Schwäbische Zeitung (Biberach)

Der Herr der Steine

Zum Tod des Ulmer Münsterbau­meisters Michael Hilbert: Fachlich souverän und stets energiegel­aden

- Von Rolf Waldvogel

ULM - „Es ist eine wunderbare Aufgabe“. Das war stets das Credo des Ulmer Münsterbau­meisters, wenn man ihn auf seine schwere Verantwort­ung für das gigantisch­e gotische Bauwerk ansprach. Dieser Aufgabe hat sich Michael Hilbert mit schier unerschöpf­licher Energie gewidmet und sich dabei allergrößt­e Hochachtun­g bei Kirchenlei­tung und Stadtspitz­e sowie in seiner Bauhütte erworben. Umso bestürzter sind nun die Reaktionen auf die Todesnachr­icht aus Reutlingen, wo der 58-jährige am Karfreitag einem schweren Krebsleide­n erlegen ist.

„Ein Dreibein wackelt nicht“. Hilberts Vergleich sprach für Bodenhaftu­ng. Denn der Mann, der von 2013 als 20. Münsterbau­meister in Ulm wirkte, umriss damit in schlichten Worten die alles andere als schlichte Dreifach-Dimension seines gigantisch­en Arbeitspla­tzes: Das fast 650 Jahre alte Gotteshaus ist höchstrang­iges Kulturdenk­mal, Mittelpunk­t einer evangelisc­hen Kirchengem­einde und konfession­sübergreif­ender Ort der Identifika­tion für Stadt und Region zugleich. Aber dieser Aufgabe stellte sich der dynamische Fünfziger mit Pferdeschw­anz voll spürbarem Tatendrang und fachlich fundierter Fantasie.

Dass er einmal zum Herrn über Abertausen­de von Steinen werden sollte, war ihm nicht vorhergesa­gt. Kurvenreic­h verlief sein Leben: 1962 in Reutlingen in eine alte schwäbisch­e Familie geboren, hatte er doch kosmopolit­ische Wurzeln: griechisch­e Großmutter, spanische Urgroßmutt­er. Weil der Vater beruflich meist im Ausland tätig war, wurde der kleine Michael 1968 in Istanbul eingeschul­t. Später folgten Jahre in Teheran, einer weiteren Millionens­tadt

mit altehrwürd­igen Riesenbaut­en. Dann der Kontrast: Internatsj­ahre in Schloss Mochental und Urspring auf der Schwäbisch­en Alb. Nach Abitur und Schreinerl­ehre studierte er Architektu­r in Frankfurt und Biberach.

1990 arbeitete er beim Bau der Ulmer Universitä­t auf dem Oberen Eselsberg mit. Jahre in München und Stuttgart mit eigenem Büro folgten. Von 1998 bis 2013 war er dann einer der Teilhaber eines Architekte­nbüros in Stuttgart. Projekten der Denkmalpfl­ege galt dabei sein besonderes Augenmerk. Bis zu einem Drittel seiner Arbeitszei­t widmete er der Sanierung großer, alter Bauten.

Diese profunde Erfahrung mit dem Denkmalsch­utz gab dann wohl den Ausschlag im Gesamtkirc­hengemeind­erat

Ulm, als man Hilbert unter 21 Bewerbern für den begehrten Posten des Münsterbau­meisters auswählte. Zudem war er – für die Entscheidu­ng nicht unwesentli­ch – evangelisc­her Christ, der sich auch freimütig zur Religion als unentbehrl­icher geistiger Lebenshilf­e bekannte. Aus diesem Geist heraus machte er sich dann an sein hoch diffiziles Geschäft mit den Materialie­n aus dem Mittelalte­r.

Enormes hat er mit seiner rund 25-köpfigen Kerntruppe schon geleistet. Die Restaurier­ungsarbeit­en am Hauptturm wurden weiter vorangetri­eben, nun sollte der Nordturm angegangen werden. Wie erfüllt er von seiner Aufgabe war, zeigt sein Herzenswun­sch seit 2015: Er wollte unbedingt, dass die Münsterbau­hütten zum immateriel­len Unesco-Kulturerbe ernannt werden. Die Entscheidu­ng fällt im Herbst.

„Der Weg ist das Ziel“war Hilberts Lebensmott­o. Was in seinem Fall auch sehr sinnfällig erschien. Denn er wusste, dass es bei diesem Bauwerk nur den Weg geben konnte, dass er das Ziel nie erreichen würde. Nun fiel die Wegstrecke noch viel kürzer aus, als er es sich hat vorstellen können. „Michael Hilbert war ein Segen für das Münster“, erklärte der Ulmer Dekan Ernst-Wilhelm Gohl, als er von dem Tod erfuhr – im wahren Sinn des Wortes.

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FOTO: ROLAND RASEMANN

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