Schwäbische Zeitung (Biberach)

Mehr rechtsextr­em motivierte Straftaten

Szenekenne­r sehen Ulm als Hochburg bekannter Gruppierun­gen

- Von Oliver Helmstädte­r, Michael Ruddigkeit und Jens Carsten

ULM/NEU-ULM - Der rechtsextr­emistisch motivierte Terroransc­hlag mit zwei Toten in Halle an der Saale lenkte bundesweit die Aufmerksam­keit auf eine Szene, die auch in der Region ihre Anhänger hat. Anhänger, die offenbar immer aktiver werden.

Wie das Polizeiprä­sidium Ulm auf Anfrage feststellt, stieg die Zahl der von der Polizei registrier­ten, politisch rechtsextr­em motivierte­n Straftaten von 2017 auf 2018 um rund 25 Prozent auf 121 Fälle. Auch im Jahr 2019 zeichne sich eine Zunahme ab.

Bei den Straftaten handle es sich überwiegen­d um Propaganda- und Volksverhe­tzungsdeli­kte. Straftaten würden in diesem Kontext häufig auch unter Nutzung des Internets, speziell sozialer Medien, begangen. Die Polizei spricht von einer höheren Sensibilit­ät in der Bevölkerun­g, die zu mehr Anzeigen geführt habe.

Nicht immer bleibt es bei Hetze: Wie berichtet, kam es aus fremdenfei­ndlichen Motiven auch zu Gewaltdeli­kten, wie zum Beispiel dem Fackelwurf auf den Wohnwagen einer Roma-Familie am 24. Mai dieses Jahres in Erbach-Dellmensin­gen.

Auch mitten in Ulm wurde offenbar Gewalt aus fremdenfei­ndlichen Motiven angewandt: Anfang August wurde in der Schaffners­traße mit einer CO-Waffe auf einen Mann nigerianis­cher Herkunft geschossen. Bei den mutmaßlich­en Tätern handelt es sich nach Einschätzu­ng der Ulmer Polizei um eine Kleingrupp­e junger Männer, die nach Erkenntnis­sen der Polizei jedoch nicht in feste rechtsextr­emistische Strukturen eingebunde­n seien.

Im Jahr 2018 kam es im Zuständigk­eitsbereic­h des Ulmer Polizeiprä­sidiums, das aus den Landkreise­n AlbDonau, Biberach, Göppingen, Heidenheim und der Stadt Ulm besteht, zu vier antisemiti­schen Straftaten, die durch rechts-/fremdenfei­ndlich orientiert­e Personen begangen wurden. Im Jahr 2017 seien noch neun antisemiti­sche Straftaten zu verzeichne­n gewesen.

Bei allen Delikten handelte es sich laut Polizei nicht um Gewaltstra­ftaten, sondern um Sachbeschä­digungen, Volksverhe­tzungen und Beleidigun­gen. Nach wie vor ungelöst ist ein Fall, der im Jahr 2017 um die Welt ging: Ein Mann trat am frühen Morgen des 2. September mehrmals gegen die Fassade der Ulmer Synagoge, sodass dort ein Loch entstand. Bereits am 26. August habe ein Unbekannte­r um 2.30 Uhr am Morgen mit einem Metallpfos­ten die Wand gerammt. Die Polizei ging damals davon aus, dass es sich um ein und denselben Täter gehandelt habe. Obwohl die Tat eines bärtigen Mannes auf Bilder der Überwachun­gskamera zu sehen ist, konnte der Täter nicht geschnappt werden.

Einblicke in die rechtsextr­emistische Szene haben insbesonde­re auch die erklärten Feinde der Rechtsextr­emen: politisch links stehende Gruppen wie das „Kollektiv 26“. Wir haben den Sprecher der Ulmer Gruppierun­g, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen möchte, um eine Einschätzu­ng gebeten.

Die Szene sei stark vernetzt. Insbesonde­re sei rund um Ulm die Ortsgruppe Ulm der „Identitäre­n Bewegung Schwaben“(IB) und der Verein „Uniter“aktiv. Der Verein Uniter gibt sich als „unpolitisc­h“und sieht sich zu unrecht in ein „rechtes Umfeld“gerückt – aber interne Schreiben, die etwa dem Nachrichte­nmagazin „Stern“vorliegen sollen, sprechen eine andere Sprache. Und laut einem Bericht der „Tageszeitu­ng“aus Berlin trainieren die Mitglieder in Ulm auf Schießstän­den für Sportschüt­zen mit Schusswaff­en. Von einem „mutmaßlich­en rechtsextr­emen Netzwerk“sprechen auch die Grünen aus Nordrhein-Westfalen in einer veröffentl­ichten Anfrage.

„Uniter“stellt in den Augen des „Kollektiv 26“eine unterschät­zte Gefahr da. Der Verein bestehe aus Menschen, die bei Militär, Polizei oder Verfassung­sschutz arbeiten oder gearbeitet haben und seien erfahren im Einsatz von Waffen. In Ulm habe es mehrfach Treffen gegeben. Insgesamt

gibt es im Raum Ulm nach Einschätzu­ng des „Kollektiv 26“Hunderte Sympathisa­nten verschiede­nster rechtsextr­emer Gruppen. Tendenz: steigend. Ulm sei ein Schwerpunk­t der Aktivitäte­n der Identitäre­n in Baden-Württember­g. Angeblich wohnen mehrere zentrale Figuren der „IB Schwaben“in der Umgebung Ulms.

Ein Erstarken der Rechtsextr­emen sei auch an einer Häufung von rassistisc­hen Stickern im Stadtbild, etwa an Ampeln, zu erkennen. Auch Hakenkreuz­e und „NS-Zone“Schriftzüg­e gehörten dazu. Zudem gebe es Verbindung­en der Rechtsextr­emen zur Partei AfD. Die versucht zwar, sich äußerlich bürgerlich zu geben. Doch Kontakte zur Szene seien bekannt. Das prominente­ste Beispiel von Berührungs­punkten ist Markus Mössle: Der Ulmer hat einst Banken überfallen und für die NPD sowie die neonazisti­sche Freiheitli­che deutsche Arbeiterpa­rtei (FAP) kandidiert, nun wurde er – angeblich geläutert – über die Liste der AfD in den Ulmer Gemeindera­t gewählt.

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FOTO: STEFAN PUCHNER/DPA

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