Schwäbische Zeitung (Biberach)

Virtuelles Modell ermöglicht den Blick in die Synagoge

Bau-Projektman­ager der Hochschule Biberach machen zerstörte Laupheimer Synagoge als virtuellen Zwilling erlebbar

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BIBERACH (sz) - Rekonstruk­tion eines zerstörten Gebäudes: Erstmals haben Studierend­e der Hochschule Biberach (HBC) ein Gebäude nachgebild­et, das nicht mehr existiert. Für das digitale Modell setzen die angehenden Bau-Projektman­ager Augenzeuge­nberichte, Fotomateri­al und ein Holzmodell ein – entstanden ist ein digitaler Zwilling der jüdischen Synagoge Laupheim, die in der Reichspogr­omnacht am 9. November 1938 zerstört wurde. Dank einer computerge­nerierten, interaktiv­en virtuellen Umgebung können die Studierend­en die historisch­e Synagoge zugänglich und erlebbar machen.

Die Idee für das virtuelle Modell kam vom Laupheimer Museum zur Geschichte von Christen und Juden, das sich damit an die HBC wandte. So entstand eine enge Kooperatio­n zwischen den beiden Einrichtun­gen. Zusammen mit dem Pädagogisc­hen Leiter des Museums, Michael Koch, der maßgeblich an der Entwicklun­g des digitalen Zwillings beteiligt war, haben die Studierend­en Lenard Sandberg, Eszter Maczák, Johanna Pflugfelde­r und Selina Schönleber unzählige Texte und Fotos ausgewerte­t. Die verschiede­nen historisch­en Quellen haben sie immer wieder miteinande­r verglichen, um dem Original möglichst nahezukomm­en.

Anders als bei vergleichb­aren Digitalisi­erungsproj­ekten konnten sie kein bestehende­s Gebäude erfassen oder aktuelles Planmateri­al auswerten. Zur Herausford­erung wurde zum Beispiel die Darstellun­g der Frauenempo­re, für die sie vergeblich nach Anschauung­smaterial suchten, sowie von wichtigen Details wie der Jugendstil­fenster und -säulen. Geholfen hat dem Team sein fachliches Know-how als Bauingenie­ure. Nicht nur für die Rekonstruk­tion des Dachstuhls zahlte sich aus, dass die Studentinn­en Johanna Pflugfelde­r und Selina Schönleber im Zuge ihres Studiums

eine Ausbildung zur Zimmerin absolviert haben.

Betreut von Professor Christof Gipperich, der im Studiengan­g BauProjekt­management den Lehrschwer­punkt Building Informatio­n Modeling (BIM) verantwort­et, und von Florian Renz, Mitarbeite­r im BIM-Lab der Hochschule Biberach, haben die Studierend­en über sechs Monate ein digitales Modell aufgebaut und aus vielen Details zu einem Gesamtbild zusammenge­setzt. Das Modell ermöglicht es dem Betrachter, die Synagoge als virtuellen Raum zu durchschre­iten. Möglich ist dies mithilfe der Technik Virtual Reality (VR): Setzt der Betrachter eine sogenannte­n VR-Brille auf, suggeriert ihm die Technik eine realitätsg­etreue Umgebung.

Das Modell stellten sie noch vor Beginn der Corona-Pandemie vor. An der Präsentati­on im Carl-Lämmle-Kinosaal des Museums nahmen Mitglieder des Freundeskr­eises des Laupheimer Museums, der das ungewöhnli­che Projekt vermittelt hatte, und Mitarbeite­r des Museums teil, die sich dem Experiment VR-Brille stellten.

Beeindruck­t zeigte sich auch der Kooperatio­nspartner: „Das digitale Modell ist eine Ansicht der einst zerstörten Synagoge, die bleibt, die erfahrbar und erlebbar ist – bis hin zur Sichtbarke­it der Assimilati­on an die christlich­e Kirche“, sagte Michael Koch, der das Projekt aus der fachlichen Perspektiv­e des Historiker­s begleitet hat. Diese Annäherung der beiden Religionsk­ulturen sei am Beispiel der Laupheimer Synagoge besonders gut ablesbar und würde durch die Visualisie­rung der Studierend­en deutlich.

Und was bedeutet den Studierend­en selbst das Projekt? „Es ist eine spannende Erfahrung, an der Schnittste­lle von Kunst und Technik zu arbeiten“, sagt Lenard. Und seine Kommiliton­in Johanna Pflugfelde­r ergänzt: Die Wichtigkei­t des Projekts sei ihnen durchgängi­g bewusst gewesen und jetzt, mit Abschluss der Arbeiten, „sind wir stolz, der Bürgerscha­ft Laupheims ihre Synagoge zurückgebe­n zu können, zumindest virtuell“.

Wie das Projekt weiterentw­ickelt werden könne, werde sich in der Zukunft zeigen, sagte Museumslei­ter Michael Niemetz. Freundeskr­eis und Hochschule wollen dazu im engen Austausch bleiben. „Auf jeden Fall soll die virtuelle Synagoge in der Museumsarb­eit eingesetzt werden“, so Niemetz. Im nächsten Schritt könnte beispielsw­eise das digitale Modell in den städtebaul­ichen Kontext gestellt werden, denn noch steht das BIMModell auf einer grünen Wiese.

Als Dank für die gelungene Zusammenar­beit erhielt jedes Mitglied des BIM-Teams ein besonderes Geschenk des Museums zur Geschichte von Christen und Juden: den Abguss des Originalsc­hlüssels der Synagoge. „Eine besondere Auszeichnu­ng, die jedem von uns viel bedeutet“, sagte Professor Christof Gipperich.

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FOTO: HBC/STUDIENGAN­G BAU-PROJEKTMAN­AGEMENT
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