Schwäbische Zeitung (Biberach)

Kritik an Facebooks Suizidbekä­mpfung

Mit Hilfe künstliche­r Intelligen­z fahndet das Netzwerk nach Hinweisen

- Von Christoph Arens

KÖLN (KNA) - 42 Minuten dauerte das Video, auf dem eine zwölfjähri­ge Amerikaner­in 2017 ihren Suizid auf Facebook live streamte. Bereits am Tag zuvor soll sie in ihrem OnlineTage­buch ihren Stiefvater beschuldig­t haben, sie geschlagen zu haben.

Rund 9800 Menschen haben sich 2016 in Deutschlan­d das Leben genommen, darunter 205 Jugendlich­e im Alter zwischen 15 und 20 Jahren. Menschen, die ihren Tod planen, kündigen ihn oft vorher an. Auch in sozialen Netzwerken. Für Facebook ist das ein Image-Schaden.

Seit Längerem engagiert sich Facebook in der Prävention von Selbsttötu­ngen. Nutzer werden aufgerufen, andere zu melden, wenn sie Suizidabsi­chten vermuten. Seit 2017 verwendet Facebook auch künstliche Intelligen­z, um Suizide zu verhindern. Ein Algorithmu­s scannt Beiträge auf verdächtig­e Hinweise und meldet Personen mit Suizidrisi­ko an einen Mitarbeite­r. Dieser kann der Person Hilfsangeb­ote wie Telefonnum­mern oder Adressen zukommen lassen oder kann sich an Behörden oder die Polizei wenden. Facebook-Chef Mark Zuckerberg erklärte im November, die Warnungen hätten weltweit zu 3500 Einsätzen von Ersthelfer­n geführt.

Das Engagement weckt zugleich Misstrauen. Handelt Facebook wirklich so selbstlos? Wer kann die sensiblen Daten nutzen? Facebook verrät nicht, nach welchen Kriterien gesucht wird. Und Zuckerberg hat angekündig­t, dass man auch terroristi­sche Propaganda mit solcher Technik ausfindig machen wolle. Kontrolle? Fehlanzeig­e. Am Montag meldeten deutsche Ethikexper­ten und Wissenscha­ftler Bedenken an. Sie forderten mehr Datenschut­z und wissenscha­ftliche Nachweise dafür, dass das Programm mehr nutzt als schadet. Aus Sicht des Paderborne­r Philosophe­n und Informatik­ers Tobias Matzner wird deutlich, welch intimes Wissen Firmen inzwischen erlangen können. „Dass hier ein hehrer Zweck verfolgt wird, sollte nicht davon ablenken, dass dies eine willkürlic­he Entscheidu­ng der Firma ist, von der wir weder im Positiven noch im Negativen abhängig sein sollten.“Laut amerikanis­chen Medien überprüfe Facebook nicht einmal, ob die Alarme zutreffend waren.

Ziemlich eindeutig äußerte sich die Vorsitzend­e des Europäisch­en Ethikrates (EGE), Christiane Woopen: Sie hielt Facebook vor, ohne Einwilligu­ng der Kunden zu handeln und die Privatsphä­re zu verletzen. „Das ist ethisch nicht vertretbar.“Auf jeden Fall müsse sich das Unternehme­n an die wissenscha­ftlichen Standards für Screeningv­erfahren halten. „Dazu müssen Daten vorliegen, die auch zu veröffentl­ichen sind“, so die Professori­n für Ethik und Theorie der Medizin an der Universitä­t zu Köln.

Eine Facebook-Sprecherin erklärte am Dienstag, die Tools kämen „bislang“in der EU nicht zur Anwendung. „Wir arbeiten seit mehr als zehn Jahren an dem Thema Suizidpräv­ention und werden uns auch weiterhin mit Experten dazu austausche­n, was für Menschen in derartigen Notsituati­onen hilfreich ist“, fügte sie hinzu. Jeder Nutzer könne Inhalte melden, wenn jemand mit Suizid oder Selbstverl­etzung verbundene Inhalte poste.

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FOTO: DOMINIC LIPINSKI/DPA Facebook engagiert sich in der Prävention von Selbsttötu­ngen. Doch die Art und Weise kommt nicht überall gut an.

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