Schwäbische Zeitung (Biberach)
Regierungen setzen auf Corona-Apps
Programme sollen europaweit funktionieren – Apple und Google steigen ein – Diskussion um Datenschutz
BERLIN - Die Kanzlerin war eindeutig. Um die Corona-Pandemie so schnell wie möglich in den Griff zu bekommen und Ausgangsbeschränkungen weiter zu lockern, gelte es, Infektionsketten zu erkennen. „Es muss unser Ziel sein, jede Infektionskette verfolgen zu können. Dafür arbeiten wir ja auch an einer App“, sagte Angela Merkel (CDU) am Mittwochabend.
Eine solche App zum „contact tracing“wird derzeit von Bund und Ländern vorangetrieben. Mit „contact tracing“ist die Rückverfolgung sozialer Kontakte über Handydaten gemeint. Wird bei einem Nutzer eine Corona-Infektion diagnostiziert, können diese Programme Menschen warnen, die dem Erkrankten in den vergangenen Tagen (zu) nahe gekommen sind. Die Betroffenen sollen dann Meldung erhalten. Funktioniert ein solches System, könnten Infektionsherde frühzeitig lokalisiert und eingegrenzt werden. Und dann sei die Lockerung des öffentlichen Lebens „nicht mehr so eine gravierende Frage“, sagte Merkel.
Seit Wochen tüfteln Forscher aus verschiedenen europäischen Ländern an einem entsprechenden Programm, das den Namen Pepp-PT trägt. Die Idee: Über Bluetooth sollen die Handys anonymisierte Daten anderer Kontakte sammeln. „PeppPT ist so konzipiert, dass es als Kontaktverfolgungsfunktion in nationale Corona-Handy-Apps eingebunden werden kann“, erklärt das beteiligte Fraunhofer-Institut. Eine Idee, die den Segen der EU hat.
Am Donnerstag stellte die EUKommission ein gemeinsames Instrumentarium für die Nutzung von Mobil-Apps zur Kontaktnachverfolgung vor, die wie eine Blaupause des Pepp-PT-Konzepts klingen. Brüssel setzt große Hoffnungen in das Vorhaben: „Digitale Instrumente werden für den Schutz unserer Bürgerinnen
und Bürger bei der schrittweisen Aufhebung der Ausgangsbeschränkungen von entscheidender Bedeutung sein“, erklärte die für Gesundheit zuständige Kommissarin Stella Kyriakides. Wichtig für die EU: Die einzelnen nationalen Programme sollen interoperabel sein – das heißt, eine französische App könnte mit der deutschen kommunizieren, wenn sich die Träger nahe kommen.
Zwar sei noch keine finale Entscheidung für ein Konzept für eine Tracing-App gefallen, heißt es im Haus von Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU). „Bund und Länder haben allerdings beschlossen, dass Architekturkonzept des Pepp-PT-Konsortiums
vorrangig zu unterstützen“, erklärte eine Ministeriumssprecherin auf Anfrage der „Schwäbischen Zeitung“.
Die Eindeutigkeit ist auch Richtung USA gerichtet: Dort nämlich arbeiten die IT-Riesen Google und Apple gemeinsam an einem ähnlichen Konzept. Die beiden Konzerne, die mit ihren Betriebssystemen iOS und Android den weltweiten Handymarkt dominieren, wollen die entsprechende Programmier-Schnittstelle (API) über ein Update im Mai auf die Smartphones aufspielen. Zudem wollen beide Konzerne in den kommenden Monaten eine umfassendere Nachverfolgungsplattform von Kontakten auf Bluetooth-Basis entwickeln. „Dies ist eine stabilere Lösung als eine API und würde es mehr Einzelpersonen ermöglichen, sich nach ihrer Entscheidung per Opt-In zu beteiligen“, erklärte Apple.
Damit ist ein inoffizieller Wettlauf gestartet, denn der Starttermin für die europäischen Apps ist weiter offen. Eine Sprecherin des in Deutschland beteiligten RobertKoch-Instituts will sich auf Nachfrage auf keinen Zeitraum festlegen. Ursprünglich sollte die App bereits Mitte April vorgestellt werden. Nun fordert die EU-Kommission eine Bewertung der Wirksamkeit bis Ende des Monats.
Sowohl die Handygiganten aus den USA als auch die Pepp-PT-Forscher versprechen – anders als viele Vorbilder in Fernost – bei der Anwendung Freiwilligkeit und Anonymität der Nutzer. So sollen die Programme datenschutzrechtlichen Auflagen genügen: Das Herunterladen der App soll freiwillig sein, die Daten sollen anonymisiert und dezentral gespeichert werden. Und die Apps selber sollen abgeschaltet werden, sobald die Krise vorbei ist.
Diese Freiwilligkeit könnte aber auch Probleme mit sich bringen: „Der Erfolg der App steht und fällt mit der Zahl der Nutzer“, sagt eine Sprecherin des Robert-Koch-Instituts. Nur wenn die Mehrheit der Bevölkerung miteinander kommunizierende Programme herunterlädt und auch nutzt, entsteht ein aussagekräftiges Bild. Die Frage, ob die Lösung von Google und Apple mit Pepp-PT kompatibel ist, beantworteten beide Konzerne am Donnerstag auf Anfrage der „Schwäbischen Zeitung“nicht.
Da die Nutzung anonym ist, müsste zudem ein Erkrankter dies selbst im Handy angeben. Und unerfasst bleibt zudem noch das Drittel der Bevölkerung, welches kein Mobiltelefon mit sich trägt. Darunter befinden sich viele Menschen in besonders gefährdeten Gruppen wie ältere Menschen oder Personen mit körperlichen und geistigen Handicaps.
Angesichts dieser Einschränkungen hat eine Diskussion über eine Einschränkung des Datenschutzes eingesetzt: Die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina hat bereits eine Lockerung des Datenschutzes ins Spiel gebracht. Und der Chef der Jungen Union, Tilman Kuban, verlangte die automatische Installation der CoronaApp auf allen Handys. Wer das Warnprogramm nicht wolle, solle widersprechen.