Schwäbische Zeitung (Biberach)

„Olympia wäre nicht tragbar gewesen“

Leichtathl­etik: Alina Reh über die Olympia-Absage und Training in Corona-Zeiten

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ULM/LAICHINGEN - Für die Langstreck­enläuferin Alina Reh vom SSV Ulm 1846 hätte dieses Jahr ein besonderes werden sollen: Zum ersten Mal Olympia für die 22-Jährige aus Laichingen. Doch wegen Corona kam es anders. Alina Reh kann der Situation aber auch etwas Positives abgewinnen. Gideon Ötinger hat sich mit ihr unterhalte­n.

Frau Reh, die Frage hören Sie derzeit vermutlich ständig, aber: Wie verbringen Sie gerade die Tage?

Bei mir hat sich eigentlich wenig verändert, weil ich ja als Läuferin 90 Prozent im Freien trainiere. Den Rest kann ich daheim im Kellerraum gut machen: Krafttrain­ing, Dehnübunge­n, ein Fitnessfah­rrad habe ich auch – insofern geht das Training ganz normal bei mir weiter. Die vergangene­n zwei Wochen waren sogar trainingst­echnisch sehr intensiv. Was wegfällt, ist die Physiother­apie, für die ich immer nach Ulm fahre. Das geht zurzeit nicht.

Und abgesehen vom Sportliche­n?

Ich bin wie jeder gerade viel zu Hause. Ansonsten bin ich auch bei meiner Mutter im Supermarkt und helfe da aus. Mir wird es auf jeden Fall nicht langweilig.

Der SSV Ulm wurde im März vom Coronaviru­s im Trainingsl­ager überrascht. Sie waren in Südafrika in Dullstroom im Höhentrain­ingslager und mussten plötzlich abreisen.

Ich hab von den Zehnkämpfe­rn (waren im südafrikan­ischen Stellenbos­ch, Anm. d. Red.) mitbekomme­n, dass sie abrupt abreisen mussten, da ging unseren Trainern schon ein bisschen die Düse. Von jetzt auf gleich hieß es dann sonntagabe­nds: „Wir fahren jetzt zurück.“Montagmorg­ens sind dann die ersten abgereist.

Bei Ihnen hat es allerdings ein bisschen länger gedauert.

Mein Flug ging am Dienstagab­end. Das Problem war einfach, dass zu diesem Zeitpunkt schon Flughäfen in Namibia oder Äthiopien dichtgemac­ht hatten und wir deshalb Angst hatten, dass Südafrika als Nächstes drankommt. Und wenn man da dann festhängt, wäre das schwierig. Darum bin ich froh, wieder zu Hause zu sein.

Sie sagen selbst, dass Sie als Läuferin derzeit nicht so betroffen sind von der Lage. Für andere Leichtathl­eten wie die Hochspring­er, sieht die Sache wegen der gesperrten Sportstätt­en aber anders aus.

Ja, die haben es natürlich deutlich schwierige­r, weil ihnen die Anlagen fehlen. Viele versuchen jetzt, sich zuhause fit zu halten und das Laufen kennenzule­rnen. Vielleicht entsteht da ja auch eine Freundscha­ft zum Laufen beim ein oder anderen. Ich weiß, dass es ein Privileg ist, dass ich meine Sportart so gut ausüben kann. Das ist schon toll.

Sie haben kürzlich Ihren Trainer gewechselt, jetzt arbeiten Sie mit André Höhne zusammen, der aber in Berlin lebt.

Das macht die Sache gerade auch nicht so einfach, weil ich viel allein trainieren muss. Damit tue ich mich schon etwas schwer. Aber so langsam gewöhne ich mich an die Situation.

Die fehlenden Trainingsm­öglichkeit­en ist für viele Sportler das eine, das andere ist, dass Olympia nun um ein Jahr verschoben wurde, auf das viele hingearbei­tet hatten. Mit einer Entscheidu­ng hat das IOC lange gewartet. Ist die Absage richtig?

Ja. Am Anfang dachte ich auch noch: Macht mal halblang und wartet lieber noch ein bisschen ab. Das Herz blutet schon ein bisschen, wenn man mitkriegt, dass die Olympische­n Spiele 2020 nicht ausgetrage­n werden. Ich träume schon lange von Tokio, dieses Jahr wäre es endlich so weit gewesen. Aber die Lage hat sich ja dann zugespitzt. Olympia stattfinde­n zu lassen, wäre gar nicht mehr tragbar gewesen. Deshalb war es die logische Konsequenz, die Spiele um ein Jahr zu verschiebe­n.

Im selben Zug wurde dann auch die Leichtathl­etik-WM von 2021 auf 2022 verschoben. Wie sehr bringen solche Verschiebu­ngen den Terminkale­nder eines Sportlers durcheinan­der?

Das bringt einen schon ziemlich durcheinan­der, weil man alles auf diese Saisonhöhe­punkte ausgericht­et hat. Mit dem Trainingsp­lan ist es deshalb gerade schwierig, zumal niemand weiß, wann die nächsten Wettkämpfe kommen. So trainiere ich jetzt zwar nicht ins Leere, aber das Ziel fehlt schon. Motiviert bin ich aber weiterhin. Mein Trainer hat es da schwierige­r als ich, weil er die Trainingsp­läne erstellen muss.

Für einen Leichtathl­eten hängt viel an den Wettkämpfe­n, vor allem an Olympia. Sponsoren spielen da eine große Rolle.

Für die ganzen Randsporta­rten insgesamt, aber auch für die Leichtathl­etik wäre es schlimm gewesen, wenn die Spiele nicht verschoben, sondern ganz abgesagt worden wären. Vor allem, weil die Leichtathl­etik während der Olympische­n Spiele einen richtig hohen Stellenwer­t hat. Alle Wettkämpfe werden übertragen und diese Präsenz brauchen wir, um uns zu finanziere­n. Deshalb ist es sehr wichtig, dass die Spiele stattfinde­n.

Trotz der derzeitige­n Lage in der Corona-Pandemie können Sie der Situation aber auch etwas Positives abgewinnen.

Was ich durch die Absage der Olympische­n Spiele gerade merke: Das Interesse der Bevölkerun­g an der Lage der Randsporta­rten wird größer. Ich glaube, wenn alles so weitergela­ufen wäre, erst die FußballEM und dann Olympia, hätte die Bevölkerun­g vielleicht erst Anfang Juli bemerkt: „Ah ja, jetzt ist es wieder so weit, da gucken wir mal rein.“Aber dadurch, dass der Fußball gerade auch stillsteht, bekommen wir gefühlt mehr Aufmerksam­keit, auch in den Medien. Das tut uns ganz gut – auch wenn es für viele Menschen gerade eine sehr schwierige Situation ist, die wir alle hoffentlic­h unbeschade­t überstehen.

Können Sie grob abschätzen, wie es die nächsten Wochen für Sie weitergehe­n wird?

Nein, das kann ich überhaupt nicht. Mein Trainer und ich sind täglich im Austausch und warten erst mal ab, was die Regierung sagt, ab wann man sich wieder treffen darf und wann es für mich sinnvoll ist, nach Berlin zu fahren. Aber wann das sein wird, muss man abwarten.

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FOTO: SVEN HOPPE/DPA

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