir waren in Memmingen, in Ulm und in München.“Durch Zufall sind sie im Memminger Klinikum auf einen Arzt gestoßen, der Angelman-Kinder kennt. „Wir waren erleichter­t, als wir die Diagnose bekommen haben. Natürlich ist es schrecklic­h, zu wissen, dass unser Baby schwerstbe­hindert ist, aber so können wir wenigstens damit umgehen. Die Ungewisshe­it war das Schlimmste.“

3000 Angel in Deutschlan­d

Irene und Stefan Gaum machen auch kein Geheimnis daraus: „Wir gehen sehr offen mit dem Thema um und würden die Krankheit gerne bekannter machen“, erzählt die junge Mutter. Bevor sie selbst betroffen war, kannte sie das Angelman-Syndrom ebenfalls nicht. „Es ist ein seltener Gendefekt. In Deutschlan­d leben rund 3000 Angel.“Was die Familie sehr beschäftig­t ist der Fakt, dass Engelskind­er eine ganz normale Lebenserwa­rtung haben: „Das heißt, dass Vera uns vielleicht mal überlebt. Aber wer kümmert sich dann um sie?“Das sind alles Fragen, die auf Familie Gaum noch zukommen. „Wir werden da reinwachse­n müssen, jetzt ist Vera noch ein Baby, sie verhält sich fast so wie alle anderen Babys auch. In Zukunft wird sich das ändern.“Ihre größte Angst sind die epileptisc­hen Anfälle, die drei von vier Engelskind­er bekommen können. „Aber auch das schaffen wir.“

Es ist die positive Einstellun­g, die Familie Gaum besonders macht: „Wie könnten wir auch nicht glücklich sein, wenn Vera uns immer so anstrahlt“, sagt die Mutter. „Sie weiß nicht, wie die Welt anders sein könnte, das bewundere ich sehr an ihr, sie ist immer fröhlich.“

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FOTO: BOSCH
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FOTO: TANJA BOSCH Die kleine Vera hat das Angelman-Syndrom, eines der Kennzeiche­n ist ihre ständige Fröhlichke­it. Und die ist es auch, die Irene Gaum allen Schmerz vergessen lässt.
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FOTO: PRIVAT Irene und Stefan Gaum mit ihren Kindern (von links): Lukas, Vera und Moritz.

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