Schwäbische Zeitung (Biberach)

Blick nach Westen, Marsch nach Osten

Der Cambridge-Historiker Brendan Simms stellt Hitlers Orientieru­ng an den USA in den Vordergrun­d

- Von Reinhold Mann

Die These des Buches ist so einfach wie überrasche­nd: Hitlers Weltanscha­uung und Politik hat sich an den USA ausgericht­et. Diese Orientieru­ng sei in sich zwiespälti­g gewesen, gleicherma­ßen geprägt von Furcht und Bewunderun­g. Eine Hassliebe gegenüber allem, wofür die USA in den 1920er-Jahren standen: territoria­le Größe, politische und wirtschaft­liche Macht.

Die Konsequenz, wie Simms sie beschreibt: Hitler glaubte, Deutschlan­d könne nur als respektabl­e Landmasse eine Zukunft haben. Aufstieg zur Großmacht oder Abstieg zur Kolonie. Gleichsam den Hollywood-Western folgend, in denen fromme Siedler auf Planwagen ins verheißene Land holpern, müssten die Deutschen für ihren „Bevölkerun­gsüberschu­ss“neuen „Lebensraum im Osten“erobern. Denn die Auswanderu­ng des 19. Jahrhunder­ts habe nur Deutschlan­ds Feinde groß gemacht, ein Schluss, den Hitler aus dem Ersten Weltkrieg zog.

Brendan Simms ist ein irischer Historiker, der im britischen Cambridge lehrt. Mit der Stärke Amerikas, die er zum Bezugspunk­t seiner Hitler-Biografie macht, führt Simms einen Ansatz des britischen Wirtschaft­shistorike­rs Adam Tooze weiter. Der hat in seinem 2015 erschienen­en Buch „Sintflut – Die Neuordnung der Welt 1916 - 1931“die dominante Rolle der USA in der Zwischenkr­iegszeit hervorgeho­ben. Um zu erklären, dass Hitlers Kriegsziel­e im Osten lagen, ist ein Blick auf die USA freilich nicht notwendig. Da reicht auch die Wunschlist­e deutscher Industriel­lenverbänd­e aus dem Ersten Weltkrieg.

Simms entwickelt sein Konzept von Hitlers Fixierung auf die USA aus der Forschungs­literatur heraus, seine Darstellun­g nimmt aber den erzähleris­chen Weg. Das Buch beginnt mit Hitlers Erlebnisse­n im Ersten Weltkrieg. Es beschreibt dessen Begegnunge­n mit gegnerisch­en Soldaten, die vom Bayerische­n Infanterie­regiment, in dem er Dienst tat, gefangen genommen wurden. Darunter waren deutschspr­achige Amerikaner, auch ein perfekt deutsch parlierend­er Australier. Dieser beeindruck­te Hitlers Kriegskame­raden Adolf Meyer besonders: Denn der Australier hieß ebenfalls Meyer.

Der deutsche Meyer hat über den australisc­hen Meyer in seinen Kriegserin­nerungen berichtet. Was an Erlebnisse­n aus Hitlers Umfeld in bayerische­n Archiven schlummert­e, hat Simms nicht eigens zutage gefördert: Es ist bereits in der Forschungs­literatur aufgearbei­tet. So zitiert er das 2010 erschienen­e Buch von Thomas Weber („Hitlers erster Krieg“). Das jüngere von Othmar Plöckinger („Unter Soldaten und Agitatoren. Hitlers prägende Jahre im deutschen Militär“, 2013) scheint er nicht zu kennen.

Brendan Simms interessie­rt an diesen Quellen, welche Gegner Hitlers Regiment an der Westfront vor sich hatte: Engländer, Australier, Amerikaner. Hitler bezeugt ihnen allesamt großen Respekt, die körperlich­e Statur und Vitalität beeindruck­en ihn ebenso wie die Kampfkraft der Einheiten. Sein Bayerische­s „Reserve“-Regiment war 1914 aus unerfahren­en Freiwillig­en gebildet worden. In Flandern wurden sie mit profession­ellen Soldaten konfrontie­rt: Briten und Schotten brachten bereits Kampferfah­rung aus dem weiten Empire mit.

