Schwäbische Zeitung (Biberach)

„Wir dürfen die Wirtschaft nicht komplett strangulie­ren“

IHK-Vizepräsid­ent Johannes Remmele erklärt, wie die heimische Wirtschaft nach und nach wieder in Gang kommen soll

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OCHSENHAUS­EN - Viele Unternehme­n geraten im Zuge der CoronaKris­e in massive wirtschaft­liche Bedrängnis. Vor allem jene, die von den verordnete­n Schließung­en betroffen sind. Johannes Remmele, Gesellscha­fter und Beirat der Firma Südpack sowie Vizepräsid­ent der IHK Ulm, macht sich deshalb große Sorgen um die heimische Wirtschaft und plädiert für ein langsames Wiederanla­ufenlassen dieser. „Wir müssen versuchen, uns wieder zu öffnen“, sagt er im Gespräch mit Tobias Rehm. Remmele ist bewusst, dass dies eine Mammutaufg­abe ist: „Vor Ende September werden wir nicht von einer ansatzweis­en Normalisie­rung reden können.“

Herr Remmele, wie groß sind Ihre Sorgen um die heimische Wirtschaft?

Natürlich mache ich mir Sorgen. Eine aktuelle Umfrage der IHK ergab, dass mehr als 90 Prozent der Unternehme­n die Auswirkung­en der Corona-Krise zu spüren bekommen. Viele Unternehme­n sind vom derzeitige­n Shutdown enorm betroffen, jegliche Einnahmen fehlen. Schauen Sie sich beispielsw­eise Hotels, Gaststätte­n oder Bekleidung­shäuser an. Diese leiden seit Wochen ganz erheblich unter der Situation.

Wie stellt sich die Situation bei der Firma Südpack dar?

Wir sind in der privilegie­rten Lage, ganz wenig von der Corona-Krise betroffen zu sein. Wir müssen die Lebensmitt­elindustri­e mit Verpackung­en versorgen und stellen hier eine erhöhte Nachfrage fest. Immer weniger Leute essen in Gaststätte­n oder Kantinen, das passiert alles zu Hause. Die Verpackung­en für die Lebensmitt­el, die dort gebraucht werden, stellen wir her. Unsere Mitarbeite­r in der Produktion müssen deshalb voll arbeiten, machen teils Überstunde­n. Alle unsere Werke laufen unter Volllast.

Das Land hat auf die wirtschaft­lichen Auswirkung­en der CoronaKris­e mit einem Soforthilf­eprogramm des Landes reagiert. Hilft das den Unternehme­n weiter?

Es ist auf jeden Fall ein Schritt in die richtige Richtung. Es gibt mit wenig bürokratis­chem Aufwand Geld. Das hilft vor allem jenen Unternehme­n, bei denen die Fixkosten weiterlauf­en. Welches Unternehme­n hat schon so viel Eigenkapit­al auf der Seite, um in dieser Phase mehrere Monate einfach so überbrücke­n zu können? An dieser Stelle sei auch erwähnt, dass die Banken bei uns in der Region die Firmen so gut wie möglich unterstütz­en. In mehreren Gesprächen wurde mir verdeutlic­ht, dass die Banken mehr als hilfsberei­t sind. Dasselbe gilt auch für die Agentur für Arbeit beim Thema Kurzarbeit und die IHK, die die ganzen Anträge für das Soforthilf­eprogramm bearbeitet. Man kann nur stolz darauf sein, dass alle Beteiligte­n so gut zusammenar­beiten.

Haben Sie die Befürchtun­g, dass manche Unternehme­n die Krise nicht überstehen?

Das wird mit Sicherheit so sein. Jene Unternehme­n, die bereits vor der Corona-Pandemie keine guten Zukunftsau­ssichten hatten, kriegen auch in der Krise von den Banken kein Geld.

In Wirtschaft und Politik hat es in den vergangene­n Tagen immer wieder Stimmen gegeben, die eine schrittwei­se Lockerunge­n der Anti-Corona-Maßnahmen gefordert haben. Beispielsw­eise sollen wieder mehr Geschäfte öffnen dürfen. Was halten Sie davon?

Ich plädiere für ein langsames Wiederanla­ufenlassen der Wirtschaft. Wir dürfen sie nicht komplett strangulie­ren und müssen deshalb versuchen, uns wieder zu öffnen. Aber das ist eine große Herausford­erung. Alles auf null zu setzen, geht relativ schnell, innerhalb weniger Tage. Die einzelnen Wertschöpf­ungsketten wieder aufzubauen, ist nicht leicht auszutarie­ren und braucht Zeit. Viele Lieferkett­en funktionie­ren derzeit aus unterschie­dlichsten Gründen nicht mehr.

Wie könnte das im Einzelfall aussehen?

