Schwäbische Zeitung (Biberach)
Ohne Hausbesuche geht es nicht
Hebamme ist ein systemrelevanter Beruf – Corona-Pandemie macht die Arbeit schwieriger
BIBERACH - In den ersten Wochen mit dem Baby ist der Besuch der Hebamme für die jungen Mütter einer der wichtigsten Termine der Woche: Denn sie bekommen Hilfe, wenn es beim Stillen nicht klappt, die Hebamme schaut, wie das Baby sich entwickelt und wie es der Frau nach der Geburt körperlich geht. Und sie beantwortet die vielen Fragen, die insbesondere Erstgebärende haben. Manches lässt sich auch am Telefon klären, aber eben nicht alles. Deshalb machen Hebammen auch in Coronazeiten Hausbesuche – mit Mundschutz und Handschuhen, so wie Ingrid Sproll und ihre Kolleginnen von der Hebammenpraxis Biber-Nest in Biberach.
Ingrid Sproll ist seit vielen Jahren Hebamme. Dass sie ständig Mundschutz und Handschuhe tragen muss, hat sie in ihrer Berufspraxis zuvor nie erlebt. „Anfangs schauten die Mütter schon erstaunt. Aber jetzt sind sie es gewohnt“, erzählt die Hebamme über die Arbeit in Zeiten der Corona-Pandemie. Auch für sie selbst sei es eine Umstellung gewesen. Der Mundschutz schaffe eine gewisse Distanz, beschreibt sie ihre Wahrnehmung. Und Distanz passt eigentlich nicht zum Beruf der Hebamme. „Wir haben ein enges Verhältnis zu den Müttern“, sagt Ingrid Sproll. Die Hebammen sind Vertrauenspersonen. „Die Frauen rufen bei Schwierigkeiten Tag und Nacht an.“
Manche Frage lässt sich am Telefon beantworten, doch nicht jedes Problem können die Hebammen aus der Ferne klären. „Wir sind in Corona-Zeiten angehalten, Hausbesuche nur bei Bedarf zu machen“, berichtet Ingrid Sproll. „Aber welche Erstgebärende hat nicht den Bedarf ?“Hausbesuche gehören deshalb nach wie vor zu ihrem Alltag. „Die Frauen rufen von der Klinik aus an, dass sie am nächsten Tag heim dürfen – und wir stehen parat. Denn dann geht unsere eigentliche Arbeit los.“
Die ersten zehn Tage seien entscheidend für den Umgang mit dem
Baby und das Miteinander von Mutter und Kind, weiß Ingrid Sproll. Erklären, zeigen, zureden, schildert sie ihre Arbeit. Erstgebärende müssen das Stillen erst einmal richtig lernen. Körperliche Veränderungen nach der Geburt gilt es zu kontrollieren, die Entwicklung des Babys wird angeschaut. Verheilt der Nabel gut? Wie ist die Gewichtsentwicklung des Babys? Gegebenenfalls zeigt die Hebamme auch noch einmal, wie man richtig wickelt.
Auch seelische Unterstützung der Mutter ist gefragt. „Die Frauen wünschen sich eine sehr gute psychische Betreuung“, sagt Ingrid Sproll. „Sie befinden sich in einer hochsensiblen Phase.“Und das in einer Zeit, in der wegen Corona vieles anders als erwartet abläuft und teils belastender ist. Statt Besuche zu bekommen, heißt es für die Mütter Abstand halten. „Wir sind froh, dass die Frauen das beachten, auch wenn es für sie ungewöhnlich ist, dass die Großeltern
das Baby nur per Skype oder durchs Fenster sehen können.“Der Spaziergang an der frischen Luft werde für manche zum Stress, weiß Ingrid Sproll aus Gesprächen. „Manche Frauen haben die Sorge, dass jemand mit Corona den Kopf über den Kinderwagen beugen könnte.“
Die Sorge vor Ansteckung begleitet auch die Hebammen. „Es geht um uns selbst und um die Angst, unwissentlich möglicherweise Mutter und Kind anzustecken“, sagt Ingrid Sproll. Die Hebammen achten streng auf Hygiene. „Zum Glück konnte ich mich mit Mundschutz und Desinfektionsmitteln eindecken“, erzählt die Biberacherin. „Bei der Beschaffung waren wir Hebammen jedoch auf uns allein gestellt. Da hätten wir Hilfe brauchen können, wir sind eine kleine Gruppe, die freiberuflich arbeitet.“
Die Praxis Biber-Nest, die sie zusammen mit ihren Kolleginnen betreibt, ist zurzeit verwaist. Geburtsvorbereitendes Akupunktieren wurde komplett ausgesetzt. Geburtsvorbereitungskurse finden nur noch online statt. Die Kursinhalte ließen sich auch so vermitteln, Fragen würden die Hebammen zudem telefonisch beantworten, sagt Ingrid Sproll. Das Angebot wird stark genutzt. Bei den Schwangeren herrsche große Aufregung wegen Corona, berichtet die Hebamme. „Wir geben viel Auskunft am Telefon.“Über das Virus wisse man bisher wenig. „Wir Hebammen gehen nach bestem Wissen und Gewissen mit den Fragen um und orientieren uns an dem, was uns der Hebammenverband an Informationen gibt.“
Auch die Rückbildungskurse nach der Geburt, die normalerweise mehrmals pro Woche stattfinden, sind abgesagt. „Sobald es möglich ist, werden wir sie wieder anbieten.“Die Kurse seien nicht nur für den Körper wichtig. „Die Teilnehmerinnen schätzen den Austausch untereinander“, weiß Ingrid Sproll. Und so warten die Frauen und ihre Hebammen auf den Tag, an dem wieder ein normalerer Alltag einkehren wird.