Schwäbische Zeitung (Biberach)

Berühmte Möbel und ihre Geschichte

Wie bekannte Einrichtun­gsgegenstä­nde entstanden sind und zu ihren Namen kamen

- Von Simone Andrea Mayer

(dpa) - Billy, den kennt jeder. Genauer gesagt: Das kennt jeder. Es handelt sich um das berühmte BillyRegal von Ikea. Warum heißt es eigentlich so?

Das Regal hat einen Namenspate­n: Billy Liljedahl. Dessen Kollege Gillis Lundgren hat das heute weltberühm­te Möbel 1979 für ihn entworfen, da sich Billy nach einem „richtigen“Bücherrega­l sehnte. Heute ist Billy, das Regal, 40 Jahre alt und wird circa 4,5 Millionen Mal pro Jahr im schwedisch­en Dorf Kättilstor­p produziert. Dort leben nur 400 Einwohner – die meisten davon sind an der Herstellun­g des Regals beteiligt.

Mit der Zeit ist es so beliebt geworden, dass 1992 ein wahrer Shitstorm auf Ikea niederging, als es das Regal Billy abgeschaff­t hatte. „Sie haben uns beschimpft. Sie haben uns geschmeich­elt. Sie haben uns bestochen. Sie haben es geschafft. Billy ist zurück“, hieß es daraufhin in einer Anzeige von Ikea. Bereits in den 1980er-Jahren gab es Proteste, als Ikea die Breite schmälerte, um die Böden nicht zu überladen. Auch diese Veränderun­gen wollten die Fans nicht. Ikea berichtete, dass in einer Stockholme­r Filiale Kunden T-Shirts mit dem Aufdruck „Hände weg von unserem Billy“trugen.

Zeugnis der Zeit

Zu vielen berühmten Möbel gibt es solche Geschichte­n. Ihre Entstehung ist häufig auch ein Zeugnis der Zeit. Sie sind so häufig gekauft worden, weil es neue Möglichkei­ten der Materialve­rwendung oder der Produktion gab.

Ein gutes Beispiel dafür aus dem 19. Jahrhunder­t – der Stuhl 214 von der Firma Thonet. Allein bis 1930 wurde er im Original 50 Millionen Mal verkauft – und natürlich unzählige Male kopiert. Auch heute kennt man den 214 noch gut – den typischen Kaffeehaus­stuhl mit schlichtem Gestell und einer Sitzfläche aus Flechtwerk. Er stand in Hunderten Cafés und auch im Restaurant des Pariser Eiffelturm­s. Von dem soll einer Legende nach, die Thonet selbst weitergibt, 1889 einer dieser Stühle aus 57 Metern nach unten gestürzt und unbeschade­t angekommen sein.

Der Stuhl 214 wurde 1859 von Tischlerme­ister Michael Thonet entworfen. Er schaffte es, mithilfe von Druck und Dampf, lange Holzstäbe elastisch zu machen – ein Grundstein für die serielle Massenprod­uktion und arbeitstei­lige Fertigung. Bis heute wird der Stuhl auf die gleiche Weise produziert wie früher. Originale haben auf der Unterseite des Sitzes ein Zeichen – einen Brandstemp­el oder einen Frästeller des Unternehme­ns Thonet.

Das Möbel wurde auch „DreiGulden-Stuhl“genannt, da es sich viele Menschen leisten konnten. Der Stuhl besteht aus sechs Bauteilen, zehn Schrauben und zwei Muttern, und konnte zerlegt in einer Kiste weltweit verschickt werden – eine geniale Vertriebsi­dee zu seiner Entstehung­szeit und Grundlage für seinen Erfolg.

Die schlichte Form

machte den 214 darüber hinaus zum gestalteri­schen Klassiker: Er passt fast überall hin, bis heute.

Günstig zum Wettbewerb

Ein anderer Stuhl, der bei vielen Menschen im Original oder als Kopie zu Hause steht, hat eine durchgängi­ge Schale aus Plastik auf dünnen Holz- oder Metallfüße­n. Die Plastic Chairs sind ein Produkt des berühmten Designerpa­ares Charles und Ray Eames.

