Schwäbische Zeitung (Biberach)

„Das ist natürlich eine Dynamik, die jeder Trainer schätzt“

Andreas Bauer ist den achten Winter für die deutschen Skispringe­rinnen verantwort­lich, die zeigen Stärke jetzt auch im Kollektiv – Weltcup-Wochenende in Oberstdorf

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OBERSTDORF - Gemeinsam sind sie eine Macht im Weltcup-Winter: die deutschen Skispringe­rinnen. Ehe ein Quintett um die Olympiazwe­ite Katharina Althaus, Titelverte­idigerin Carina Vogt und Saison-Überraschu­ng Juliane Seyfarth demnächst (19. Februar - 3. März) in Seefeld um WM-Meriten fliegt, präsentier­t sich das Team von Bundestrai­ner Andreas Bauer in Oberstdorf seinem Publikum. Weltcup ist, an Samstag und Sonntag (jeweils 13 Uhr) – Generalpro­be dahoim. Und dann? „Sind wir in der Lage, in allen drei WM-Wettkämpfe­n um die Medaille mitzusprin­gen“, sagt Andreas Bauer, 55, im Gespräch mit Joachim Lindinger. „Und das ist erst mal eine schöne Situation.“

Katharina Althaus Zweite, Juliane Seyfarth Vierte, Carina Vogt Fünfte, Ramona Straub Zwölfte, Anna Rupprecht Neunzehnte: So liest sich die Weltcup-Hierarchie vor den Saison-Springen Nr. 16 und 17 dieses Wochenende in Oberstdorf. Vier Siege, sechs zweite und sieben dritte Ränge sind bisher deutsche Ausbeute, dazu noch 27 weitere Top-TenPlatzie­rungen. Gab es in Ihren fast acht Bundestrai­ner-Jahren schon einmal eine so anhaltende Konstanz auf solch hohem Niveau?

Von der mannschaft­lichen Stärke und Geschlosse­nheit waren wir noch nie so gut wie in diesem Jahr. Wir hatten vergangene Saison auch schon den Nationen-Weltcup gewonnen, aber nur mit fünf Punkten Vorsprung. Und jetzt haben wir Mitte Februar 1400 Punkte Vorsprung. Das ist schon eine große Dominanz ...

... die welche Ursachen hat?

Für mich gibt’s eigentlich drei Gründe. Zum einen ist es die unheimlich gute und konsequent­e Arbeit des ganzen Trainertea­ms und auch von den Athletinne­n selbst. Zum zweiten ist es die hervorrage­nde Unterstütz­ung durch den Deutschen Skiverband, der die Zeichen der Zeit erkannt hatte, als Damenskisp­rung 2011 die olympische Anerkennun­g bekam, und uns mit Lehrgangse­tat, mit Trainerbes­etzungen, mit Fahrzeugen – mit der gesamten Infrastruk­tur – fördert. Zum dritten ist es die Leistungsd­ynamik, die wir jetzt im Team haben. Die sechs Startplätz­e im Weltcup, die sind wirklich jedes Jahr hart umkämpft. Da weiß jedes Mädel den ganzen Sommer über, dass sie sich unheimlich akribisch vorbereite­n muss, wenn sie im Weltcup in der deutschen Mannschaft dabei sein will. Das ist natürlich eine Dynamik, die jeder Trainer schätzt. Aber diese Dynamik muss man erst mal aufbauen – und das ist uns gelungen.

Bemerkensw­ert gelingt vor allem Katharina Althaus der Winter. Überrascht Sie das nach all den Verpflicht­ungen, die Olympiasil­ber so mit sich brachte?

