Schwäbische Zeitung (Biberach)
Auch Tokio 2021 ist in Gefahr
In der Olympiastadt nehmen die Corona-Fälle zu, Regierungschef Abe war gegen 2022
TOKIO (dpa/zak) - Das Trainingszentrum für Japans Olympia-Kandidaten geschlossen, die Olympische Flamme an einem geheimen Ort verwahrt und Olympia-Gastgeber Tokio im Notstand – an diesem Mittwoch wären es noch 100 Tage bis zu den Olympischen Spielen in Japans Hauptstadt gewesen. Doch selbst die Verschiebung der Spiele wegen der CoronaPandemie um genau ein Jahr auf 2021 erscheint einigen Olympia-Machern weiter fragwürdig.
Werden das Virus bis dahin aus der Welt und die Spiele sicher sein? Selbst die Olympia-Organisatoren sind nicht ganz überzeugt davon. „Ich denke nicht, dass irgendjemand sagen könnte, ob die Pandemie bis nächsten Juli unter Kontrolle gebracht werden kann oder nicht“, sagte der Chef des Organisationskomitees, Toshiro Muto. „Wir sind sicherlich nicht in der Position, eine klare Antwort zu geben.“
Für den Fall, dass die Spiele noch einmal verschoben werden müssten, gibt es „keinen Plan B“, erklärte Masa Takaya, der Sprecher des Organisationskomitees. „Wir arbeiten auf das neue Ziel hin.“
Vor wenigen Tagen hatte Japans rechtskonservativer Ministerpräsident Shinzo Abe angesichts steigender Infektionszahlen den Notstand für
Tokios Olympia-OK-Chef Yoshiro Mori, selbst einst Regierungschef
und Parteifreund, über Japans Ministerpräsident Shinzo Abe, der Olympia ohne Angabe von Gründen
nicht auf 2022 verlegen wollte.
den Großraum Tokio und andere Provinzen ausgerufen. Harte Ausgangssperren wie in Europa bedeutet das aber nicht, Japan handhabt das laxer. Viele Menschen fahren weiter wie gewohnt mit Bus und Bahn zur Arbeit, auch weil Japans Wirtschaft in Sachen Homeoffice anderen Ländern hinterherhinkt. Inzwischen zählt das Land etwa 7700 Infektionsfälle, rund 2100 entfallen auf die besonders betroffene Hauptstadt Tokio.
Daher werden Debatten immer lauter, ob es nicht besser (gewesen) wäre, die Olympischen Spiele um zwei Jahre statt um ein Jahr zu verschieben. Diese Frage hatte auch Yoshiro Mori, Präsident des Organisationskomitees, vor der Verschiebung Ministerpräsident Abe gestellt. Doch dieser habe auf 2021 bestanden, schilderte Mori in einem Interview der Tageszeitung „Asahi Shimbun“.
Eine neue Schutzimpfung werde bis dahin verfügbar sein, soll Abe ihm versichert haben. „Ich hatte das Gefühl, dass er mit 2021 zockte“, wurde Mori, selbst einst Regierungschef und Parteifreund Abes, zitiert. Einige Mitglieder im Vorstand des Organisationskomitees hätten eine Verlegung um zwei Jahre befürwortet.
Mori stellte laut der Zeitung auch die Frage, ob man Japans politischen Kalender berücksichtigen müsse. Er bezog sich damit auf den Umstand, dass Abes Amtszeit im September 2021 endet. Würden die Spiele 2022 stattfinden, könnte sich Abe nicht mehr damit im Amt schmücken. Darüber
solle sich Mori nicht so viele Gedanken machen, soll Abe lächelnd erwidert haben. Das Gespräch der beiden fand 30 Minuten vor dem Telefonat zwischen dem Premier und IOC-Präsident Thomas Bach statt, bei dem sich beide Seiten auf die Verschiebung der Spiele auf Juli 2021 geeinigt hatten.
Sportphilosoph Gunter Gebauer hatte exakt dieses Gebaren Abes Ende März im Interview mit der „Schwäbischen Zeitung“angeprangert. Abe und seiner Familie, der einflussreichsten in Japan, gehe es rein um Ruhm, Ehre und Macht, er wolle durch erfolgreiche Spiele selbst profitieren.
Zu Spekulationen, die Spiele könnten wegen der Pandemie auch 2021 nicht in Tokio stattfinden, hat sich Bach bisher nicht geäußert. „Oberste Priorität bleibt natürlich die Gesundheit der Athleten und aller an den Spielen Beteiligten sowie die Eindämmung des Virus. Daran werden wir uns auch in allen künftigen Entscheidungen orientieren“, sagte der IOCChef nur. Und: Eine Verlegung ins Jahr 2022 sei aus Sicht des Gastgebers Tokio nicht denkbar gewesen. „Das ist eine Mammutaufgabe für das Organisationskomitee und das Land“, hatte der Ex-Olympiasieger der „Welt am Sonntag“gesagt. Die Kosten der Verschiebung seien „im Moment noch nicht absehbar“. Auf das IOC kämen aber Zusatzkosten von mehreren Hundert Millionen Dollar zu.
Was aber, wenn das Virus bis 2021 nicht unter Kontrolle ist? TischtennisRekordeuropameister Timo Boll, der 2016 in Rio bei der Eröffnungsfeier die deutsche Fahne trug, hatte bereits vor der Olympia-Verlegung gegenüber der „Schwäbischen Zeitung“exakt das befürchtet und die Verschiebung auf 2022 befürwortet. ,„Darüber will ich jetzt nicht nachdenken“, sagte Mori. „Die Menschheit würde aussterben, wenn es keinen Fortschritt in Wissenschaft und Technologie gäbe.“Direktor Muto fügte an: „Alles, was wir tun können, ist hart zu arbeiten, um die Spiele vorzubereiten. Wir hoffen, dass die Menschheit bis kommendes Jahr die Krise überwunden hat.“
„Ich hatte das Gefühl, dass er mit 2021 zockte.“
Trotz der Verschiebung der Spiele auf 2021 dürfen Fußballer des Geburtsjahrs 1997 in Tokio starten. Das teilte der Weltverband FIFA mit, nachdem Anfang April eine Arbeitsgruppe eine entsprechende Empfehlung gegeben hatte. Damit bleibt die Nominierung von Stammkräften möglich, im DFB-Team etwa von Gladbachs Mittelfeldspieler Florian Neuhaus. „Olympia ist ein Highlight für jeden Spieler! Ich freue mich natürlich, dass der Jahrgang 97 spielberechtigt bleibt“, sagte der 23-Jährige. Neben Neuhaus hatten weitere sieben 1997 geborene DFB-Fußballer vor einem Jahr mit dem Einzug ins Finale der U21-EM die Qualifikation perfekt gemacht. „Es wäre unglaublich bitter gewesen, Olympia zu verpassen, weil die Chance, noch mal dieses Turnier zu spielen, eher gering ist. Für mich war es der einzig logische Schritt, die Altersgrenze anzuheben, da wir auch die Qualifikation gespielt haben“, sagte Benjamin Henrichs (23) von der AS Monaco.