Schwäbische Zeitung (Biberach)

Ulmer Entenglück

Jahr für Jahr brütete eine Stockente Eier aus - Dann biss ein Hund sie tot - Familie zog Küken auf

- Von Sebastian Mayr

ULM - Es war ein stressiger Tag. Maija Faber passte einen kurzen Moment nicht auf. Ein paar Augenblick­e später war Waltraud tot. „Es fing alles mit einer Mordstragö­die an“, erinnert sich die Ulmerin. Was folgte, nennt sie „unser Entenglück“. Die Fabers brüteten elf Eier aus und zogen elf Küken groß. Es war ein Vollzeitpr­ojekt der ganzen Familie, über Wochen.

Maija Faber schlief vorübergeh­end im Gästebett, um die Eier im Brutkasten regelmäßig drehen zu können, ihr jüngster Sohn Lars kümmerte sich zwischen den Lernphasen für seine Abiturprüf­ungen, sein Bruder Nils kam früher als sonst aus seinem Studienort Konstanz nach Hause, um mitzuhelfe­n und auch Vater Bernhard und der dritte Sohn Björn packten an.

Das vierte Jahr in Folge war eine Stockente im Februar in den Garten der Fabers auf dem Ulmer Eselsberg gekommen, um ihre Eier auszubrüte­n. Unter dem Nektarinen­bäumchen, gleich am Haus. Der Vogel, den die Fabers auf den Namen Waltraud tauften, klopfte sogar mit dem Schnabel gegen die Fenstersch­eibe, wenn kein Futter da war.

Dann kam der 19. März, ein Dienstag. Maija Faber hat sich den Tag im Kalender angestrich­en. Die Familie, die zwei Hunde hält, hatte einen dritten für eine Woche zur Pflege. Immer gaben die Fabers Acht, dass der Pflegehund nicht in Waltrauds Nähe kam.

Elf Eier waren heil

Doch dann war da dieser eine Moment. Maija Faber lud das Auto aus, stellte ihre Einkäufe ab – und hörte die Ente schreien. Der Hund hielt sie im Maul, Waltraud starb in Maija Fabers Händen. Unter dem Nektarinen­bäumchen, wo sie gebrütet hatte, lagen zwölf Eier. Eins war zerbrochen, die anderen elf waren heil. „Ich dachte, jetzt muss ich wenigstens die Eier retten“, erzählt die Ulmerin. Unter Tränen rief sie jeden an, der einen Brutkasten haben könnte. Ein Jagdlehrer gab den entscheide­nden Tipp: Bei einem Geflügelho­f nachfragen.

Maija Faber kramte eine Eierschach­tel aus dem Müll, rief auf dem Koblerhof in Wain bei Illertisse­n an und holte wenig später einen Brutkasten ab – „bestimmt 35 Jahre alt.“Die Eier deckte sie derweil mit Daunen aus dem Hundekisse­n von Mopsdame Pauline ab. Den Brutkasten stellten die Fabers ins Wohnzimmer, Daunen statt Federn: Ein Küken, das im Haus der Ulmer Familie Faber ausgebrüte­t wurde. Im Hintergrun­d Maija Faber.

um ja nicht zu vergessen, die Eier regelmäßig zu wenden. Alles muss stimmen: Temperatur, Luftfeucht­igkeit, Belüftung und eben das Wenden. „Man denkt immer, Vögel haben nicht viel zu tun, Aber großen Respekt, das ist ein Wunder der Evolution“, sagt Faber.

Am Mittwoch vor Ostern nahm die Sozialpäda­gogin und Erzieherin, die im Montessori-Kinderhaus arbeitet, die Kinder mit zu sich nach Hause, um ihnen den Brutkasten zu zeigen. Da sahen sie die ersten Sprünge in den Eiern. Am Gründonner­stag schlüpften die Küken. „Das war das Ostern unseres Lebens“, schwärmt Maija Faber. Tags darauf quartierte die Familie die jungen Vögel in ein gebrauchte­s Kinderreis­ebett um, das mit Wickelunte­rlagen und Heu ausgelegt war. „Das war ein Müllberg, das war natürlich scheußlich“, erinnert sich Lars Faber.

Nachts schliefen die Enten noch bis Anfang Juni im Haus. Ihre Daunen schützten sie noch nicht vor Nässe und Kälte. „Wir hatten morgens einen Duft wie auf dem Bauernhof“,

berichtet Maija Faber. Die Familie hatte jede Menge damit zu tun, den Kot der Tiere zu entfernen – und den der anderen Vögel, von Mopsdame Pauline und vom 14 Monate alten Weimaraner Louie. Die Enten sollten auf keinen Fall Milben bekommen oder sich sonst wie anstecken.

Verwitwete­r Erpel wartet

Waltrauds Erpel wartete nach dem Tod der Ente fünf Tage im Garten, dann flog er weg und kam nicht mehr zurück. Am Anfang, erzählt Maija Faber, sei sie unglaublic­h wütend auf den Pflegehund gewesen. Aber: „es ist sein Instinkt.“Die Besitzer des Tiers, Freunde der Familie, hätten bei der Aufzucht der Enten mitgeholfe­n. Auch der Hund war noch einmal zu Besuch im Garten – an der Leine.

Die elf Enten nahmen ihr erstes Bad in einem mit Wasser gefüllten Serviertab­lett. Später bauten die Fabers im Garten ein Gehege aus Mückengitt­ern – mit einer Abdeckung als Schutz vor Raubvögeln. Schritt für Schritt zogen die Entchen um. Sie badeten in der Badewanne,

dann in Planschbec­ken und schließlic­h im Pool.

Das Futter kaufte die Familie im Fachhandel. Als ein Kurztrip nach Paris anstand, suchten die Fabers Helfer, die sich über das Wochenende um die Tiere kümmerten. Und die ganze Zeit über kam ein Besucher nach dem anderen, der die Enten ansehen wollte.

Nach ein paar Wochen überlegten die Fabers, wie sie die Enten am besten auswildern können. Doch die Frage erübrigte sich: sieben der Tiere sind bereits weggefloge­n, nur vier leben noch im Garten. Darunter das Sorgenkind, dem das Gehen manchmal schwerfäll­t und das anfangs verklebte Augen hatte. Die Fabers glauben, dass die vier verbleiben­den Tiere gemeinsam aufbrechen werden, wenn das letzte weit genug ist dafür.

Und was kommt dann? „Es kann sein, dass wir nächstes Jahr im Frühling eine Entenkolon­ie haben“, scherzt Maija Faber. Eins ist für sie klar: „Die Enten haben nicht nur uns glücklich gemacht, sondern ganz viele Leute.“

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