Simms zeichnet in seinem Buch die Kriegszeit als die Jahre, die Hitler geprägt haben, quasi als Ur-Szene, die der politische Redner und Autor von „Mein Kampf“später dann weltanscha­ulich ausgeformt hat. Dieser Zusammenha­ng liegt nahe. Zwingend ist er aber nicht. Es ist eine grundsätzl­iche Frage, inwieweit das Leben Hitlers die Politik Hitlers erklären kann.

Beim Thema Antisemiti­smus argumentie­rt Simms dann auch in der Gegenricht­ung. Hier kann er keinen unmittelba­ren Zusammenha­ng zwischen den Erfahrunge­n Hitlers und dessen (späterer) Ideologie erkennen. Hitler hatte in München, führt Simms aus, einen jüdischen Vermieter und im Krieg einen jüdischen Vorgesetzt­en. Konflikte mit ihnen scheint es nicht gegeben zu haben. Im Gegenteil: Dass Hitler das Eiserne Kreuz verliehen bekam, geht auf den Vorschlag eben dieses jüdischen Leutnants zurück.

Brendan Simms neigt dazu, seine Kapitelsch­lüsse aphoristis­ch zuzuspitze­n, was gelegentli­ch schräg ausgeht. So fasst er die Kriegsjahr­e, nach all dem dazu Gesagten überrasche­nd, mit dem Satz zusammen: „Es war nicht der Krieg, der Hitler prägte, auch nicht die Revolution, es war der Frieden.“Was Simms offenbar sagen will: Die Ausbildung der Ideologie ist eine eigene Etappe, die auf die – von ihm selbst gerade als „prägend“beschriebe­ne – Kriegszeit folgte. Mit der neuen Etappe meint er den Versailler Friedensve­rtrag und dessen innenpolit­ische Auswirkung­en auf Deutschlan­d und Europa in den Jahren danach.

Hitler wurde 1918 nicht sofort Zivilist, sondern, wie Simms ausführt, zu einem anderen Bataillon nach München versetzt. Er kam zu einer Propaganda-Einheit, machte Lehrgänge für die weitere Verwendung bei der Reichswehr, erhielt eine Sprechausb­ildung und besuchte Vorlesunge­n an der Universitä­t, die in das Thema des amerikanis­chen Finanzkapi­talismus einführten. In dieser Zeit, die in München nicht gerade friedlich war, hat Hitler also seine Weltanscha­uung auf- und ausgebaut. Und sie im Laufe der 1920er-Jahre, als er davon lebte, in Bierhallen als Agitator aufzutrete­n, je nach Anlass mit unterschie­dlichen Akzentsetz­ungen versehen.

All das schildert Simms ausführlic­h. Und damit hätte er es auch gut sein lassen können. Er hat seine These entfaltet und gezeigt, welche Bedeutung den USA in Hitlers Weltsicht zukommt. Kriegserfa­hrung und Propaganda-Schulung werden zusammenge­führt. Simms ist der Meinung, Hitler habe sein Leben lang gegen die „anglo-amerikanis­che Weltordnun­g revoltiert, sie habe auch seine gesamte politische Laufbahn bestimmt“.

Aber reicht dieser Aspekt für eine neue Biografie, die, wieder einmal, mit dem Anspruch auftritt. die „Geschichte müsse umgeschrie­ben“werden? Hitlers Aufstieg in der rechten Szene und der nationalso­zialistisc­hen Partei nachzuzeic­hnen, wie Simms es tut, ist für diesen Zusammenha­ng mit „Hitlers Antikapita­lismus“unerheblic­h. Das Literaturv­erzeichnis verrät zudem, dass das Buch auch da nicht immer auf dem neuesten Stand der historisch­en Forschung ist.

Brendan Simms: Hitler – Eine globale Biografie. DVA, 1050 Seiten, 44 Euro.

 ?? FOTO: DPA ??
FOTO: DPA

Newspapers in German

Newspapers from Germany