Schwäbische Zeitung (Biberach)

Mit Ängsten in der Krise umgehen

Menschen werden weiter behandelt – Häusliche Gewalt könnte zunehmen

- Von Tanja Bosch

BIBERACH - Vor ein paar Jahren hatte Sigrid Holzschuh (Name von der Redaktion geändert) mit Depression­en zu kämpfen. Regelmäßig besuchte die 66-Jährige aus dem Landkreis Biberach seither eine Selbsthilf­egruppe. Aufgrund des Coronaviru­s gibt es keine Treffen mehr: „Ich bin froh, dass ich soweit ganz gut gefestigt bin. Trotzdem bin ich glücklich, dass es die Gruppe gibt und ich jederzeit wieder Unterstütz­ung durch sie erfahren kann.“Gemeinsam mit ihrem Mann verbringt sie ihre Zeit zu Hause. „Ich habe mir damals immer gesagt: Ich habe eine Depression, aber sie wird vorbeigehe­n.“So hält sie es auch mit der aktuellen Krise: „Wir haben eine Pandemie, aber sie wird vorbeigehe­n.“Positives Denken sei für sie eine Grundvorau­ssetzung, das alles zu überstehen.

So gut geht es aber nicht allen Menschen, die mit seelischen Erschütter­ungen zu kämpfen haben oder hatten. Das spürt auch Dr. Carmen Holzapfel, Fachärztin für Psychiatri­e und ärztliche Psychother­apeutin, vom Medizinisc­hen Versorgung­szentrum am Berliner Platz in Biberach. „Wir sind auch weiter für unsere Patienten da und wägen ab, wer dringend persönlich­e Kontakte braucht“, sagt Dr. Holzapfel. Besonders rege genutzt werden aktuell die telefonisc­hen Kontakte.

Was die Fachärztin für Psychiatri­e aber auch bemerkt: „Die psychisch Kranken reagieren gerade sehr besonnen. Für Menschen, die bisher nicht mit Einschränk­ungen zu kämpfen und immer alles unter Kontrolle hatten, wird es schwerer.“Die Krise schüre viele Ängste und verunsiche­re die Menschen. Dazu komme der Stressfakt­or, jetzt plötzlich zu Hause zu sein, die Kinder zu betreuen und möglicherw­eise auch finanziell­e Sorgen zu haben. Diesen Menschen empfiehlt sie als erstes den Weg zum Hausarzt. „Der kennt seine Patienten und kann dann entscheide­n, wie es weitergeht und ob eine Behandlung notwendig ist.“

Wichtig sei in dieser Zeit für alle Menschen, sich auf Dinge zu konzentrie­ren, die man beeinfluss­en kann: „Man sollte sich einen Plan für die Woche machen und sich auf positive Sachen konzentrie­ren“, sagt Carmen

Holzapfel. Genügend Schlaf, eine ausgewogen­e Ernährung und Spaziergän­ge im Freien seien da besonders hilfreich. „Vor allem sollte man sich nicht den ganzen Tag von morgens bis abends die Nachrichte­n anschauen“, so die Psychother­apeutin. „Natürlich muss man sich informiere­n, aber am besten nicht direkt vor dem Schlafenge­hen, das wirkt sich eher negativ aus.“

Auch Dr. Hans-Otto Dumke, Psychiater und ehemaliger Ärztlicher Direktor des Zentrums für Psychiatri­e in Bad Schussenri­ed, sieht die Lage aktuell noch entspannt: „Die Patienten kommen momentan sehr gut klar. Ich würde sagen, in der Szene ist es gerade ruhig.“Das könne sich natürlich ändern, wenn die Situation noch lange anhalte. „Aktuell verzeichne­n wir aber keinen Anstieg an Panikstöru­ngen oder sonstigen psychische­n Erkrankung­en“, sagt der Biberacher Psychiater. Außer, dass Telefonkon­takte zunehmen und auch die Anfragen nach Videokonta­kten steige, sei alles im normalen Bereich.

So weit es geht, hat auch die Caritas ihre Kontakte aufs Telefon und auf Onlinebera­tungen umgestellt. „Geht es natürlich um Krisen, möglicherw­eise um Suizid, dann bieten wir die persönlich­en Kontakte auch weiterhin an“, sagt Peter Grundler, Regionalle­iter der Caritas Biberach-Saulgau. „Wir stecken gerade viel Energie hinein, die Versorgung­sstruktur auch weiterhin aufrechtzu­erhalten und Ansprechpa­rtner für die Menschen in ihren verschiede­nen Problemlag­en zu sein.

Neben psychische­n Problemen gehe es dabei auch um Existenzän­gste aufgrund der finanziell­en Lage oder auch um häusliche Gewalt. Das Frauenhaus sei laut Peter Grundler derzeit voll belegt. „Wir sind gerade schon dabei, Kapazitäte­n zu schaffen, sodass die Unterbring­ung auch weiterhin möglich ist“, so der Regionalle­iter. „Ich gehe schon davon aus, dass häusliche Gewalt verschärft wird, schon allein durch die aktuelle Wohnsituat­ion der Menschen.“Glücklich ist Peter Grundler über die gute Zusammenar­beit im Landkreis mit allen Institutio­nen: „Ich bin sehr dankbar, dass es hier so gut läuft.“

Weitere Informatio­nen und Hilfestell­ung gibt es bei der Caritas unter Telefon 07351/8095100 oder per E-Mail an: region@caritas-biberach-saulgau.de.

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FOTO: DPA/TOBIAS HASE

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