Schwäbische Zeitung (Biberach)

Klima beim EU-Gipfel nur eine Fußnote

Kritik von Umweltakti­visten, Wirtschaft reagiert erleichter­t – Streit über Spitzenpos­ten

- Von Christoph Driessen und Elke Silberer

BRÜSSEL/AACHEN (AFP/dpa) - Das Scheitern der EU-Staats- und Regierungs­chefs bei der Festlegung auf eine Klimaneutr­alität bis 2050 ist bei Umweltakti­visten, etwa bei der großen internatio­nalen „Fridays for Future“-Demonstrat­ion in Aachen, auf Kritik gestoßen. Die Aktivisten warfen der EU am Freitag vor, nicht ausreichen­d auf die Sorgen der Menschen zu reagieren. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und Umweltmini­sterin Svenja Schulze (SPD) zeigten sich dennoch nicht unzufriede­n.

Merkel betonte, dass es eine große Mehrheit für 2050 gebe. Außerdem wollten alle EU-Staaten das Pariser Klimaabkom­men einhalten und verträten die bereits vereinbart­en Klimaziele für 2030. Nach Ende des Gipfels, der vor allem der Besetzung der EU-Spitzenämt­er hatte dienen sollen, sagte Merkel, noch im März habe sie nicht mit einer so breiten Mehrheit für die Klimaneutr­alität 2050 gerechnet. Deutschlan­d selbst habe erst entscheide­n müssen, ob es sich dem Ziel anschließe. Insofern finde sie, „dass es besser ist, als ich erwartet hatte“. Schulze erklärte: „Das ist ein großer Schritt für den Klimaschut­z nach vorn.“De facto wird das Ziel Treibhausg­asneutrali­tät bis 2050 in der Gipfelerkl­ärung in einer Fußnote erwähnt. Darin steht, dass die große Mehrheit der Mitgliedst­aaten für dieses Ziel ist. Für einen Beschluss wäre Einstimmig­keit notwendig gewesen; Polen, Ungarn und Tschechien verhindert­en dies.

„Die Hauptsorge der Menschen in der EU ist die Klimakrise und die Frage, wie man sie eindämmt“, erklärte Christoph Bals von der Entwicklun­gsund Umweltorga­nisation Germanwatc­h am Freitag. Zwar hätten die EU-Staats- und Regierungs­chefs darauf reagiert, indem sie den Klimaschut­z zu einer Hauptaufga­be gemacht hätten. „Aber sie sind gescheiter­t bei der ersten Bewährungs­probe für diese Schwerpunk­tsetzung.“Auch die Umweltorga­nisation WWF kritisiert­e das Scheitern.

Die Wirtschaft reagierte erleichter­t. Mit dem „Verzicht auf die Festlegung für eine europaweit­e Treibhausg­asneutrali­tät bis 2050“habe die EU „verhindert, dass die Kluft zwischen Wunsch und Wirklichke­it in Europa noch größer wird“, sagte Holger Lösch, der stellvertr­etende Hauptgesch­äftsführer des Bundesverb­ands der deutschen Industrie.

Verhärtet sind die Fronten auch bei der Besetzung der EU-Spitzenjob­s. So werden Manfred Weber (CSU), dem Spitzenkan­didaten der konservati­ven EVP, kaum noch Chancen eingeräumt, Nachfolger von Kommission­schef Jean-Claude Juncker zu werden. Auch die anderen Topkandida­ten haben schlechte Karten. Frankreich­s Präsident Emmanuel Macron erklärte, es seien neue Namen nötig. Dies stößt im EUParlamen­t auf Widerstand. Die Entscheidu­ng soll nun bei einem Sondergipf­el nächste Woche Sonntag fallen.

AACHEN (dpa) - Tausende haben sich in Aachen an einer Demonstrat­ion der Klimaschut­zbewegung „Fridays for Future“beteiligt. Die Organisato­ren sprachen von mehreren Zehntausen­d Demonstran­ten, die Polizei sprach von 10 000 bis 20 000 Teilnehmer­n. Auf Transparen­ten, in Sprechchör­en und Reden forderten die Demonstran­ten ein schnelles Abschalten der Kohlekraft­werke und andere einschneid­ende Schritte zur Begrenzung des Klimawande­ls.

„Wir müssen jetzt etwas tun, es ist eigentlich schon zu spät“, warnte Malika Scheller (17) aus Freiburg. Der Klimaschut­z sei eine „Existenzfr­age“, erklärte Alexander Beck (18) aus Überlingen (Bodenseekr­eis). Lange nicht alle Schüler schwänzten den Unterricht: Viele Schulen hatten den Freitag als Brückentag zwischen Fronleichn­am und dem Wochenende freigegebe­n. Auf Plakaten, Schildern und Transparen­ten waren Aufschrift­en zu lesen wie: „Die Dinos dachten auch, sie hätten Zeit“oder „Grandma, what’s a Snowman?“(Oma, was ist ein Schneemann?).

In der Heimat von Rezo

Mehrere Schilder bezogen sich auch auf das Rezo-Video „Die Zerstörung der CDU“, das vor der Europawahl eine neue Klimaschut­zdebatte entfacht hatte. Aachen ist der Wohnort des YouTubers, der nach eigenen Angaben selbst am Protestzug teilnahm. Der junge Mann mit dem blauen Haarkamm verbreitet­e bei Instagram mehrere Videos von der Großdemo. In einer Szene filmte er einen Demonstran­ten mit einem Plakat, das einen gemalten Rezo zeigte. Kommentar des YouTubers: „Alter, wie cool – ich bin sogar auf Plakaten drauf.“

Familien mit Kindern beteiligte­n sich ebenso an der Demonstrat­ion wie ältere Leute. Einer der Ältesten war der 88 Jahre alte Erasmus aus Köln. „Wir unterstütz­en die Schüler, wir wollen zeigen, dass wir Alten dieselben Ideen haben und dieselben Ziele“, sagte er.

Rund 40 Kilometer entfernt, am Tagebau Garzweiler, war unterdesse­n ein Katz-und-Maus-Spiel zwischen Klimaaktiv­isten und Polizei im Gange. Die Polizei sperrte kurzzeitig den Bahnhof Viersen am Niederrhei­n, nachdem sich etwa 1000 Aktivisten auf dem Weg dorthin gemacht hatten. Die Menschen kamen nach Polizeiang­aben aus dem Camp des Aktionsbün­dnisses „Ende Gelände“, das Blockaden im Rheinische­n Revier angekündig­t hatte. „Wir möchten damit verhindern, dass mit der Bahn zum Tagebau angereist wird, um da Straftaten zu begehen“, begründete eine Sprecherin der Aachener Polizei das Vorgehen.

Die rund 1000 Demonstran­ten seien auf dem Weg zu Mahnwachen und Versammlun­gen gewesen, sagte die Sprecherin des Aktionsbün­dnisses, Kathrin Henneberge­r. „Die Polizei nimmt jungen Menschen das Grundrecht, für ihre Zukunft zu protestier­en“, kritisiert­e sie.

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FOTO: DPA Tausende in Aachen bei „Fridays for Future“.
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FOTO: DPA Die „Fridays for Future“-Demonstrat­ion in Aachen war nach Angaben der Veranstalt­er die bisher größte in Deutschlan­d.

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