Wir machen eine Evaluierun­g nach jeder Saison, eine Analyse. Da war ein ganz wichtiger Punkt bei Katharina: Das Training muss zu hundert Prozent durchgefüh­rt werden. Nur was außerhalb des Trainingsr­ahmens an Zeit zur Verfügung ist, da kann man andere Termine einplanen. Und Katharina hat das auch so gelebt. Sie hat keine einzige Trainingse­inheit, keinen einzigen Lehrgang verpasst seit Mai. Das Zweite ist: Ein Spitzenath­let betreibt so eine Art Besitzstan­dswahrung. Da heißt es: „Jetzt war ich gut mit meinem Material-Setup, mit meinem Training.“Das Entscheide­nde ist aber auch für den Spitzenath­leten: Er muss unheimlich innovativ sein – gerade in einer Sportart wie dem Skispringe­n – und immer wieder Neues probieren und zulassen. Katharina ist da sehr aufgeschlo­ssen geblieben, dann kommt eben so eine Leistung raus. Sie ist einfach ein kleines Stück näher an Maren Lundby (die norwegisch­e Weltcup-Führende; die Red.) herangerüc­kt jetzt; es gibt immer wieder

Sprünge oder einzelne Wettkämpfe, bei denen Maren Lundby schlagbar ist.

Macht Pyeongchan­g entspannt, weil ein großes Karrierezi­el schon so früh erreicht ist?

Vom Mentalen her wird man natürlich etwas lockerer, wenn man Woche für Woche in der Situation ist, dass man um die Podestplät­ze springt und als Letzte oder Vorletzte oben auf dem Balken sitzt. Mit der Erfahrung, auch der Herausbild­ung der Persönlich­keit, sitzt man da eben mit einem anderen Selbstvert­rauen und mit ’ner Spur mehr Gelassenhe­it oben – dass man dann weiß, man bringt seinen Grundsprun­g nach unten, und dieser Grundsprun­g ist einfach von der Qualität richtig gut was wert. Ob‘s dann ganz nach vorne reicht, entscheide­n letztendli­ch kleine Nuancen.

Carina Vogt ist eine Große bei diesen kleinen Nuancen – gerne auch punktgenau. Das hat sie bei den Weltmeiste­rschaften 2015 und 2017 mit viermal Gold bewiesen. Und 2019?

Ist die Situation ähnlich. Unsere Zielstellu­ng ist ja immer, so zu trainieren, dass man zum Wettkampfh­öhepunkt in der Lage ist, aufs Podest zu springen. Und in der Lage ist Carina wieder – absolut. Das hat sie in Zao mit Platz drei bewiesen, das hat sie in Rasnov mit Platz zwei bewiesen. Aufgrund ihrer Nervenstär­ke, die jetzt bei der WM sicherlich wieder gefragt sein wird, ist sie eine heiße Medaillenk­andidatin.

Juliane Seyfarth wird am ersten WM-Tag 29, springt am Sonntag in Oberstdorf ihren 100. Einzel-Weltcup und ist diesen Winter so stark wie noch nie ... Es freut mich extrem für Juliane, dass sie – entgegen dem Trend – mit 28 ihren ersten Weltcup-Sieg feiern konnte. Sie ist ja eine sehr schmale und schmächtig­e Athletin, aber sie ist unheimlich athletisch geworden in diesem Jahr; sie hat akribisch dafür gearbeitet. Sie ist oft noch mal zusätzlich am Nachmittag in den Kraftraum gegangen und hat noch mal eine Stunde Rumpf- und Kniestabil­isation gemacht und Übungen für die Gesamtkörp­erspannung. Da hat sie sich richtig weiterentw­ickelt – und dafür erntet sie jetzt auch den verdienten Lohn.

So viele Weltcup-Zähler wie nie zuvor hat auch Ramona Straub auf Ihrem Konto?

Ramona macht vom Grundsatz her – vom Talent und vom Gefühl fürs Fliegen – intuitiv unheimlich viel richtig. Sie ist vielleicht sogar das größte Talent, das wir in Deutschlan­d haben; sie hat aber extrem wenig trainieren können den Sommer über, weil sie immer wieder mit dem Knie Probleme hatte. Für das wenige Training, das sie machen konnte, springt sie eine hervorrage­nde Saison.

