Schwäbische Zeitung (Biberach)
Waldemar oder der digitale Wahnsinn
Der aus Seekirch stammende Schauspieler Joachim Aßfalg steht erneut in der Heimat auf der Bühne
BAD BUCHAU/SEEKIRCH - Joachim Aßfalg ist zurück. Am 30. Juni wird der aus Seekirch stammende Schauspieler erneut auf der Bühne des Bad Buchauer Bischof-Sproll-Hauses stehen – mit seinem ersten selbstgeschriebenen Stück. In „Waldemar oder die Entführung der Realität“besetzt Aßfalg als Hauptdarsteller, Autor und Produzent gleich mehrere Rollen auf einmal. Erst vor zwei Wochen wurde es im Rationaltheater München uraufgeführt.
Joachim Aßfalg war Anfang 20, als er aus seinem bürgerlichen Leben ausbrach, vom Büro auf die Bühne wechselte und eine Ausbildung im Schauspielstudio Gmelin und an der Neuen Münchner Schauspielschule absolvierte. Seither ist der Seekircher schon auf etlichen Bühnen gestanden und in die verschiedensten Rollen geschlüpft, von Sigismund Sülzheimer im „Weißen Rössel“über Räuberhauptmann Mattis in „Ronja Räubertochter“bis zu Karl von Moor in Friedrich Schillers „Räuber“.
Und doch: Der Schauspieler kehrt nicht nur immer wieder gerne zu seinen Wurzeln an den Federsee zurück, etwa zu Auftritten wie zuletzt 2017 mit „Zwei wie Bonnie und Clyde“in Bad Buchau; auch sein Brotberuf, der ihm übrigens durchaus Spaß gemacht habe, scheint Aßfalg nicht loszulassen. In seinem ersten selbst verfassten Theaterstück nimmt sich der gelernte Fachinformatiker für Systemintegration dem großen Thema Digitalisierung an.
Seine Inspiration: „Die Leute in der U-Bahn, die immer auf ihr Smartphone starren.“Das habe ihn zu der Frage geführt: „Warum können Unternehmen so viel Geld machen, obwohl sie nichts herstellen?“Nicht, dass sich Aßfalg, der als Informatiker beim Landratsamt Biberach früher etwa für die 15 000 PCs der Gebhard-Müller-Schule verantwortlich war, Smartphones und Soziale Medien komplett verweigern würde. „Aber man darf nicht der Utopie verfallen, das Heil in der Digitalisierung zu suchen“, sagt der Schauspieler und verweist auf ein Zitat von Ronald Reagan, der schon 1989 prophezeit hat, dass „der Goliath Totalitarismus vom David Mikrochip besiegt“werde. „Die dachten damals also, mit der Digitalisierung schaffen sie mehr Demokratie.“
Unterhaltsam muss es sein
Doch dieses Versprechen habe sich nicht erfüllt. Stattdessen geben die Menschen ihre Gedenken zunehmend an ihre digitalen Geräte ab. Alle Bewegungen im Internet werden gespeichert, aus unserem Verhalten erstellen Facebook, Google und Co. ein Nutzerprofil, erschaffen, so Aßfalg, „ein Spiegelbild“, ein digitales Gegenüber. Zufällige Entdeckungen sind so nicht mehr möglich, das übernehmen Algorithmen mit ihren exakt auf das jeweilige Profil zugeschnittenen Suchvorschlägen. „Wenn das menschliche Bauchgefühl durch etwas Digitales ersetzt wird, nur um den Zufall auszuschließen, um die Kontrolle zu behalten, geht das in die falsche Richtung“, findet der Schauspieler. All diese Beobachtungen, Gedanken, philosophischen Betrachtungen in ein Theaterstück zu packen, das sei aber alles andere als einfach gewesen, gesteht Aßfalg und lacht. Dennoch sei ihm das Thema ein echtes Anliegen gewesen. Eineinhalb Jahre habe er gebraucht, um sein erstes Drama aufs Papier zu bringen. Geschrieben, erinnert sich Aßfalg, habe er schon immer gern. Schon in seiner Jugend in Seekirch, als er für den Fußballverein oder die Katholische Landjugend Texte fürs Mitteilungsblatt verfasste. Aber: keine nüchternen Berichte, unterhaltsam mussten sie sein, „die Leute mit der Geschichte catchen“.
Und diesem Anspruch versucht Aßfalg auch bei „Waldemar oder die Entführung der Realität“gerecht zu werden. Eine ganz schön skurrile Geschichte, die damit beginnt, dass Lastwagenfahrer Waldemar (gespielt von Aßfalg) ein geheimnisvolles, riesiges Geschenk erhält. „Es ist das individuellste und doch alltäglichste Geschenk, das man sich vorstellen kann“, so der Autor: ein Stuhl. Ein Stuhl, so viel sei verraten, der Waldemar ganz genau zu kennen scheint, der mit ihm spielt und ihm große Versprechungen macht, der seine Aufmerksamkeit fordert und mit dem Waldemar zunehmend seine Gedanken, Wünsche und Hoffnungen teilt.
Tatsächlich werde er – anders als bei der „Judenbank“, mit der Aßfalg 2015 in Bad Buchau zu sehen war – diesmal nicht alleine auf der Bühne agieren. Schauspieler Markus H. Eberhard verleiht dem smarten Sitzmöbel eine Stimme. Die Regie hat Jürg Schlachter übernommen, für Bühnenbild und Kostüm ist Aylin Kaip zuständig. Produziert hat das Stück, das am 7. Juni in München Premiere feierte, jedoch der Autor selbst.