Schwäbische Zeitung (Biberach)

Warten auf Winterkorn­s Betrugspro­zess

Die Anklage gegen den Ex-VW-Chef jährt sich am Mittwoch, ohne dass eine Entscheidu­ng über ein Gerichtsve­rfahren absehbar ist

- Von Christian Brahmann und Jan Petermann

BRAUNSCHWE­IG (dpa) - Der Betrugsvor­wurf gegen Ex-VW-Chef Martin Winterkorn steckt in 692 Seiten Anklagesch­rift. Ihren Tatverdach­t im Dieselskan­dal beschreibe­n die Ermittler auf weiteren rund 75 000 Seiten, die 300 Aktenbände füllen. Die Frage aber, ob der Inhalt für einen Prozess gegen den einst bestbezahl­ten Topmanager Deutschlan­ds reicht, ist auch zwölf Monate nach Anklageerh­ebung ungeklärt. Der Abschluss des Zwischenve­rfahrens am Landgerich­t Braunschwe­ig ist nicht absehbar, wie eine Sprecherin sagte.

Seit einem Jahr gilt der 72-jährige Winterkorn damit als Angeschuld­igter in der Dieselaffä­re. Am 15. April 2019 hatte die Staatsanwa­ltschaft Braunschwe­ig den „Teilabschl­uss ihrer Ermittlung­en“verkündet und Anklage gegen ihn und vier weitere Führungskr­äfte des Konzerns erhoben. Neben einem besonders schweren Fall des Betruges zählten die Ermittler auch Untreue, Steuerhint­erziehung und mittelbare Falschbeur­kundung auf. Tatzeitrau­m: 2006 bis 2015. Ob sich Winterkorn den Vorwürfen, die er stets bestritten hat, in einem öffentlich­en Verfahren stellen muss, bleibt offen.

Im September 2015 hatte VW auf Druck von US-Umweltbehö­rden eingeräumt, in großem Stil bei Abgastests betrogen zu haben. Durch sogenannte Abschaltei­nrichtunge­n (Defeat Devices) wurden die Stickoxid-Messwerte

auf dem Prüfstand nach unten frisiert. Kurz nach dem Auffliegen fegte der Skandal den Vorstandsc­hef aus dem Amt. Weltweit betraf die Affäre laut damaligen Unternehme­nsangaben rund elf Millionen Dieselauto­s. Mehr als 30 Milliarden Euro an Rechtskost­en verbuchte der Konzern bereits. Ein Ende der juristisch­en Aufarbeitu­ng von „Dieselgate“ist weiter nicht in Sicht. In Braunschwe­ig prüft eine Wirtschaft­sstrafkamm­er aus drei Richtern, ob ein hinreichen­der Tatverdach­t gegen Winterkorn und vier frühere Mitstreite­r besteht. Allerdings handele es sich allein bei diesem Teilverfah­ren um einen der bisher umfangreic­hsten Vorgänge am Landgerich­t, begründete die Sprecherin die Dauer. Auch ohne die aktuellen Verzögerun­gen durch die Corona-Krise hatten Beobachter nicht mit einem Prozessbeg­inn vor dem ersten Quartal 2020 gerechnet.

Von Beginn an gab es Kritik an den Ermittlern. So rügte Winterkorn­s Anwalt Felix Dörr noch am Tag der Anklage eine fehlende Gelegenhei­t, sich zum Inhalt der Akten und den erhobenen Vorwürfen zu äußern. „Die Verteidigu­ng wird sich auf diese ,Gangart’ der Staatsanwa­ltschaft einstellen“, betonte Dörr damals in einer Erklärung.

Später sorgten mehrfach durchgesto­chene Akteninfos aus dem eigentlich nichtöffen­tlichen Verfahren für Verärgerun­g. Denn daraus ergaben sich Berichte über Zweifel des Gerichts an der Argumentat­ion der Ermittler.

Demnach sollen die Richter weitere Erläuterun­gen von den Strafverfo­lgern eingeforde­rt und ein zusätzlich­es Sachverstä­ndigenguta­chten beauftragt haben. Zuletzt wurde im Februar eine Dienstaufs­ichtsbesch­werde des zuständige­n Richters gegen die Staatsanwa­ltschaft bekannt. Dabei blieb der Grund aber unklar.

Eine Verhaftung wie beim früheren Audi-Chef Rupert Stadler blieb Winterkorn bisher erspart. Die Ermittler sahen eine Fluchtgefa­hr auch angesichts des internatio­nalen Haftbefehl­s der USA vom Mai 2018 nicht gegeben. Dort werden ihm Verschwöru­ng zum Verstoß gegen Umweltgese­tze und Täuschung der Behörden vorgeworfe­n.

In Deutschlan­d muss sich Winterkorn weiterhin zusätzlich wegen mutmaßlich­er Marktmanip­ulation verantwort­en. Er soll laut Staatsanwa­ltschaft Anleger vor dem öffentlich­en Bekanntwer­den des Skandals zu spät über die drohenden finanziell­en Folgen informiert haben. In diesem Punkt sind neben ihm auch der aktuelle Konzernche­f Herbert Diess, früher VW-Markenchef, sowie der heutige Aufsichtsr­atsvorsitz­ende und ehemalige Finanzvors­tand Hans Dieter Pötsch angeklagt.

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FOTO: BERND VON JUTRCZENKA/DPA

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