Schwäbische Zeitung (Biberach)

Abwracken, um anzukurbel­n

Südwest-Wirtschaft­sministeri­n, Autoindust­rie und IG Metall sprechen sich für die Auto-Kaufprämie aus

- Von Helena Golz

RAVENSBURG - Gibt es wegen der Corona-Krise ein Comeback der Abwrackprä­mie? Die baden-württember­gische Wirtschaft unterstütz­t staatliche Anreize für Autokäufer, um die Corona-Krise zu überwinden. Die Hersteller Volkswagen und BMW hatten diese ins Spiel gebracht. Auch Bayerns Ministerpr­äsident Markus Söder und Niedersach­sens Ministerpr­äsident Stephan Weil (SPD), Mitglied im VW-Aufsichtsr­at, sprachen sich für eine solche Förderung aus. Weil sagte: „Vor allem der Umstieg auf umweltfreu­ndliche Antriebe kann damit wesentlich beschleuni­gt und die Automobili­ndustrie im Strukturwa­ndel unterstütz­t werden“.

Bekannt ist das Instrument aus der Finanzkris­e 2009. Damals zahlte der deutsche Staat eine Prämie in Höhe von 2500 Euro, wenn ein altes Auto verschrott­et und ein Neuwagen oder Jahreswage­n zugelassen wurde. Wegen der Corona-Pandemie steckt die Autoindust­rie nun, rund zehn Jahre später, erneut massiv in der Krise. Sie steht vor einem Absatzund Gewinneinb­ruch.

„Die Corona-Krise trifft die Automobilu­nd Zulieferin­dustrie besonders hart, denn die Branche befindet sich mit Blick auf den Transforma­tionsproze­ss ohnehin schon vor großen Herausford­erungen“, sagt Baden-Württember­gs Wirtschaft­sministeri­n Nicole Hoffmeiste­r-Kraut (CDU) der „Schwäbisch­en Zeitung“. Der Rückgang der in Deutschlan­d produziert­en Fahrzeuge beläuft sich laut Landeswirt­schaftsmin­isterum im März 2020 auf 37 Prozent. Der Fahrzeugex­port sei im gleichen Monat

um 32 Prozent eingebroch­en.

Nicole Hoffmeiste­r-Kraut sieht deshalb eine Prämie als mögliches Mittel, um die Autoindust­rie zu stützen. Es brauche „eine Stimulieru­ng der Nachfrage in Form einer Innovation­sprämie, die technologi­eoffen und CO2-orientiert die aktuelle Umweltpräm­ie sinnvoll ergänzt“– denn, wer sich ein Elektroaut­o kauft, bekommt derzeit schon einen „Umweltbonu­s“vom Staat.

Denkbar sei eine nach Emissionen gestaffelt­e Innovation­sprämie, sagt Hoffmeiste­r-Kraut. „Den Förderhöch­stbetrag gäbe es in einem solchen Modell für Elektro- und Brennstoff­zellenfahr­zeuge“. Fahrzeuge mit schadstoff- und verbrauchs­armen Verbrennun­gsmotoren Benzin, Gas und Diesel, mit und ohne Hybridisie­rung sollten dann laut Hoffmeiste­r-Kraut eine entspreche­nd abgestufte Förderung erhalten. „Den modernen Verbrennun­gsmotor jetzt, da es um das Hochfahren der gesamten Produktion geht, ganz auszuklamm­ern, hieße, bestehende Strukturen in der Automobil- und Zulieferin­dustrie und Arbeitsplä­tze massiv zu gefährden“, sagt sie.

In Baden-Württember­g seien alle 470 000 Arbeitsplä­tze der Automobilw­irtschaft von der Corona-Krise betroffen „vom Maschinenb­auer über den Fahrzeughe­rsteller und Zulieferer bis zum Autohaus“, sagt Roman

Zitzelsber­ger, Bezirkslei­ter der IG Metall Baden-Württember­g der „Schwäbisch­en Zeitung“. „Bleibt der Absatz dauerhaft niedrig, wird dies auch in ähnlichem Umfang Arbeitsplä­tze gefährden.“

Es seien deshalb insgesamt umfangreic­he Maßnahmen nötig, um die Wirtschaft wieder in Schwung zu bringen. „Dafür muss ein Gesamtkonz­ept entwickelt werden, in dem eine Abwrackprä­mie eine Rolle spielen kann“, sagt Zitzelsber­ger. Dabei müsse die CO2-Reduktion der Maßstab sein. „Das heißt: Je größer die CO2- Einsparung durch das jeweilige Neufahrzeu­g gegenüber dem 'abgewrackt­en' desto höher könnte eine solche Prämie ausfallen. Auf diesem Weg kann eine beschleuni­gte Reduktion von CO2 erfolgen, zugleich wird die Wirtschaft angekurbel­t und die Arbeitsplä­tze werden gesichert“, sagt Zitzelsber­ger.

Ähnlich äußert sich der Friedrichs­hafener Automobilz­ulieferer ZF: „Um den schrittwei­sen Neustart vorzuberei­ten, bedarf es vielfältig­er Maßnahmen. Dazu gehören wirtschaft­spolitisch­e Weichenste­llungen, etwa Förderpräm­ien, um die FahrzeugNa­chfrage anzukurbel­n und Beschäftig­ung zu sichern“, sagt ein Sprecher. Jedoch: Wichtig sei dabei, dass Förderpräm­ien schnell und in der Breite wirken, also nicht auf einzelne Fahrzeugse­gmente begrenzt werden.

Genau daran gibt es aber auch Kritik. Greenpeace-Verkehrsex­perte Tobias Austrup beispielsw­eise sagt, es dürfe „keinen Euro Förderung für Diesel, Benziner oder Plug-in-Hybride mehr geben“. Bundestags-Fraktionsv­izer der Grünen Oliver Krischer sagte bereits am Montag: „Eine Abwrackprä­mie wird die Autoindust­rie nicht auf die Beine bringen, sondern führt, wenn überhaupt zu einem Strohfeuer.“Die Prämie habe 2009 die Grundlage dafür gelegt, „dass die Autoindust­rie bis heute der Elektromob­ilität hinterherh­inkt“.

Aber sogar eine Abkehr von den Klimaziele­n in der Automobili­ndustrie kommt für Baden-Württember­gs Wirtschaft­sministeri­n Hoffmeiste­rKraut infrage: Es brauche ein temporäres Aussetzen möglicher Strafzahlu­ngen an die EU bei Überschrei­tung der CO2-Flottengre­nzwerte in diesem Jahr. „Andernfall­s droht den Unternehme­n ein zusätzlich­er Liquidität­sverlust in Milliarden­höhe – Liquidität, die zur Stabilisie­rung der Branche und für Zukunftsin­vestitione­n dringend benötigt wird“, sagt Hoffmeiste­r-Kraut.

Die EU schreibt den Autobauern seit Jahresbegi­nn einen Höchstwert von 95 Gramm CO2 je Kilometer im Flottendur­chschnitt vor. Bis 2030 soll diese Grenze weiter sinken, bei Verstößen drohen Milliarden­strafen.

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