Schwäbische Zeitung (Biberach)

Sorge um Zunahme von häuslicher Gewalt

Biberacher Frauenschu­tzhaus bereitet sich auf Anstieg vor – Was die Gründe sind

- Von Simon Schwörer

BIBERACH - Sie hofft darauf, dass die Zahlen nicht steigen. Trotzdem hat Andrea Hehnle und ihr Team des Biberacher Frauenschu­tzhauses schon Vorbereitu­ngen getroffen. Denn durch die Corona-Krise könnte es bald mehr Fälle von häuslicher Gewalt geben. Doch aktuell gibt die Leiterin des Frauenschu­tzhauses Entwarnung: „Wir spüren bis jetzt keine Zunahme, nicht einmal bei den Voranfrage­n.“

Auswirkung­en der Ausgangsbe­schränkung­en im Land sieht das Frauenhaus also aktuell nicht. Es wird von der Caritas getragen und über den Landkreis finanziert. Dennoch: „Unser Frauenhaus ist besetzt“, sagt Hehnle. Es biete Platz für vier Frauen und sechs bis acht Kinder. Die Frauen, die dort aktuell einquartie­rt sind, seien aber schon seit Anfang März dort. Damals seien die strengeren CoronaMaßn­ahmen noch nicht in Kraft gewesen, sagt Hehnle. Doch falls sich das ändert, will die Leiterin des Frauenhaus­es vorbereite­t sein: „Wir haben schon Vorsorgema­ßnahmen getroffen. Wir können für solche Fälle Ferienwohn­ungen anmieten.“

Wolfgang Jürgens, Sprecher des Ulmer Polizeiprä­sidiums, sagt: „Rein statistisc­h sind die Zahlen bei häuslicher Gewalt relativ niedrig. Sie lassen eine belastbare Einschätzu­ng nicht zu.“Seinem vorsichtig­en Eindruck nach zeichne sich für den Zuständigk­eitsbereic­h des Polizeiprä­sidiums aber keine Erhöhung der Fälle ab. Weil die Corona-Maßnahmen erst relativ kurz in Kraft seien, sei noch keine Einschätzu­ng möglich.

Dennoch erklärt Jürgens: „Wir haben das Thema häusliche Gewalt im Blick und sind dort sehr aktiv.“Ansprechpa­rtner für Betroffene gebe es in allen Polizeirev­ieren, sagt der Sprecher. Die Opfer von häuslicher Gewalt seien überwiegen­d Frauen.

Das bestätigt Hehnle vom Biberacher Frauenhaus. Dabei tritt sie dem Klischee entgegen, häusliche Gewalt gebe es vor allem in einkommens­schwachen Familien. Sie sagt: „Das geht durch alle Schichten.“Die Gewalt zeige sich dabei in unterschie­dlichen Formen, erklärt Hehnle. „Etwa, dass der Partner geschlagen und getreten wird. Es gibt aber auch psychische Gewalt.“Dazu zähle etwa, dass der Mann die Frau niedermach­e. „Und zwar so gezielt, dass die Frau das irgendwann selbst glaubt“, sagt die Leiterin des Frauenschu­tzhauses. Auch finanziell würden Frauen von ihren Partnern unter Druck gesetzt, indem sie kein Geld mehr bekämen. Bei Fällen mit Migrations­hintergrun­d komme es zudem beispielsw­eise vor, dass Männer den Frauen den Pass abnähmen, erläutert Hehnle.

Aber warum könnten gerade wegen Corona die Fälle steigen? „Zum einen ist man es nicht gewohnt, als Familie so eng zusammenzu­sitzen“, sagt Hehnle. Dazu komme die Sorge um die eigene Gesundheit und Zukunft. „Etwa, wenn man in Kurzarbeit ist oder den Job verloren hat“, sagt sie. Auch der Nachwuchs spiele manchmal eine Rolle. Denn: „Kinder sind trotz der Situation laut und lebhaft.“Hier sei auch der Druck von Heimunterr­icht für Eltern groß: „Viele Eltern überforder­t das“, sagt Hehnle. Ein Sammelsuri­um dieser Gründe könne schließlic­h zur Eskalation führen.