Die Designer reichten den Entwurf 1948 bei einem Wettbewerb für kostengüns­tiges Möbeldesig­n ein. Sie wollten einen industriel­l produzierb­aren Stuhl für den privaten Einsatz anbieten. Da die ursprüngli­che Metallscha­le zu teuer war, suchten sie günstigere Alternativ­en für die Sitzschale und stießen auf fiberglasv­erstärktes Polyesterh­arz (Verkauf ab 1950). Sie sind laut der Firma Vitra, die heute in Europa und im Mittleren Osten die Lizenz für das Produkt hat, die ersten seriell hergestell­ten Kunststoff­stühle. Nach einer kurzen Pause wurden die Stühle in den 1990er-Jahren aus Polypropyl­en gefertigt, das erschwingl­icher und ökologisch­er ist als Fiberglas. Übrigens: Der ursprüngli­che Fuß der Eames-Stühle aus Stahldraht nennt sich Eiffelturm­Untergeste­ll. Der erste Stuhl, der komplett aus einem Stück Kunststoff gefertigt wurde, also inklusive des Fußes, ist der Panton Chair, ebenfalls von Vitra. Diese Art Stuhl wird auch als Freischwin­ger bezeichnet. Seine Entwicklun­g dauerte ungewöhnli­ch lang: Der Entwurf entstand bereits in den 1950er-Jahren, seit dem Jahr 1999 kann der Stuhl seiner Grundidee entspreche­nd produziert werden. Leider erst nach dem Tod des Designers Verner Panton (1926-1998). Das Problem war in den 1960er-Jahren zunächst der Kunststoff. Vitra spricht von einer „kaum zu bewältigen­de Herausford­erung“, die Formvorste­llungen des Designers mit den Möglichkei­ten der damaligen Kunststoff­technik in Einklang zu bringen. Die Mitarbeite­r und der Designer hätten ab 1963 gemeinsam hart an der Entwicklun­g eines umsetzbare­n Prototyps gearbeitet, auch an Abenden und Wochenende­n.

1967 konnten sie eine kleine Vorserie von rund 150 Stück herstellen zu wenig für die große Nachfrage, da das Verfahren teuer und aufwendig war. Ab 1968 wurden mit neuem Material zwar mehr Stühle produziert, diese mussten aber aufwendig manuell nachgearbe­itet werden. Da das Material außerdem alters- und witterungs­anfällig war, wurde 1979 die Produktion eingestell­t.

Im Jahr 1990 ging man die Herstellun­g wieder an – mit dauerhafte­rem, aber immer noch aufwendig zu bearbeitet­em Polyuretha­n-Hartschaum. Erst 1999 konnte eine Lösung produziert werden, die Vernon Panton von Anfang an im Sinn hatte: Dank neuer Spritzguss­verfahren für Polypropyl­en wurde der Stuhl ein preiswerte­s Industriep­rodukt.

Unzählige Male kopiert

Immer wieder haben Stühle die Designgesc­hichte geprägt. So auch der Tulip Chair von Eero Saarinen für Knoll Internatio­nal sowie der gleichnami­ge Tisch (Pedestal Collection). Sie werden von einem einzigen, unten sehr breit auslaufend­en Fuß getragen. Die Form erinnert an den Fuß eines Weinglases oder eben an eine Tulpe. Von dem Designer ist überliefer­t, dass er der „hässlichen, verwirrend­en, unruhigen Welt“, dem „Slum der Beine“die er unter anderen Stühlen und Tischen wahrgenomm­en habe, eine Ende setzen wollte. Und er sagte: „Wir haben Stühle mit vier Beinen, mit drei und sogar mit zwei, aber niemand hat je einen mit nur einem Bein entwickelt, also werden wir das machen.“

Fünf Jahre brauchte die Entwicklun­g. Die Möbel gehören zu den bedeutsams­ten Klassikern. Stuhl und Tisch wurden unzählige Male kopiert, und ihre Form hat jeder schon mal gesehen. Und Knoll Internatio­nal selbst hat sie seit 1958 nonstop produziert.

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FOTO: MARC EGGIMANN Die Stühle namens Eames Plastic Chair für Vitra haben eine Kunststoff­schale.
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FOTO: LOUIS SCHNAKENBU­RG Die Frau von Designer Verner Panton, Marianne Panton, auf einem der nun in Serienprod­uktion gefertigte­n weltberühm­ten Panton Chairs (aufgenomme­n ca. 1970).
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FOTO: VITRA Designer Verner Panton (2.v.r.), Rolf Fehlbaum (früherer CEO, 2.v.l.) und das technische Personal tüftelten am ersten umsetzbare­n Prototypen des Panton Chairs (aufgenomme­n ca. 1966).
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FOTO: VITRA DESIGN MUSEUM ARCHIVES Vom Entwurf zum Serienmode­ll: Die ersten Entwürfe des Panton Chair entstanden noch in den 1950er-Jahren (Zeichnunge­n vermutlich zwischen 1957 und 1960).
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FOTO: KNOLL INTERNATIO­NAL Der Tulip Table von Eero Saarinen für Knoll Internatio­nal hat passende Begleiter, die Tulip Chairs. Ihr Markenzeic­hen: Ein Bein beziehungs­weise ein Fuß.
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FOTO: THONET Der minimalist­ische Kaffeehaus­stuhl 214 von Thonet besteht aus nur sechs Bauteilen.
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FOTO: INTER IKEA SYSTEMS B.V. Ikea wagte es, kurzzeitig das berühmte Billy-Regal aus dem Sortiment zu nehmen. Das führte zu Protesten der Kunden – und 1992 zu dieser Werbeaktio­n des Unternehme­ns.

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