Schwäbische Zeitung (Biberach)
Mehr rechtsextrem motivierte Straftaten
Szenekenner sehen Ulm als Hochburg bekannter Gruppierungen
ULM/NEU-ULM - Der rechtsextremistisch motivierte Terroranschlag mit zwei Toten in Halle an der Saale lenkte bundesweit die Aufmerksamkeit auf eine Szene, die auch in der Region ihre Anhänger hat. Anhänger, die offenbar immer aktiver werden.
Wie das Polizeipräsidium Ulm auf Anfrage feststellt, stieg die Zahl der von der Polizei registrierten, politisch rechtsextrem motivierten Straftaten von 2017 auf 2018 um rund 25 Prozent auf 121 Fälle. Auch im Jahr 2019 zeichne sich eine Zunahme ab.
Bei den Straftaten handle es sich überwiegend um Propaganda- und Volksverhetzungsdelikte. Straftaten würden in diesem Kontext häufig auch unter Nutzung des Internets, speziell sozialer Medien, begangen. Die Polizei spricht von einer höheren Sensibilität in der Bevölkerung, die zu mehr Anzeigen geführt habe.
Nicht immer bleibt es bei Hetze: Wie berichtet, kam es aus fremdenfeindlichen Motiven auch zu Gewaltdelikten, wie zum Beispiel dem Fackelwurf auf den Wohnwagen einer Roma-Familie am 24. Mai dieses Jahres in Erbach-Dellmensingen.
Auch mitten in Ulm wurde offenbar Gewalt aus fremdenfeindlichen Motiven angewandt: Anfang August wurde in der Schaffnerstraße mit einer CO-Waffe auf einen Mann nigerianischer Herkunft geschossen. Bei den mutmaßlichen Tätern handelt es sich nach Einschätzung der Ulmer Polizei um eine Kleingruppe junger Männer, die nach Erkenntnissen der Polizei jedoch nicht in feste rechtsextremistische Strukturen eingebunden seien.
Im Jahr 2018 kam es im Zuständigkeitsbereich des Ulmer Polizeipräsidiums, das aus den Landkreisen AlbDonau, Biberach, Göppingen, Heidenheim und der Stadt Ulm besteht, zu vier antisemitischen Straftaten, die durch rechts-/fremdenfeindlich orientierte Personen begangen wurden. Im Jahr 2017 seien noch neun antisemitische Straftaten zu verzeichnen gewesen.
Bei allen Delikten handelte es sich laut Polizei nicht um Gewaltstraftaten, sondern um Sachbeschädigungen, Volksverhetzungen und Beleidigungen. Nach wie vor ungelöst ist ein Fall, der im Jahr 2017 um die Welt ging: Ein Mann trat am frühen Morgen des 2. September mehrmals gegen die Fassade der Ulmer Synagoge, sodass dort ein Loch entstand. Bereits am 26. August habe ein Unbekannter um 2.30 Uhr am Morgen mit einem Metallpfosten die Wand gerammt. Die Polizei ging damals davon aus, dass es sich um ein und denselben Täter gehandelt habe. Obwohl die Tat eines bärtigen Mannes auf Bilder der Überwachungskamera zu sehen ist, konnte der Täter nicht geschnappt werden.
Einblicke in die rechtsextremistische Szene haben insbesondere auch die erklärten Feinde der Rechtsextremen: politisch links stehende Gruppen wie das „Kollektiv 26“. Wir haben den Sprecher der Ulmer Gruppierung, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen möchte, um eine Einschätzung gebeten.
Die Szene sei stark vernetzt. Insbesondere sei rund um Ulm die Ortsgruppe Ulm der „Identitären Bewegung Schwaben“(IB) und der Verein „Uniter“aktiv. Der Verein Uniter gibt sich als „unpolitisch“und sieht sich zu unrecht in ein „rechtes Umfeld“gerückt – aber interne Schreiben, die etwa dem Nachrichtenmagazin „Stern“vorliegen sollen, sprechen eine andere Sprache. Und laut einem Bericht der „Tageszeitung“aus Berlin trainieren die Mitglieder in Ulm auf Schießständen für Sportschützen mit Schusswaffen. Von einem „mutmaßlichen rechtsextremen Netzwerk“sprechen auch die Grünen aus Nordrhein-Westfalen in einer veröffentlichten Anfrage.
„Uniter“stellt in den Augen des „Kollektiv 26“eine unterschätzte Gefahr da. Der Verein bestehe aus Menschen, die bei Militär, Polizei oder Verfassungsschutz arbeiten oder gearbeitet haben und seien erfahren im Einsatz von Waffen. In Ulm habe es mehrfach Treffen gegeben. Insgesamt
gibt es im Raum Ulm nach Einschätzung des „Kollektiv 26“Hunderte Sympathisanten verschiedenster rechtsextremer Gruppen. Tendenz: steigend. Ulm sei ein Schwerpunkt der Aktivitäten der Identitären in Baden-Württemberg. Angeblich wohnen mehrere zentrale Figuren der „IB Schwaben“in der Umgebung Ulms.
Ein Erstarken der Rechtsextremen sei auch an einer Häufung von rassistischen Stickern im Stadtbild, etwa an Ampeln, zu erkennen. Auch Hakenkreuze und „NS-Zone“Schriftzüge gehörten dazu. Zudem gebe es Verbindungen der Rechtsextremen zur Partei AfD. Die versucht zwar, sich äußerlich bürgerlich zu geben. Doch Kontakte zur Szene seien bekannt. Das prominenteste Beispiel von Berührungspunkten ist Markus Mössle: Der Ulmer hat einst Banken überfallen und für die NPD sowie die neonazistische Freiheitliche deutsche Arbeiterpartei (FAP) kandidiert, nun wurde er – angeblich geläutert – über die Liste der AfD in den Ulmer Gemeinderat gewählt.