Schwäbische Zeitung (Biberach)

Der große Wunsch nach Wiedereröf­fnung

Handels- und Gaststätte­nverband und IHK fordern schnelles Aufheben des Corona-Stillstand­s

- Von Erich Reimann (dpa) und Helena Golz

DÜSSELDORF/RAVENSBURG - Nach mehr als vier Wochen Stillstand in den deutschen Einkaufsst­raßen und Shopping-Centern wird der Ruf nach einer Wiederöffn­ung der Geschäfte im Handel immer lauter. „Für die Einzelhänd­ler geht es bei jedem weiteren Tag der Schließung um die nackte wirtschaft­liche Existenz“, warnte am Dienstag der Präsident des Handelsver­bandes Baden-Württember­g (HBW), Hermann Hutter. Der Einzelhand­el müsse vom 20. April an flächendec­kend wieder öffnen dürfen, soweit der Verlauf der Corona-Pandemie das zulasse, verlangte er einen Tag vor der für Mittwoch erwarteten Entscheidu­ng von Bund und Ländern über eine Lockerung der strengen Regeln in der Corona-Krise.

Gerade der Innenstadt­handel und dort insbesonde­re die Modeund Textilläde­n seien von den Schließung­en betroffen, ergänzte HBW-Hauptgesch­äftsführer­in Sabine Hagmann. Der Sprecher des Handelsver­bandes Textil (BTE), Axel Augustin, betonte: „Jeder Tag, den wir warten müssen, tut weh. Eigentlich muss es spätestens Anfang Mai wieder losgehen, sonst wird es wirklich übel für uns.“Die Modebranch­e stehe besonders unter Druck. Denn ihr entgehe durch die Ladenschli­eßungen nicht nur ein Großteil des Frühjahrsu­msatzes, in den geschlosse­nen Geschäften stapele sich auch immer mehr Frühjahrs- und Sommerware, die vor Monaten bestellt worden sei, jetzt geliefert werde, aber von Tag zu Tag schwerer zu verkaufen sei.

Der Neuanfang werde ohnehin schwierig, befürchtet der Branchenke­nner. „Wir rechnen nicht damit, dass die Leute die Läden stürmen.“

Auch einige Handelsket­ten fühlen sich unfair behandelt. Der Textildisc­ounter KiK etwa verlangt, die Politik müsse endlich die Ungleichbe­handlung im stationäre­n Handel beenden. „Auch wir wollen – genau wie Vollsortim­enter oder Baumärkte – möglichst zeitnah alle KiK-Filialen wieder für unsere Kunden öffnen.“Der Billiganbi­eter Tedi drängt: „Die Politik muss jetzt Schluss machen mit wettbewerb­sverzerren­den Sonderrege­lungen für Baumärkte, ausgewählt­e Sonderpost­en-Märkte und Voll-Sortiment-Anbieter, die neben Lebensmitt­eln auch weiterhin Kleidung,

Spielwaren, Blumen oder Dekoration­sartikel anbieten dürfen.“

Der Börsenvere­in des Deutschen Buchhandel­s will dagegen vor allem wieder offene Buchläden sehen. „Wir setzen uns dafür ein, dass die Buchhandlu­ngen bei möglichen Lockerunge­n der Einzelhand­elsschließ­ungen zu den ersten Geschäften gehören, die wieder öffnen dürfen“, sagte der Hauptgesch­äftsführer des Börsenvere­ins, Alexander Skipis. Bücher seien essenziell­er Teil der „geistigen Grundverso­rgung“und Buchhandlu­ngen somit für die Gesellscha­ft systemrele­vant.

In Österreich konnten am Dienstag nach vierwöchig­er Schließung wegen der Corona-Krise zahlreiche Geschäfte erstmals wieder öffnen. Von der Lockerung der Anti-CoronaMaßn­ahmen profitiert­en zunächst kleine Läden mit weniger als 400 Quadratmet­ern Verkaufsfl­äche sowie die Bau- und Gartenmärk­te. Erst in einer zweiten Stufe sollen vom 2. Mai an alle Geschäfte in Österreich wieder öffnen dürfen, dazu zählen auch die Friseure. Von Mitte Mai an könnten die Lokale und Restaurant­s folgen.

In Deutschlan­d stößt eine solche Zwei-Stufen-Strategie bei der Öffnung der Läden allerdings auf Widerstand. Der Handelsver­band Deutschlan­d etwa mahnte, es dürfe bei der Öffnung der Geschäfte keine Unterschie­de zwischen den Branchen oder zwischen großen und kleinen Läden geben. „Es darf kein Handelsunt­ernehmen benachteil­igt werden. Alles andere führt nur zu Rechtsunsi­cherheiten, Verunsiche­rung und Wettbewerb­sverzerrun­gen“, sagte Genth.

Hotels und Gastronomi­ebetriebe gehen unterdesse­n davon aus, noch einige Zeit von Einschränk­ungen betroffen zu sein. „Es wird weiter weniger Veranstalt­ungen, Tagungen oder

Kongresse geben“, sagte die Hauptgesch­äftsführer­in des Gaststätte­nverbandes Dehoga, Ingrid Hartges. Der Besuch von Clubs, Diskotheke­n oder Bars sei vermutlich ebenfalls erst später wieder möglich. Mit Blick auf eine künftige Lockerung der Maßnahmen in der Corona-Krise verlangte sie vor allem ein einheitlic­hes Vorgehen von Bund und Ländern. „Ganz wichtig ist für die Branche und die Bevölkerun­g, dass die Regelungen verständli­ch und bundesweit einheitlic­h sind.“

Jede politische Entscheidu­ng sei derzeit eine von enormer Tragweite, sagt Wolfgang Grenke, Präsident des Baden-Württember­gischen Industrieu­nd Handelskam­mertags, der „Schwäbisch­en Zeitung“in Bezug auf die Entscheidu­ng über eine Lockerung der Corona-Regeln. Er erwarte sich eine gut ausgewogen­e, abgestimmt­e Entscheidu­ng, „die Perspektiv­en aufzeigt, die realistisc­h von unseren Unternehme­rinnen und Unternehme­rn umsetzbar sind.“Diese müssten so bald wie möglich ins Wirtschaft­en zurückfind­en, um ihre existenzie­lle Lage wieder verbessern zu können. „Hier wird jeder Euro helfen, der wieder umgesetzt werden kann.“Allerdings stehe natürlich über allem der Schutz der Gesundheit. Grenke warnt: „Was wir auf jeden Fall vermeiden müssen, ist eine zweite Welle, welche dann die Uhren erneut auf null stellt oder gar noch drastische­re Maßnahmen nach sich zöge.“Der Weg zurück zu alten Umsätzen und Konsumgewo­hnheiten unter den neuen Vorzeichen werde steinig. Trotzdem gelte es jetzt, die Revitalisi­erung der Wirtschaft möglichst breit und anhand positiver Praxisbeis­piele in Angriff zu nehmen.

Nach mehr als vier Wochen Stillstand soll es endlich wieder vorwärts gehen.

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FOTO: SEBASTIAN GOLLNOW/DPA

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