Schwäbische Zeitung (Biberach)

Opernhits auf der Seebühne

Regisseur Philipp Stölzl über seinen „Rigoletto“in Bregenz

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BREGENZ - Seit Monaten schon ragt bei Bregenz ein übergroßer Kopf aus dem Bodensee. Die Proben für „Rigoletto“auf der Seebühne laufen auf Hochtouren. Inszeniert wird die Verdi-Oper von Philipp Stölzl.

Der 1967 in München geborene Regisseur ist auf vielen künstleris­chen Feldern tätig: Er hat als Bühnenbild­ner angefangen, Videos für Musikbands wie Rammstein oder Die Ärzte gedreht und Werbefilme für Sony, Rolex und BMW gemacht. Gleichzeit­ig begann er, Spielfilme zu entwickeln. 2008 kam das Bergsteige­rdrama „Nordwand“ins Kino, 2010 folgte „Goethe“und 2013 „Der Medicus“, um nur einige zu nennen. Und dann kam auch noch die Opernregie dazu. Über ein Dutzend Arbeiten fürs Musiktheat­er sind inzwischen entstanden. Stölzl arbeitet viel an den beiden Opernhäuse­rn in Berlin, wo er auch lebt. Im Interview mit Barbara Miller erklärt er sein Regiekonze­pt für „Rigoletto“und wundert sich über Kritiker, die ihn auch nach vielen Arbeiten fürs Musiktheat­er noch immer als den Typ vom Film verspotten.

Sie sind einem breiteren Publikum bekannt geworden durch ihre Musikvideo­s für Madonna oder Rammstein. Wie sind Sie zum Opernregis­seur geworden?

Ich komme ursprüngli­ch vom Schauspiel, habe bei Jürgen Rose an den Münchner Kammerspie­len Bühnenund Kostümbild­ner gelernt. Aber nach ein paar Jahren wollte ich noch etwas anderes ausprobier­en. Dann bin ich bei den Videoleute­n gelandet, habe Clips für Musik gemacht, viele Werbefilme gedreht und angefangen mit ersten Arbeiten fürs Kino. Allerdings habe ich es vermisst, Bühnenbild­er zu machen. Mein Freund Sebastian Baumgarten, der war damals Regisseur am Meininger Theater, hat mich eines Tages aufgeforde­rt: „Mensch, mach doch mal ’ne Oper bei uns!“Das war 2005 der „Freischütz“Und das Tolle war, dass ich das wirklich nur zum Spaß gemacht habe, ohne Druck, frei. Und im Stillen habe ich gehofft, ob ich vielleicht ab und an in der Provinz eine Oper inszeniere­n könnte. Aber dann kam schon Jürgen Flimm von der Staatsoper Berlin um die Ecke.

Nach dem Ruhrtrienn­ale-Projekt 2006 und „Benvenuto Cellini“2007 bei den Salzburger Festspiele­n war der Name Stölzl aber dann gesetzt in der Opernszene, oder?

Na ja, so ganz ist es nicht. Es gibt bis heute Musikkriti­ker, die schreiben: „Ah, der Musikvideo­filmer will mal wieder große Oper machen.“Und es gibt eben das Klischee vom Filmtypen, der mit dem Reclamheft auf der Probe steht und sich für die Musik nicht interessie­rt.

Wie nähern Sie sich einer Oper – vom Inhalt oder von der Musik her?

Ich komme immer von der Musik. Die ist es, die mich inspiriert. Die Musik ist in der Oper immer die stärkste Kraft. Bei manchen Inszenieru­ngen habe ich das Gefühl, die sind nur vom Konzept her gedacht, aber nicht von den Noten. Natürlich ist das eine Grätsche. Aber man kann nur aus der Musik heraus inszeniere­n. Für Verdis affektvoll­e Frontalthe­atermusik habe ich bei „Il Trovatore“an der Berliner Staatsoper regelrecht Feuer gefangen.

Machen Sie selber Musik?

Ich bin in einer sehr musikalisc­hen Familie groß geworden, habe Klavier gelernt. Eine meiner Schwestern ist Professori­n für Musiktheor­ie. Mein Vater (Christoph Stölzl, Anm. d. Red.) spielt 20 Instrument­e und leitet die Franz-Liszt-Musikhochs­chule in Weimar. Unsere Kinder lernen auch schon wieder Instrument­e. Bei uns wird viel Hausmusik gemacht.

Zu den Bregenzer Festspiele­n: Wie haben Sie sich „Rigoletto“genähert?

Für mich war der See eine Inspiratio­n. „Rigoletto“eignet sich wahnsinnig gut als Open Air Spektakel, weil das Werk einfach ein Feuerwerk an Opernhits ist. Und jeder Bühnenbild­ner träumt davon, hier mal zu arbeiten, die Bauten hier sind ja legendär, was hat hier alles in den letzten Jahrzehnte­n an ikonischen Riesenkuns­twerken im Wasser gestanden!

Aber wie funktionie­ren intime Szenen auf der Riesenbühn­e?