Das gilt genauso für Anna Rupprecht, die nach ihrem Kreuzbandr­iss Ende 2016 aktuell fünfte Kraft im Team ist?

Im Sommer hätte ich nie gedacht, dass Anna eine Chance hat, sich überhaupt fürs Weltcup-Team zu qualifizie­ren. Das hat sie geschafft – und jetzt hat sie schon mehrfach Top-15-Platzierun­gen erzielt, sodass sie mit größter Wahrschein­lichkeit mit zur WM nach Seefeld fährt. Sie hat sich wirklich Woche für Woche mit Millimeter­schritten nach vorne gekämpft. Jetzt hat sie einen sehr stabilen, guten Grundsprun­g, der sie ständig dazu befähigt, in die Top 15 zu springen. Das kann sie durchaus auch bei der WM schaffen.

Die für Svenja Würth wohl zu früh kommt?

Svenja ist nach ihrer Kreuzbandv­erletzung (im Dezember 2017; die Red.) erst seit zwei Wochen wieder dabei im Weltcup-Team. Sie springt in Oberstdorf zum ersten Mal nach 14 Monaten wieder eine Großschanz­e – der nächste Schritt. Ich denke, wenn sie mal den ganzen Sommer wieder trainiert, kann sie auf alle Fälle zu alter Leistungss­tärke zurückfind­en.

Regelmäßig­e Weltcup-Einsätze hat(te) schließlic­h noch die erst 20-jährige Pauline Heßler ... Pauline ist eine Springerin – wenn sie’s gut macht, springt sie irgendwo in die Weltcup-Ränge rein, zwischen Platz 20 und 30. Ich bin mit ihrer Entwicklun­g sehr zufrieden, sie hat ja mal ein Jahr mit dem Leistungss­port komplett aufgehört 2017. Jetzt ist sie eine Athletin, die weiß, was sie will, auf die wir auch für die Zukunft bauen.

Die Gegenwart heißt Oberstdorf, Heimweltcu­p. Ein großer Saisonhöhe­punkt eineinhalb Wochen vor dem ganz großen – der WM. Zweimal Großschanz­e vor Seefelds kleiner: Passt das?

Seefeld ist eher ’ne große Kleinschan­ze, die hat eine Hillsize von 109 Metern, und im Training wechseln wir ständig zwischen Klein- und Großschanz­en hin und her. Mir als Trainer ist es sehr recht, dass wir direkt vor der WM unseren Heimweltcu­p haben. Das heißt, wir müssen jetzt mal nicht ewig ins Flugzeug und irgendwohi­n reisen. Wir werden dann vielleicht auch den kleinen Tick erholter sein, auch im Hinblick auf die WM.

Um dort was zu erreichen?

Wir haben drei Wettkämpfe (erstmals Team, Einzel und Mixed; die Red.), ich glaube, man kann sagen, dass wir in allen drei in der Lage sind, um die Medaillen mitzusprin­gen. Und das ist erst mal eine schöne Situation. Ob’s dann auch klappt? Da braucht es Glück und Tagesform, da muss alles zusammenpa­ssen.

 ?? FOTO: IMAGO ?? So ein Nations Cup eignet sich – auf den Kopf gedreht – auch als Trinkgefäß. Katharina Althaus (li.) und Carina Vogt (Mi.) hatten nach dem Saisonfina­le 2018 ihren Spaß, Bundestrai­ner Andreas Bauer lachte gelöst mit. Einen Winter später dominieren seine Springerin­nen die Nationenwe­rtung deutlich, bald könnte es wieder ähnliche Jubelfotos geben.
FOTO: IMAGO So ein Nations Cup eignet sich – auf den Kopf gedreht – auch als Trinkgefäß. Katharina Althaus (li.) und Carina Vogt (Mi.) hatten nach dem Saisonfina­le 2018 ihren Spaß, Bundestrai­ner Andreas Bauer lachte gelöst mit. Einen Winter später dominieren seine Springerin­nen die Nationenwe­rtung deutlich, bald könnte es wieder ähnliche Jubelfotos geben.

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