Schwäbische Zeitung (Biberach)
Mit voller Härte
Warum Afroamerikaner besonders stark vom Coronavirus betroffen sind
Das neuartige Coronavirus trifft in den USA vor allem die afroamerikanische Bevölkerung hart. Für Lori Lightfoot ist es eine Geschichte über soziale Ungleichheit, über die Schieflage bei der Verteilung von Ressourcen. Die altbekannten Probleme ihrer Stadt habe das Coronavirus nun schonungslos offengelegt, sagte sie neulich der „Chicago Tribune“. Und es stimme schon, es stimme noch immer: „Wenn sich weiße Amerikaner erkälten, holen sich schwarze eine Lungenentzündung“.
Seit einem Jahr ist Lightfoot Bürgermeisterin Chicagos, die erste Frau mit dunkler Haut in diesem Amt. In der Pandemie thematisiert sie die Gründe, aus denen Schwarze überdurchschnittlich oft an Covid-19 sterben. In Chicago etwa machen Afroamerikaner 68 Prozent der Todesopfer aus, obwohl sie knapp ein Drittel der Einwohnerschaft stellen. Im Bundesstaat Louisiana sind 70 Prozent der Corona-Toten Schwarze, bei einem Bevölkerungsanteil von 32 Prozent. In Michigan sind es 14 Prozent der Bewohner, aber mehr als die Hälfte der Verstorbenen.
Noch handelt es sich um lückenhafte Daten, zumal sie nicht aus allen Staaten nach Ethnien aufgeschlüsselt gemeldet werden. Das Bild, das aber schon die Statistikfragmente vermitteln, lässt für Zweifel kaum Raum. Schwarze Amerikaner, bestätigt Jerome Adams, der Surgeon General, eine Art Oberarzt der Nation, treffe es schon deshalb am härtesten, weil sie häufiger als Weiße an Vorerkrankungen litten, an Diabetes, Herzkrankheiten, Asthma, Bluthochdruck. „Nein, es sind keine genetischen Gründe, die sie anfälliger für das Virus machen. Es sind in erster Linie soziale“, sagt der Vizeadmiral, der bei den täglichen Krisenpressekonferenzen von USPräsident Donald Trump oft mit auf dem Podium im Weißen Haus steht.
Es beginnt mit der Tatsache, dass Schwarze häufig in Berufen arbeiten, in denen das „Social Distancing“schwerfällt. Sie räumen in Supermärkten Regale ein, sitzen in Bussen hinterm Lenkrad, bringen Pakete zum Kunden. Eric Adams, Chef der Verwaltung des New Yorker Stadtteils Brooklyn, hat die Realität im Fernsehsender PBS so zusammengefasst: Man brauche sich nur morgens auf einen Bahnsteig der U-Bahn zu stellen, dann sehe man, dass vor allem Menschen mit schwarzer und brauner Haut in den Zügen säßen, Afroamerikaner und Latinos, um zur Arbeit zu fahren. Während es sich Leute mit Bürojobs leisten könnten, ins Homeoffice zu wechseln, gehe das nicht, wenn man im Einzelhandel, bei der Müllabfuhr oder den städtischen Verkehrsbetrieben beschäftigt sei. Auch wegen der Lieferengpässe bei Schutzmasken seien diese Berufsgruppen einem hohen Risiko ausgesetzt.
Hinzu kommt die Enge der Mietskasernen größerer Städte, in denen überdurchschnittlich häufig Afroamerikaner mit niedrigem Einkommen wohnen. In jenen Vierteln mangelt es oft an Arztpraxen oder Kliniken, sodass Infizierte nur selten einen Doktor aufsuchen und dann in einem kritischen Stadium der Krankheit in der Notaufnahme landen.
Auch sind Virentests nicht so einfach zu bekommen. Takeisha Davis, Direktorin des New Orleans East Hospital, eines Krankenhauses im touristisch weniger angesagten Osten von New Orleans, beobachtet hier ein Armutsproblem. Getestet wird meist nach dem Drive-through-Verfahren, man bleibt im Auto, während Ärzte die Proben entnehmen. Was aber, fragt Davis, wenn jemand kein Auto besitze?
Schließlich sogenannte „food deserts“, wörtlich: Nahrungswüsten. Gemeint sind Stadtteile, in denen Supermarktketten keine Filialen betreiben, sodass Bewohner auf kleine Eckläden angewiesen sind. Die bieten zwar viele Snacks an, aber kaum frisches Obst oder Gemüse – ungesunde Ernährung wird zum Risikofaktor.
In der Kombination führt es zu einem Dilemma, dessen Wurzeln Cedric Richmond, ein Kongressabgeordneter aus New Orleans, in „jahrhundertelanger, systematischer Rassendiskriminierung“sieht. Um zumindest die Wahrheit akkurat abzubilden, fordert Ibram Kendi, Politikwissenschaftler der American University in Washington, müssten ausnahmslos alle Bundesstaaten Angaben über die Zahl infizierter, verstorbener, genesener Afroamerikaner veröffentlichen, jeweils in Relation zu ihrer Gesamtbevölkerung. Was er fürchte, schreibt Kendi in der Zeitschrift „The Atlantic“, sei ein Szenario, in dem das weiße Amerika zur Tagesordnung übergehe, weil sich die Infektionskurve insgesamt abflache, während sie im „Amerika der Minderheiten“noch immer steige. Was, fragt er, wenn man Letzteres gar nicht sehe, weil jene zweite Kurve gar nicht ermittelt werde?