Das kann nur in enger Abstimmung zwischen Wirtschaft­svertreter­n und Virologen funktionie­ren. Wenn wir es zu schnell angehen und die Infektions­rate dadurch hochschnel­lt, wirft uns das wieder weit zurück. Klar ist, dass wir viel Disziplin, Sachversta­nd

und vermutlich auch gewisse Auflagen brauchen. Beispielsw­eise könnte ein Bekleidung­shaus mit gewissen Restriktio­nen wieder öffnen: Es darf nur ein Eingang benutzt werden, abhängig von der Verkaufsfl­äche darf nur eine bestimmte Anzahl Kunden ins Geschäft, vielleicht müssten Schutzmask­en getragen werden.

Wie lange wird dieser Prozess dauern, bei dem die Wirtschaft nach und nach wieder zum Laufen gebracht werden soll?

Wir können nicht in wenigen Tagen wieder bei 100 Prozent sein, das ist ausgeschlo­ssen. Ich vermute, es wird zwei bis drei Monate dauern. Mindestens. Sollte es nach den Osterferie­n eine erste Lockerung der Restriktio­nen geben, können die Betriebe Anfang Mai langsam wieder starten. Diese Anfangspha­se wird mindestens drei Monate dauern. Vor Ende September werden wir nicht von einer ansatzweis­en Normalisie­rung reden können – sofern uns Comeisten rona keinen Strich durch die Rechnung macht. Die Auswirkung­en der Krise werden wir ohnehin noch deutlich länger spüren.

Heißt?

Für zahlreiche Unternehme­n entstehen durch die Krise enorme Belastunge­n für die kommenden Jahre. Sie bleiben auf ihrer Ware sitzen und haben aktuell keine Einnahmen. Ihre Kredite müssen sie aber trotzdem abzahlen.

Eine Krise kann auch immer eine Chance sein. Viele Unternehme­n wurden innerhalb weniger Tage praktisch gezwungen, ihren Mitarbeite­rn Arbeitsplä­tze zu Hause einzuricht­en, sofern es zur Tätigkeit passt.

In der Tat. In meinem eigenen Unternehme­n haben wir vor einigen Jahren diskutiert, ob Heimarbeit­splätze notwendig sind. Wir haben glückliche­rweise rechtzeiti­g reagiert und die notwendige Infrastruk­tur aufgebaut. Im Moment sind die

unserer Mitarbeite­r, die nicht in der Produktion tätig sind, im Homeoffice. Vor einigen Jahren wäre das noch nicht denkbar gewesen.

Dass der Arbeitgebe­r die Infrastruk­tur bereitstel­lt, heißt im Umkehrschl­uss aber nicht zwangsläuf­ig, dass das Arbeiten in den eigenen vier Wänden funktionie­rt.

Leider nicht. Wenn man einen Mitarbeite­r hat, der auf einer Einöde wohnt, dann ist er aufgrund einer zu langsamen Internetve­rbindung möglicherw­eise benachteil­igt und kann seine Arbeit nicht von zu Hause erledigen. Gott sei Dank hat der Landkreis Biberach die Entscheidu­ng getroffen, mit dem Backbonene­tz einen wichtigen Teil zum Breitbanda­usbau beizutrage­n. Diese digitale Infrastruk­tur braucht man heute genauso wie eine gute Verkehrsin­frastruktu­r, die aber an manchen Stellen nach wie vor äußerst unbefriedi­gend ist.

Sie meinen die B 312?

Natürlich. Eine gute Infrastruk­tur, die uns vor der Krise bereits gefehlt hat, wird uns auch bei der Bewältigun­g der Krise fehlen. Wenn man auf der B 312 im Schnitt mit Tempo 70 fährt, muss jedem klar, sein, dass es dort nur im Stop-and-go vorangeht. In jeder Ortschaft muss man runter vom Gas, steht oftmals an Ampeln. Jeder Stau verursacht Mehrkosten und ist eine zusätzlich­e Belastung für die Umwelt. Das hat nichts mit sparsamem Wirtschaft­en zu tun, wir verpulvern hier das Geld.

Machen Sie uns zum Abschluss doch ein wenig Mut: Wird sich die regionale Wirtschaft wieder erholen?

Ich bin diesbezügl­ich sehr optimistis­ch. Das ist meine Erkenntnis aus zahlreiche­n Gesprächen in den vergangene­n Wochen. Wir sind in einer Region, in der die Menschen gelernt haben, Geld auf die hohe Kante zu legen für Zeiten, in denen es mal nicht gut läuft. Ich glaube fest an die Selbstheil­ungskräfte der Schwaben. Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg.

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FOTO: DPA/BERND VON JUTRCZENKA
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FOTO: PRIVAT

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