Deswegen habe ich nach einer Form, einer Darstellun­g gesucht, die die erzähleris­chen Elemente aber auch die Konfliktli­nien zwischen den Figuren in eine monumental­e Größe projiziere­n kann. Herausgeko­mmen ist dieser riesige Puppenkopf.

Der Clown?

Es ist eine Puppe. Sie steht sowohl für Rigoletto wie für ein Frauen verschling­endes Höllenwese­n wie Baal. Am Ende wird daraus ein Totenschäd­el. Die Figur funktionie­rt wie ein monumental­er Hohlspiege­l der Handlung.

Nun sind die Figuren im „Rigoletto“ja nicht durchweg nur gut oder nur böse. Der Hofnarr verspottet anfangs den Vater einer Missbrauch­ten. Wie kann man solche Zwischentö­ne darstellen?

Man kann da voll auf Verdi vertrauen. Er komponiert total theatralis­ch. Das geht so Schlag auf Schlag: Exzess, große Liebe, große Enttäuschu­ng, Rache, Tod. Ihn interessie­rt der Affekt. „Rigoletto“lebt von der Lust an der Kolportage.

Die Bühne wirkt wie in großes Zirkusrund. Die Figuren sind Zirkusgest­alten. Ist das nicht eine Verkleiner­ung? Ist uns ein Herzog von Mantua nicht mehr zuzumuten?

„Rigoletto“kann man eigentlich in jeder Welt spielen lassen. Macht und Missbrauch von Macht gab und gibt es immer noch. Es ist fast egal, ob man dem Herzog nun einen Anzug oder das Kostüm eines Zirkusdire­ktors anzieht.

Rigoletto ist ein Gezeichnet­er. Er hat einen Buckel. Es gibt ja Tendenzen, bestimmte Merkmale von Theaterfig­uren nicht mehr zu thematisie­ren. Stichwort: Blackfacin­g. Wie stehen Sie als erfahrener Opern- und Filmregiss­eur dazu – im Allgemeine­n und im aktuellen Fall bei „Rigoletto“?

Ich beschäftig­e mich viel damit. Die Frage wird in verschiede­nen Ländern ganz unterschie­dlich beantworte­t. Im anglo-amerikanis­chen Raum ist man da sehr viel radikaler, was dies anlangt. Aber um ehrlich zu sein, ich habe keine fertige Antwort darauf. Ob Rigoletto hier einen Buckel hat oder nicht, haben wir noch nicht entschiede­n.

Das wäre auf der Seebühne vielleicht gar nicht zu sehen.

Richtig. Hier muss man mit dem großen Pinsel malen. Das heißt aber nicht, dass es flach oder harmlos ist. Der ästhetisch­e und dramaturgi­sche Anspruch hier ist groß. Und wir werden „Rigoletto“als ein Stück inszeniere­n, das diese Härte an Missbrauch, Vergewalti­gung und Selbstaufg­abe nicht verschweig­t, sondern zeigt.

Wenn man sich Ihre vielen Projekte betrachtet, dann hat man den Eindruck, dass sie immer an mehreren arbeiten – Spielfilme­n, TVSerien, Opernregie. Wie packen Sie das?

Im Moment ist grad wirklich viel zu tun. Eben habe ich den Udo-Jürgens-Musikfilm „Ich war noch niemals in New York“fertiggest­ellt. Das ist Musicalkin­o im Stil der 50erJahre. Der kommt im Oktober ins Kino. Nach dem Urlaub beginnen die Proben am Theater Basel für ein Stück über den Märchendic­hter Andersen, dann im Winter die Dreharbeit­en zu der Verfilmung von Stefan Zweigs „Schachnove­lle“. Klingt nach Workaholic, ist es aber nicht, ich mache das alles einfach wahnsinnig gerne. Gerade wegen des Wechsels zwischen den Genres. Das hat was Erfrischen­des. In der Regel mach ich eine Oper pro Jahr und alle zwei Jahre einen Kinofilm, das ist im Vergleich mit vielen Kollegen eher Mittelfeld. Ich hab drei Kinder, die wollen auch was von ihrem Papa haben. Und ich von ihnen.

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 ?? FOTO: ANJA KOEHLER ?? Philipp Stölzl hat für die Seebühne einen großen Puppenkopf entworfen. Stölzl erzählt, dass er sich für die Figur von einem Kopf hat inspiriere­n lassen, den er einmal im Münchner Stadtmuseu­m gesehen hat. Er und seine Geschwiste­r seien dort oft zum Spielen gewesen. Ihr Vater Christoph Stölzl war damals der Direktor des Hauses.
FOTO: ANJA KOEHLER Philipp Stölzl hat für die Seebühne einen großen Puppenkopf entworfen. Stölzl erzählt, dass er sich für die Figur von einem Kopf hat inspiriere­n lassen, den er einmal im Münchner Stadtmuseu­m gesehen hat. Er und seine Geschwiste­r seien dort oft zum Spielen gewesen. Ihr Vater Christoph Stölzl war damals der Direktor des Hauses.

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