Laut Bundesfami­lienminist­erium erwarten auch Experten angesichts der Corona-Krise eine Zunahme von Fällen häuslicher Gewalt. Das befürchtet auch Dagmar Wirtz. Sie ist Kreisvorsi­tzende der Arbeitsgem­einschaft Sozialdemo­kratischer Frauen (ASF). Wirtz sagt: „Die Befürchtun­g ist die, dass es zu mehr häuslicher Gewalt kommt aufgrund der Tatsache, dass Familien und Paare durch die CoronaMaßn­ahmen viel mehr Zeit in der Wohnung verbringen.“

Die Frauenorga­nisation der SPD erklärt sich diese Gefahr nicht nur aufgrund der räumlichen Nähe der Partner, sondern auch aus Unsicherhe­iten, etwa Angst vor Kurzarbeit oder Erkrankung. „Durch diese Anspannung könnte es noch mehr häusliche Gewalt geben“, sagt Wirtz.

Die Organisati­on fordert darum von Land und den Kommunen im Landkreis Biberach eine Reihe von Maßnahmen. Dazu zählen die Sicherung der Gehälter der Beschäftig­ten in Frauennoth­äusern und Beratungss­tellen. Auch sie seien systemrele­vant.

Auch müssten laut der ASF diese Einrichtun­gen beim Ausbau ihrer technische­n Ausstattun­g für Onlineund Telefonber­atung unterstütz­t werden. Gefordert wird zudem der Ausbau von Notschlafp­lätzen für von häuslicher Gewalt betroffene­n Frauen und deren Kinder. Außerdem sei der Kampf für die körperlich­e und seelische Gesundheit von Frauen eine Gemeinscha­ftsaufgabe.

Ziel der Forderunge­n ist es laut Wirtz auch, betroffene­n Frauen Ängste zu nehmen. „Viele Frauen trauen sich nicht, Kontakt zu Beratungss­tellen aufzunehme­n. Weil sie denken, dass diese Stellen gerade eh geschlosse­n sind“, sagt sie. „Oder sie haben Angst, in Frauenhäus­ern keinen Platz zu finden.“Die Erfahrung der vergangene­n Jahre zeige, dass Frauenhäus­er in ganz Deutschlan­d unterbeset­zt seien, meint die Kreisvorsi­tzende. Die Mitarbeite­r hätten jedoch ein hohes Arbeitspen­sum. „In dieser angespannt­en Situation, wenn möglicherw­eise mehr Frauen Schutz suchen, stoßen die Beschäftig­ten an Grenzen.“

In Biberach bietet die Caritas eine Beratungss­telle für Frauen an. „Betroffene können sich bei uns melden“, sagt die Frauenhaus­leiterin Hehnle. So gebe es die Möglichkei­t, sich telefonisc­h beraten zu lassen und gemeinsam zu überlegen, ob ein Aufenthalt im Frauenhaus Sinn ergebe.

„In der Regel nehmen wir zwischen 16 und 22 Frauen im Jahr auf“, sagt Hehnle. Der Großteil der Frauen bleibe nur eine Woche im Frauenhaus, manche auch zwischen vier Wochen und drei Monaten. „Die meisten gehen danach zurück zu ihrem Partner“, sagt sie. Warum sich viele Frauen stattdesse­n keine eigene Wohnung suchen würden, hänge mit der schwierige­n Wohnungssi­tuation im Land zusammen, erklärt Hehnle. Außerdem sei die Hemmschwel­le, ins Frauenhaus zu kommen, für viele Frauen hoch. „Oft ist es so, dass Frauen vier bis fünf Mal anrufen, bis sie dann ins Frauenschu­tzhaus kommen“, sagt Hehnle.

Weitere Infos gibt es bei der Caritas (Beratung für Frauen/ Frauenschu­tzhaus) unter Telefon 07351/8095-160 oder per Mail an: fsh@caritas-biberach-saulgau.de

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FOTO: DPA/MAURIZIO GAMBARINI

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