Schwäbische Zeitung (Biberach)

Er hat das Amt mit politische­r Haltung gefüllt

Vor 100 Jahren wurde Altbundesp­räsident Richard von Weizsäcker geboren

- Von Anna Mertens

BERLIN (KNA) - „Richard von Weizsäcker war ein Welt- und Staatsbürg­er im besten Sinne.“Die Kondolenzw­orte von Bundespräs­ident Joachim Gauck zeugten vor fünf Jahren von großer Dankbarkei­t und Respekt. Mit dem Tod seines Amtsvorgän­gers im Alter von 94 Jahren sei ein „Zeuge des Jahrhunder­ts“und eine „moralische Instanz“gestorben.

Der Diplomaten­sohn von Weizsäcker kam am 15. April 1920 in Stuttgart auf die Welt. Von Weizsäcker war Sohn einer evangelisc­hen Theologenu­nd Juristenfa­milie in Württember­g. Lutherisch getauft, wurde er im schweizeri­schen Bern in einer reformiert­en Kirche konfirmier­t. Bis zuletzt war er protestant­ischer Christ in einer unierten Kirche.

In jungen Jahren nahm er als Soldat am Zweiten Weltkrieg in Polen und der Sowjetunio­n teil, wobei er mehrfach verwundet wurde. Nach Kriegsende studierte er Rechtswiss­enschaften und Geschichte. Später half er bei den Nürnberger Prozessen bei der Verteidigu­ng seines Vaters Ernst von Weizsäcker, der zu mehrjährig­er Haft verurteilt wurde.

Zweimal war von Weizsäcker Präsident des Deutschen Evangelisc­hen Kirchentag­es (1964 bis 1970 sowie 1979 bis 1981). Dabei habe er, wie er erzählte, unter vier Augen mit Papst Johannes Paul II. über Deutschlan­d und die Ökumene gesprochen. Er kenne die „ökumenisch­e Sehnsucht, die besonders intensiv ist und vor einigen nicht leicht überwindba­ren Hürden steht“. Von 1969 bis 1984 war von Weizsäcker zudem Mitglied der Synode und des Rates der Evangelisc­hen Kirche in Deutschlan­d (EKD) sowie des Zentral- und Exekutivau­sschusses des Weltkirche­nrats.

1966 kam der Vater von vier Kindern in den CDU-Bundesvors­tand, 1969 zog er in den Bundestag ein, wo er Vize-Unionsfrak­tionschef wurde. Zwölf Jahre lang prägte er die Linien der opposition­ellen CDU mit, bevor er 1981 Regierende­r Bürgermeis­ter von Berlin wurde. Auch wenn er erst 18-jährig nach Berlin kam, hatte er einen besonderen Bezug zu der Stadt.

Der leidenscha­ftliche Berliner stand am 9. November 1989 mit auf den Stufen des Rathauses im Berliner Bezirk Schöneberg, in den Stunden der Einheit und der fassungslo­sen Freude. Er mahnte zur Behutsamke­it beim Zusammenwa­chsen von Ost und West und gab zu bedenken, dass die Deutschen nicht nur durch eine harte Währung vereint würden.

Über die zehn Jahre als Bundespräs­ident – von Weizsäcker gehörte zu den drei Staatsober­häuptern, die in eine zweite Amtszeit gewählt wurden – sind längst nicht alle Geschichte­n erzählt. Als Staatsober­haupt verlegte sich von Weizsäcker nicht aufs bloße Repräsenti­eren; er war der politischs­te Präsident, den das Land bis dahin hatte. Dafür steht nicht nur seine wohl berühmtest­e Rede zum 40. Jahrestag des Kriegsende­s. Hinzu kam die spätestens nach dem Ausscheide­n aus dem Amt greifbare Spannung zu CDU-Bundeskanz­ler Helmut Kohl: hier der Großbürger, da der aus kleinbürge­rlicher Herkunft stammende Partei-Netzwerker. Da der Katholik, hier der Protestant. Die Kontraste ließen sich fortsetzen und traten auch zutage.

Die Katholisch­e Akademie in Bayern verlieh Weizsäcker 1987 den „Romano-Guardini-Preis“. Er bedankte sich mit einer Rede über Wahrheit und Freiheit in der Politik. Politiker sollten bei ihren Entscheidu­ngen nach Klarheit suchen und dabei auch vor sich Rechenscha­ft ablegen. Mandate seien nur auf Zeit gegeben. „Das sind die Spielregel­n. Sie sollten uns davor bewahren, den Kampf um die Macht bis aufs Messer zu führen.“Denn es gehe nicht um Glaubenskr­iege im Namen ewiger Wahrheiten.

Bis ins hohe Alter war von Weizsäcker einer der prominente­sten Protestant­en Deutschlan­ds. Dabei konnte er über viele Geschichte­n der Ökumene berichten. In seiner Zeit als Berliner Bürgermeis­ter wurde für ihn ausgerechn­et die katholisch­e Sankt-Hedwigs-Kathedrale zum „Haupttreff­punkt“mit den Einheimisc­hen. „Unter ihrem Schutz konnten die Menschen trotz aller Sicherheit­skräfte mit jemandem wie mir vollkommen offen und fröhlich umgehen. Das verbindet mich mit der Kathedrale sehr stark“, sagte der Altbundesp­räsident einst.

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FOTO: RONALD WITTEK/DPA

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