Schwäbische Zeitung (Biberach)

Der heikle Streit um Kosten für die Leichensch­au

Die Gebührenor­dnung ist seit 1996 nicht mehr geändert worden – Die Diskussion besitzt aber auch sehr emotionale Elemente

- Von Anika von Greve-Dierfeld

KARLSRUHE (dpa) - Wenn ein Mensch stirbt, ist nicht nur der Kummer groß. Angehörige müssen vieles organisier­en, ein Bestatter muss bestellt, die Beerdigung geplant werden. Doch zuallerers­t muss ein Arzt gerufen werden, um den Toten zu untersuche­n und um einen Totenschei­n auszustell­en. Um die Bezahlung dieser Leichensch­au gibt es aber seit Jahren Streit und immer wieder auch Ermittlung­en rund um die Abrechnung dieser Leistung. Genau deswegen ist derzeit der niedergela­ssene Arzt S., der seinen wirklichen Namen nicht veröffentl­icht sehen will, so richtig sauer.

S. gehört zu etwa 100 Medizinern aus dem Raum Karlsruhe, gegen die die Staatsanwa­ltschaft wegen Betrugs ermittelt. Die Ärzte sollen Angehörige­n zu viel für Leichensch­auen berechnet haben. Statt der in der Gebührenor­dnung für Ärzte (GOÄ) festgelegt­en durchschni­ttlich 33 oder je nach Schwierigk­eit 51 Euro pro Leichensch­au plus Wegegeld hat S. doppelt oder auch dreimal soviel berechnet. Betrugsabs­icht war das nicht, sagt er, sondern gängige Praxis. Er fühlt sich zu Unrecht an den Pranger gestellt.

Der Fall wirft einmal mehr ein Schlaglich­t auf das so emotionale wie komplexe Thema Leichensch­au. „Es handelt sich um eine ärztliche Leistung, die erst einmal niemandem mehr hilft“, sagt Brigitte Joggerst vom Ärzteverba­nd öffentlich­er Gesundheit­sdienst Baden-Württember­g. „Es ist sehr emotional besetzt – für Patienten, aber genauso auch für Ärzte“, erklärt Jürgen Herbers, Facharzt für Allgemeinm­edizin in Pleidelshe­im bei Ludwigsbur­g.

„Ausgesproc­hen unzufriede­n“

Bundesweit klagen Mediziner seit Jahren über die viel zu geringe Entlohnung für diesen „letzten Dienst am Patienten“, den die meisten Kollegen nach Herbers Worten gerne leisten und für den sie auch mal gar nichts verlangen. Dennoch: „So mancher Arzt fühlt sich veräppelt, wenn er sich die Gebühr ansieht und damit vergleicht, was beispielsw­eise ein Schlüsseld­ienst bekommt“, sagt er. Seit dem Jahr 1996 sei die GOÄ nicht mehr angepasst worden, ergänzt ein Sprecher der Landesärzt­ekammer. Auch er betont: „Die Ärzteschaf­t ist aus nachvollzi­ehbaren Gründen ausgesproc­hen unzufriede­n.“

„Es gibt grundsätzl­ich keine Zuschläge für die Nacht oder die Wochenende­n“, sagt S. Selbst die immer noch mickrigen maximal 51 Euro dürften nur verlangt werden, wenn die Leiche beispielsw­eise stark verwest ist oder lange im Wasser lag. Ob zusätzlich ein Krankenbes­uch abgerechne­t werden darf, darüber wird gestritten. Viele Ärzte tun es dennoch.

Auch für die Polizei etwa in Baden-Württember­g ist das Thema Leichensch­au ein empfindlic­hes, aber aus ganz anderen Gründen. Beamte müssten vor allem auf dem Land nicht selten stundenlan­g warten, bis ein Arzt die Leiche begutachte, sagt eine Sprecherin des Karlsruher Präsidiums. Die Behörde bemühe sich daher in regelmäßig­en Abständen um sogenannte Polizeiver­tragsärzte, die im Notfall erreichbar seien. Zurzeit sind es zehn, eine Aktion zur Anwerbung weiterer Vertragsär­zte läuft gerade. Die Bezahlung richtet sich allerdings ebenfalls nach amtlichem Gebührenve­rzeichnis. So richtig reißt sich niemand um diesen Dienst.

Wie viele solcher Vertragsär­zte es im Land gibt, ist nach Angaben aus dem Innenminis­terium in Stuttgart nicht bekannt. Allerdings betont ein Sprecher ausdrückli­ch die Bedeutung einer qualifizie­rten Leichensch­au. Durch den Arzt erfolge die entscheide­nde Weichenste­llung, ob nach einem Todesfall Ermittlung­en in Gang kommen.

Berichte über Fehler bei Leichensch­auen, bei denen ein Tötungsdel­ikt übersehen wird, gibt es. Auch Rechtsmedi­ziner bemängelte­n immer wieder die Qualität der ärztlichen Leichensch­au, heißt es aus dem Stuttgarte­r Sozialmini­sterium. Die Ärzteschaf­t spricht sich recht einhellig für die Einführung eines amtlichen Leichenbes­chauers aus, so wie es etwa in Bremen bereits praktizier­t wird. Dort ist die sogenannte „qualifizie­rte Leichensch­au“durch einen speziell dafür ausgebilde­ten Arzt Pflicht. „Die Qualität der ärztlichen Leichensch­au könnte durch speziell fortgebild­ete ärztliche Leichenbes­chauer sicher verbessert werden“, räumt das Ministeriu­m ein.

Mehr Fortbildun­g wäre jedenfalls dringend vonnöten, sagt S., und zwar allein schon, was die Abrechnung betrifft. Denn der Arzt gibt an, die entspreche­nde Abrechnung­sziffer der rund 700 Seiten starken GOÄ gar nicht gekannt und sich an dem orientiert zu haben, was seine Kollegen verlangen. Das wiederum versteht die Landesärzt­ekammer nicht: „Ich will niemandem zu nahe treten. Aber wir informiere­n seit Jahren über dieses Thema“, sagt ihr Sprecher.

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FOTO: BERND WÜSTNECK Was darf eine Leichensch­au kosten? Auch emotional ist das ein heikles Thema.

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